Coronavirus-Ausbruch in Europa: Die wichtigsten Fragen und Antworten für Deutschland
Das Coronavirus breitet sich in Europa aus. Wann erreicht die Epidemie Deutschland? Welche Maßnahmen sind jetzt nötig? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Spätestens seit dem Wochenende, seit das neue Coronavirus Sars-CoV-2 auch in Italien umgeht, muss sich die Welt bewusst sein: Die Bemühungen, Erkrankungen auf China und einzelne Länder zu beschränken, sind gescheitert.
Eine weltweite Ausbreitung, eine Pandemie, ist wohl nicht mehr zu verhindern. Jetzt sei die Frage nur noch, welche Gegenmaßnahmen zu treffen sind, schreibt der Epidemiologe Marc Lipsitch von der Harvard University.
Wann erreicht die Epidemie Deutschland?
Noch kann hierzulande nicht von einer Epidemie gesprochen werden. Durch die jüngsten Ausbrüche in Südkorea, Iran und vor allem in Italien ergibt sich für die Bundesrepublik aber eine neue Lage. Grund für die schnelle Verbreitung der Viren ist, dass offenbar schon Infizierte, die noch nicht krank sind und keine erkennbaren Krankheitssymptome wie Fieber zeigen, bereits infektiös sind.
Eine Studie, an der Forscher des Imperial College London und des WHO-Zentrums für die Modellierung von Infektionskrankheiten beteiligt war, ergab, dass wohl zwei Drittel der aus China exportierten Erkrankungen unentdeckt geblieben sind und wohl zu vielen bislang unerkannten Übertragungsketten außerhalb Chinas geführt haben.
Was jetzt in Italien und auch dem Iran passiert, ist demnach wohl auch bald in anderen Ländern zu erwarten. Entscheidend ist, ob solche asymptomatischen Übertragungen selten oder häufig sind. Lipsitch zufolge spricht einiges dafür, dass die asymptomatische Übertragung eher die Regel ist.
Welche Maßnahmen sind jetzt nötig?
Wie ein derart infektiöses Virus aufzuhalten ist, sei die „am schwierigsten zu beantwortende Frage zurzeit“, so Lipsitch. Das Abriegeln ganzer Städte und der Rückgang von Neuinfektionen danach sei zwar von einigen Experten als Beleg für die Wirksamkeit dieser Methode interpretiert worden.
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Doch man müsse skeptisch sein, ob die Zahlen aus China korrekt sind. Es sei zwar wahrscheinlich, dass die Übertragung dadurch erschwert wird, aber es sei unklar, in welchem Ausmaß.
Ist die Erkrankung schlimmer als Grippe?
Die Experten verwenden für die jetzige Erkrankungswelle das Kürzel Covid-19 und für das Virus selber Sars-CoV-2. Da Sars-CoV-2 so wie Influenza-Viren auch den oberen Rachenraum befallen, ist zumindest die Art und Weise der Verbreitung vergleichbar.
Ob eine Covid-19-Pandemie am Ende mehr oder weniger Erkrankungen und Todesfälle verursacht, ist mit den bisherigen Daten nicht vorherzusagen – auch weil sich die Viren im Zuge der Pandemie immer verändern können. Die Ähnlichkeit zu Influenza-Viren kann aber auch ein Vorteil sein, um sinnvolle Eindämmung zu betreiben.
Ein Blick auf Forschung, die sich mit der Wirksamkeit von 1918 getroffenen Gegenmaßnahmen beschäftigt hat, zeigt, dass es in Städten, die früh Kirchen, Theater, Schulen und andere öffentliche Versammlungsorte geschlossen hatten, weniger Erkrankte und Opfer des Influenza-Virus gab.
Was ist sinnvoller: Hygiene oder Isolation?
Auch Eindämmungsbemühungen, die eine Pandemie nicht völlig stoppen, sind hilfreich, weil weniger Ansteckungen in kurzer Zeit auftreten und die Gesundheitssysteme auf diese Weise nicht überlastet werden. Der Chef des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, sagte, dass man sich bemühe, die jährliche Influenza-Welle und die zu befürchtende Covid-19-Welle zu „entkoppeln“, um die Kliniken zu entlasten.
Darüber hinaus gewinnen Forscher Zeit, um neue Medikamente und Impfstoffe entwickeln. „Verzögerung ist gut“, sagt Lipsitch, allerdings nicht zu jedem Preis. Man müsse berücksichtigen, dass Quarantäne, Abriegelungen und andere „soziale Distanzierungsmaßnahmen“ zwar Menschenleben retten können, aber auch ökonomische und auch psychologische Nebenwirkungen haben.
Wie sind die Kliniken vorbereitet?
Sollte sich das Virus in Deutschland zu einer Pandemie auswachsen, dürfte es zwar genug Akutbetten geben, aber zu wenig Pflegepersonal zur Betreuung aller Patienten. Zu diesem Schluss kommt Bernd Mühlbauer, der an der Westfälischen Hochschule Gesundheitsmanagement lehrt.
„Bei maximaler Auslastung aller verfügbaren Krankenhausbetten und einer Isolationsdauer infizierter Patienten von etwa zwei Wochen können in Deutschland theoretisch fast zwei Millionen Patienten im Jahr versorgt werden“, erklärt Mühlbauer. „Tatsächlich ist es aber nur ein Drittel davon, wenn die Patienten in Einzelzimmern isoliert werden müssen.“
Wie reagiert die Bundesregierung jetzt?
Der Coronavirus-Krisenstab der Bundesregierung wird am Montag beraten, ob weitere Maßnahmen erforderlich sind. „Wir haben die Lage im Blick“, sagte ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums am Sonntag auf Tagesspiegel-Anfrage.
Thema im Krisenstab dürfte die Ausweitung der Kontrollen auf Flügen sein, wie sie bereits für Chinareisende gelten. Für Italien, aus dem Menschen auch über den Landweg einreisen, kämen weitere Sofortmaßnahmen infrage. Im Auswärtigen Amt sagte eine Sprecherin, dass Reisehinweise für Italien fortlaufend aktuell gehalten würden.