Italien riegelt wegen Coronavirus Städte ab: „Es ist, als wären wir in Wuhan“
Die Stadt Codogno südlich von Mailand ist wie ausgestorben. Die Behörden ermitteln dem „Patienten Null“ hinterher – der hatte allerdings extrem viele Kontakte.
Der lombardische Ort Codogno in der Nähe von Mailand glich am Samstag einer Geisterstadt. Wegen mehrerer Corona-Fälle blieben Ladengeschäfte, Restaurants, Bars und selbst die Kirchen geschlossen. Die Behörden haben sämtliche öffentlichen Veranstaltungen untersagt und ihre Bürger aufgerufen, zu Hause zu bleiben und auf „soziale Kontakte“ zu verzichten.
Die Bahngesellschaft Trenord ließ ihre Züge in der 15.000 Einwohner zählenden Kleinstadt nicht mehr anhalten. Die Schulen werden nächste Woche geschlossen bleiben, der in einer Woche beginnende Karneval ist abgesagt.
„In Codogno ist keine Menschenseele mehr auf der Straße. Es ist, als wären wir in Wuhan“, sagte ein Bewohner gegenüber dem italienischen Staatsfernsehen.
Ähnliche Maßnahmen wie in Codogno haben die Behörden auch für neun weitere Städte in der Lombardei erlassen, in denen ebenfalls Personen gemeldet wurden, die sich mit dem Coronavirus angesteckt hatten. Alle betroffenen Ortschaften wurden zur „roten Zone“ erklärt. Von den Quarantänemaßnahmen waren gestern insgesamt rund 50.000 Personen betroffen, Tendenz rasch steigend.
Am Sonntag gab die Region Venetien bekannt, dass der Karneval in Venedig abgesagt wird. Zuvor hatte es Berichte über zwei Erkrankungen in der Stadt gegeben.
Italien riegelt Coronavirus-Städte ab
In der Nacht zu Sonntag gaben die italienischen Behörden zudem bekannt, dass sie die am stärksten betroffenen Städte abriegeln will. „Das Betreten und Verlassen dieser Gebiete ist verboten“, sagte Regierungschef Giuseppe Conte. Betroffen seien zunächst knapp ein Dutzend Orte südöstlich von Mailand mit etwa 50.000 Einwohnern sowie Vo' im benachbarten Venetien mit rund 3000 Bewohnern.
Zunächst sollten die Sicherheitskräfte die betroffenen Regionen abriegeln. „Wenn nötig, werden es auch die Streitkräfte sein“, fügte Conte hinzu. Wer versuche, die Absperrungen zu umgehen, dem drohe „strafrechtliche Verfolgung“. Er setze dennoch auf Verständnis der Bevölkerung.
Ein Aussetzen der innereuropäischen Reisefreiheit im Rahmen der Schengen-Zone sei vorerst nicht vorgesehen, sagte Conte.
Coronavirus in Italien – zwei Todesfälle, mehr als 100 Infizierte
Die Gesundheitsbehörden der Lombardei haben bis Sonntagfrüh allein 89 infizierte Personen gemeldet, in der Region Venetien waren es zwölf. In ganz Italien sind es - Stand Sonntagfrüh - mehr als 100 gemeldete Fälle. Insgesamt 250 weitere Personen standen als Verdachtsfälle unter Beobachtung.
Italien hat am Samstag den zweiten Todesfall durch das Coronavirus registriert – bei dem Opfer handelt es sich um eine 75-jährige Italienerin. Am Tag zuvor war ein 78-jähriger Mann an dem Virus verstorben – als erstes europäisches Todesopfer. Der Mann war laut Gesundheitsminister Roberto Speranza wegen einer anderen Krankheit vor zehn Tagen in einem Krankenhaus in der Region Venetien behandelt worden.
„Paziente zero“ – der Patient Null
Um einer möglichen Hysterie vorzubeugen, wandte sich Regierungschef Giuseppe Conte über das Fernsehen persönlich an die Bürgerinnen und Bürger: „Wir möchten die Bevölkerung beruhigen. Wir haben alle Personen unter Quarantäne gestellt, die mit den infizierten Menschen in Kontakt gekommen sind“, erklärte der Premier nach einer Krisensitzung mit Gesundheitsminister Speranza und Zivilschutzchef Angelo Borrelli.
Codogno ist der Wohnort des mutmaßlichen „paziente zero“, des ersten Patienten, bei dem in Italien das Coronavirus diagnostiziert wurde. Der 38-jährige Mann befindet sich in der Intensivstation des örtlichen Krankenhauses.
Auch seine schwangere Frau weist Symptome auf. In einem Wettlauf mit der Zeit versuchen die Behörden, sämtliche Personen zu identifizieren, mit denen der erste Patient Kontakt gehabt haben könnte – eine fast unmögliche Aufgabe: Der 38-Jährige war ein begeisterter Hobbysportler und hatte, bevor die ersten Symptome der Krankheit auftraten, an mehreren Wettkämpfen teilgenommen.
Oft besuchte er auch mit Freunden eine Bar, wo er möglicherweise die Bedienung angesteckt hat. Laut Medienberichten hatte vermutlich auch die gestern verstorbene Frau über mehrere Umwege Kontakt mit dem „paziente zero“ gehabt.
Ein weiterer möglicher Infektionsherd waren ausgerechnet Arztpraxen und Spitäler gewesen. Gestern wurde gemeldet, dass ein Arzt mit eigener Praxis sowie seine Frau, eine Kinderärztin, an dem Coronavirus erkrankt seien. Die Behörden befürchten, dass sich Dutzende Patienten bei den beiden Medizinern angesteckt haben könnten.
Coronavirus in Italien: Krankenhaus als Infektionsherd
Wegen einer möglichen Verbreitung des Coronavirus wurde bereits am Freitagabend ein Krankenhaus in Schiavonia bei Padua geschlossen: 300 Patienten und 150 Ärzte und Krankenpflegerinnen dürfen das Gebäude vorerst nicht verlassen. In dem Krankenhaus waren zuvor die ersten Corona-Fälle der Region Venetien festgestellt worden.
In der Lombardei und in Venetien wurden für Sonntag alle Sportveranstaltungen abgesagt. Davon betroffen sind auch drei Serie-A-Spiele zwischen Inter Mailand und Sampdoria Genua sowie zwischen Hellas Verona und Cagliari Calcio. Auch die Partie Atalanta Bergamo gegen Sassuolo wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Am Nachmittag war bereits das Zweitliga-Spiel zwischen Ascoli Calcio und US Cremonese abgesagt worden.
In Mailand kündigte Modezar Giorgio Armani im Gespräch mit der Agentur Ansa an, dass seine für Sonntag geplante Modeschau vor leeren Rängen abgehalten werde. Die Show als Teil der Modewoche werde lediglich als Livestream zu sehen sein, um die Gefahr einer Ansteckung mit dem Virus zu minimieren.
Frankreich bereitet sich auf Corona-Virus Ausbruch vor
Am Samstagmorgen war in Rom ein Armeeflugzeug mit 19 Italienern angekommen, die an Bord des Kreuzfahrtschiffs „Diamond Princess“ in Japan für zwei Wochen unter Quarantäne gestellt worden waren. Sie werden nun in einem Militärkomplex in Rom unter Quarantäne gestellt. Unter den Passagieren der „Diamond Princess“ hatte es hunderte Infizierte gegeben, zwei Japaner starben.
Angesichts der Lage in Italien bereitet sich Frankreich auf eine Ausbreitung des Coronavirus vor. Die Lage im Nachbarland werde „aufmerksam verfolgt“, sagte Gesundheitsminister Olivier Véran im Gespräch mit dem „Le Parisien“. „Eine Epidemie? Wir bereiten uns darauf vor“, wurde der Minister zitiert.
Wie das Virus nach Norditalien gelangte, ist noch unklar. Fest steht nur, dass man den italienischen Behörden für einmal kaum Schlamperei wird vorwerfen können. Italien hatte als erstes Land der EU schon im Januar alle Flüge aus China gestrichen und sich damit den Zorn der chinesischen Führung zugezogen. Die Reaktion sei überzogen, fördere die Hysterie und schade den Wirtschaftsbeziehungen, tönte es aus Peking.
Ebenfalls im Januar hatte die italienische Regierung ein Kreuzfahrtschiff mit 6000 Personen an Bord vor Civitavecchia blockiert, weil auf dem Schiff zwei Personen erkrankt waren. Erst als sich herausstellte, dass es sich um normale Grippefälle handelte, durften die Passagiere mit einer Verspätung von 24 Stunden an Land gehen. (mit dpa)