zum Hauptinhalt
Zwischen Baum und Borke. Baumkontrolleurin Karin Raptis und ihre Kollegin Natalie Minninger sind im Tiergarten mit dem Resistografen unterwegs.
© Mike Wolff

Berlin nach Sturm „Xavier“: Berlins Baumbestand hat stark gelitten

Der Sturm „Xavier“ hat in Berlins Wäldern und Grünflächen mindestens 56 000 Bäume zerstört. Fürs Aufräumen will der Senat 1,2 Millionen Euro bereitstellen.

Mit leisem Surren bohrt sich die Nadel durch die Rinde. Nur nicht wackeln, sonst bricht sie ab. Die Nadel durchdringt die Jahresringe, bis sie nach 40 Zentimetern zum Stehen kommt. Die Messung ist beendet, sie fährt zurück. Endlich kann Karin Raptis den Resistografen, ein vier Kilo schweres Messgerät, absetzen. Die gezackte grüne Linie auf dem Bildschirm wird ihr gleich verraten: Darf der Baum stehen bleiben oder muss er gefällt werden?

Raptis ist eine von zwei Baumkontrolleurinnen beim Straßen- und Grünflächenamt Berlin Mitte. Die mächtige Buche, die sie gerade angebohrt hat, ist etwa 200 Jahre alt, 30 Meter hoch und steht mitten im Tiergarten. Als am 5. Oktober der Sturm „Xavier“ in Berlin wütete, fuhr er mit voller Wucht in den Baum und riss einen riesigen Ast zu Boden.

Die Bruchstelle am Stamm ist jetzt ein Einfallstor für Parasiten. „Das Anbohren gibt uns Infos darüber, wie widerstandsfähig der Baum im Inneren ist, wo seine Schwachstellen liegen“, sagt Raptis. Die Methode kommt aber nur in unklaren Fällen zur Anwendung, wenn die Expertinnen nicht sicher sind, wie es um den Baum steht. Die alte Buche ist stabil und darf vorerst bleiben.

Noch keine Entwarnung

Raptis und ihre Kollegin Natalie Minninger haben eine Mammutaufgabe vor sich. Zu zweit müssen sie jeden einzelnen Baum im ganzen Tiergarten begutachten und Schäden melden. „Jeder Baum sollte sowieso zweimal im Jahr angeschaut werden: einmal mit und einmal ohne Laub“, sagt Minninger.

Aber jetzt, nach dem Sturm „Xavier“, sind die beiden besonders gefordert. In manchen Bäumen hängen noch Äste, die sich jederzeit lösen können. Andere sind im feuchten Waldboden gekippt und hängen nur noch an ein paar Wurzelsträngen. Nachdem die Wege inzwischen gesichert sind, werden die Frauen in den nächsten Wochen hauptsächlich im Bestand des Parks zu tun haben.

„Abseits der Wege ist es immer noch sehr gefährlich“, sagt Jürgen Götte, Fachbereichsleiter für Grünanlagenpflege im Grünflächenamt Mitte. Deshalb warnen die Bezirksämter weiterhin ausdrücklich davor, sich von den Hauptwegen der Parks zu entfernen. Nach ersten Schätzungen sind allein in Mitte etwa 400 Parkbäume und 60 Straßenbäume sofort umgefallen. 600 weitere sind so stark beschädigt, dass sie wahrscheinlich gefällt werden müssen. „Bis wir den kompletten Überblick haben, wird es aber sicher noch bis Ende November dauern“, sagt Götte.

Mit dem Resistografen kann ermittelt werden, ob ein Baum genug Widerstandskraft hat.
Mit dem Resistografen kann ermittelt werden, ob ein Baum genug Widerstandskraft hat.
© Mike Wolff

Berlin hat viele Bäume verloren

So ähnlich ist die Lage überall in Berlin. Die Senatsverwaltung für Umwelt hat vorläufige Schadensmeldungen aus den Bezirken eingesammelt. „Wir schätzen, dass in den Berliner Grünanlagen etwa 10 000 Bäume umgeknickt oder so stark beschädigt sind, dass sie gefällt werden müssen“, sagt Behördensprecher Derk Ehlert. Bei etwa 438 000 Straßenbäumen und noch einmal so vielen in Parks und auf Friedhöfen würde das bedeuten, dass Xavier etwa zwei Prozent der Bäume in öffentlichen Grünflächen zerstört haben könnte.

Auch die Wälder hat Xavier stärker getroffen als bisher vermutet. Die anfängliche Schätzung von 20 000 zerstörten Bäumen hat sich inzwischen mehr als verdoppelt. Die Senatsverwaltung geht nun von mindestens 46 000 Waldbäumen aus, die umgestürzt oder stark geschädigt sind. Vor dem Betreten des Waldes wird weiterhin eindringlich gewarnt.

Noch immer seien die Berliner Forsten damit beschäftigt, die Haupt- und Nebenwege freizuräumen. Vermutlich übernächste Woche werden zumindest die Waldspielplätze wieder genutzt werden können. Pilzsammler müssen sich aber vorerst weiter zurückhalten.

1,2 Millionen Euro für Sofortmaßnahmen

Insgesamt hat Xavier in Berlin also etwa 56 000 Bäume zerstört oder stark beschädigt. Während die Berliner Forsten den Schäden mit eigenen Mitteln beikommen wollen, haben die meisten Bezirke für die Schadensbehebung in den öffentlichen Grünflächen Fachfirmen beauftragt. In Mitte kümmern sich vier externe Dienstleister darum, schief stehende Bäume zu fällen oder umgekippte Exemplare zu zerkleinern und aus den Grünflächen zu ziehen.

Um das selbst zu leisten, fehle es laut Fachbereichsleiter Götte sowohl an Personal als auch an der entsprechenden Ausstattung. Noch dazu ist diese Arbeit nicht ungefährlich. Die Firmen müssen teilweise mit schwerem Gerät anrücken – was sich im Preis bemerkbar macht. Bei großen Bäumen kostet die Beseitigung laut Götte zwischen 500 und 1000 Euro pro Baum. Somit übersteigen die Kosten für das Aufräumen das Budget der Bezirke bei Weitem.

Deshalb erhalten sie in Absprache mit dem Finanzsenator 1,2 Millionen Euro als Sofortmaßnahme, wie die Senatsverwaltung mitteilte. Die Details der Maßnahmen werden in den nächsten Tagen mit der Finanzverwaltung geklärt. Darüber hinaus sei im Entwurf des Doppelhaushalts 2018/19 eine Erhöhung der Mittel für die Verkehrssicherheit in den Berliner Wäldern vorgesehen.

Wenn die Schäden beseitigt sind, werden die Bezirke außerdem viele Bäume nachpflanzen müssen. Wie viele genau, ist unklar. Vor allem die zerstörten Straßenbäume müssen aber eins zu eins ersetzt werden. Zwar ist dieser Tage die 11. Pflanzperiode der Stadtbaumkampagne gestartet. Diesmal werden – finanziert durch Spenden und die Senatsverwaltung für Umwelt – Straßenbäume in den Bezirken Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte, Neukölln und Tempelhof-Schöneberg gepflanzt.

Doch das wird vermutlich nicht reichen, um die Verluste durch den Sturm auszugleichen. Auch wie die Nachpflanzung der Bäume in Parks und Friedhöfen ablaufen soll, weiß noch niemand. Das Chaos, das „Xavier“ in Berlin angerichtet hat, wird sich so schnell also nicht auflösen.

Berlins Bäume in Zahlen

Waldstadt

Berlin hat den größten Stadtwald Deutschlands. Mit 163 Quadratkilometern bedeckt er fast ein Fünftel der Stadtfläche. Wie viele Bäume genau im Wald stehen, weiß niemand. Wohl aber, dass etwa 60 Prozent der Bäume Kiefern sind. Nur jeder dritte Baum ist ein Laubbaum, meist eine Eiche. Die meiste Waldfläche hat mit Abstand Treptow-Köpenick, es folgen Charlottenburg-Wilmersdorf und Steglitz-Zehlendorf.

Grünstadt
Auch außerhalb der Wälder ist Berlin außergewöhnlich grün. In den öffentlichen Grünflächen stehen knapp 900 000 Bäume. Ein wichtiger Teil davon sind die Straßenbäume. Seit der massiven Zerstörung im Zweiten Weltkrieg hat sich ihr Bestand stetig erhöht. Heute säumen 438 000 Bäume die Straßen. Damit stehen an jedem Straßenkilometer 80 Bäume, die meisten in Charlottenburg-Wilmersdorf und Steglitz-Zehlendorf. Jeder Dritte ist über 40.

Lindenstadt
Obwohl man insgesamt über 50 Baumgattungen an den Straßen entdecken kann, sind 35 Prozent Linden. Erst mit deutlichem Abstand folgen Ahorn, Eichen, Platanen und Kastanien. Mittlerweile setzt man allerdings immer mehr auf Arten wie Hainbuchen und Gingko, die weniger Pflegeaufwand bedeuten und dem Klimawandel trotzen. In der Turmstraße läuft außerdem gerade ein Versuch mit Mammutbäumen.

Zur Startseite