Deutscher Coronavirus-Experte: „Wir müssen uns auf eine Pandemie einstellen“
Das neue Coronavirus Sars-CoV-2 könnte sich dem Charité-Professor Christian Drosten zufolge nicht mehr eindämmen lassen. Die Folgen einer Pandemie seien offen.
Der Virologe Christian Drosten hält es für möglich, dass sich der Ausbruch des neuen Coronavirus nicht eindämmen lässt und zu einer Pandemie wird. Das sagte er am Mittwochabend bei einer gemeinsamen Vorlesung der Charité und der London School of Hygiene and Tropical Medicine im Berliner Naturkundemuseum.
Eigentlich war das Thema der schon länger anberaumten Veranstaltung, wie gut die Welt auf eine Pandemie vorbereitet ist. Im Untertitel hieß das Event "Ebola and Beyond". Nun aber stand das neuartige Coronavirus im Vordergrund, das die Welt seit Wochen in Atem hält und das seit dieser Woche wegen seiner Ähnlichkeit mit dem Sars-Erreger den Namen Sars-CoV-2 trägt.
Zuerst sprach Drosten denn auch über das Sars-Virus, das er im Jahr 2003 entdeckt hatte. Auch dieses Virus sei schon schwieriger einzudämmen gewesen als vielfach beschrieben. Die wichtigste Lektion aus dem Ausbruch von damals sei aber, daraus zu lernen, wie sich eine Epidemie verhalte – und dieses Wissen dann auf den aktuellen Ausbruch anzuwenden.
"Die Chance, den Ausbruch in China einzudämmen, wird jeden Tag kleiner"
Dafür – das betonen auch andere Wissenschaftler seit Wochen – brauche man aber mehr Informationen. „Im Moment ist es fast unmöglich, aus den Daten schlau zu werden, die aus China kommen“, sagte Drosten, der das Institut für Virologie an der Charité leitet.
Daher müsse man mit Interpretationen sehr vorsichtig sein. Er wolle nicht spekulieren – aber die Fakten könne er nennen. Was folgte, war die vielleicht beste Zusammenfassung des Forschungsstands, die man derzeit bekommen kann.
Die wohl drängendste Frage ist, wie sich der Ausbruch weiter entwickelt. Der Erreger wurde bereits auf mehreren Kontinenten nachgewiesen. Außerdem habe es auch außerhalb Asiens Übertragungen gegeben, etwa in Deutschland. „Wir nähern uns der Definition einer Pandemie“, sagte Drosten. „Darauf müssen wir uns einstellen.“ Die WHO definiert eine Pandemie als weltweite Verbreitung einer neuen Krankheit.
Es sei schwer vorherzusagen, aber unter Experten herrsche die Meinung vor, dass der Ausbruch sich nicht eindämmen lassen werde. Es gebe noch eine kleine Restchance, dass sich der Ausbruch in China begrenzen lasse und auch Übertragungsketten außerhalb des Landes unterbrochen werden könnten. „Aber diese Wahrscheinlichkeit wird jeden Tag kleiner.“
Auch Infizierte ohne Symptome können höchstwahrscheinlich ansteckend sein
Dem stimmt im Gespräch mit dem Tagesspiegel auch Michael Mina zu, Epidemiologe an der Universität Harvard. „Sobald dieses Virus in Indien, Bangladesch oder einer anderen Region mit hoher Bevölkerungsdichte eindringt, wird es kaum noch möglich sein, die Übertragung zu stoppen.“ Höchstwahrscheinlich geschehe dies bereits, sei aber derzeit noch weitgehend unentdeckt.
Die meisten nachgewiesenen Übertragungen innerhalb eines Landes sind immer noch in Deutschland bekannt. Hierzulande gehen 14 der 16 derzeit bekannten Infektionen auf den Fall einer chinesischen Mitarbeiterin des bayerischen Autozulieferers Webasto zurück, die bei einer Geschäftsreise mehrere Menschen angesteckt hatte, die dann wiederum Kollegen und Familienangehörige infizierten.
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Erst hatte es geheißen, die Frau habe keinerlei Symptome gehabt, als sie die anderen ansteckte. Später wurde bekannt, dass sie doch milde Beschwerden hatte, etwa leichtes Fieber und Rückenschmerzen. Trotzdem gehen viele Forscher davon aus, dass wahrscheinlich auch Personen ohne Symptome ansteckend sein können.
Das Virus vermehrt sich offenbar effektiv im Rachen
Ein Grund, warum sich das Virus offenbar recht leicht übertragen lässt, könne sein, dass es sich wohl sehr effektiv im Rachenraum vermehren kann, sagte Drosten. Das Sars-Coronavirus hatte ausschließlich die tiefen Atemwege befallen, was die Verbreitung erschwerte.
„Ein Virus, das von Lunge zu Lunge springt, hat einen weiten Weg von Mensch zu Mensch. Eines aber, das von Hals zu Hals springt, wird in der U-Bahn übertragen“, sagte Drosten.
Dass – trotz aller Ähnlichkeit – Sars-CoV-2 in dieser Hinsicht offenbar anders agiere als der Sars-Erreger, sei „eine Überraschung“. Denn obwohl beide Viren dieselbe Bindungsstelle im Körper ihrer Wirte nutzen (den ACE2-Rezeptor), scheint es einen Unterschied zu geben. Der könnte auf der Oberfläche des neuartigen Virus liegen.
Dort nämlich hätten Forscher Strukturen gefunden, die auch solche Coronaviren aufweisen, die beim Menschen normale Erkältungen auslösen. Diese Stellen, an denen bestimmte Moleküle reifen können, könnten mitentscheidend dafür sein, in welchem Gewebe sich die Viren vermehren können – also zum Beispiel in der Lunge oder im Rachenraum.
„Das könnte eine Erklärung sein, warum sich das Virus so effektiv im Rachen vermehren kann“, sagte Drosten. Das müssten nun aber weitere Studien beweisen.
Virusfragmente in Stuhlproben
Dafür sprächen jedenfalls Beobachtungen, die Wissenschaftler bei den bayerischen Patienten gemacht hätten, die sich mit dem Virus angesteckt haben. Dass der Erreger sich im Rachen so gut vermehre, sei offenbar eher die Regel als die Ausnahme, so Drosten.
Auch wenn die Patienten sehr milde Symptome hätten, finde man bei Tests in vielen Fällen eine hohe Viruslast im Rachen. Es sei auch gelungen, den Erreger aus Rachenabstrichen erfolgreich in Zellkulturen zu isolieren. „Das hat bei Sars nicht geklappt“, sagte Drosten.
Über den Stuhl sei das Virus nach aktuellem Wissen hingegen nicht übertragbar. Zwar hatten Forscher in Stuhlproben und Analabstrichen Virusfragmente gefunden, lebende Erreger ließen sich in Zellkulturen jedoch nicht isolieren. Das heißt, eine Übertragbarkeit ist derzeit unwahrscheinlich.
Für definitive Aussagen brauche man aber mehr Informationen, betonte Drosten. Das gelte auch für die Frage, warum Kinder den Erreger weitergeben können, aber in vielen Fällen offenbar nicht erkranken.
Impfstoff nicht rechtzeitig für eine Pandemie fertig
Wie es mit dem Ausbruch weitergeht, weiß auch Drosten nicht. Selbst wenn es zu einer Pandemie kommen sollte, müsse das nicht heißen, dass sie katastrophale Folgen hat. „Es könnte genauso gut ein langsamer Prozess sein“, sagte der Virologe. Sie könnte zum Beispiel nur große Städte betreffen, wohingegen man in kleineren Orten eher keine Ausbrüche sehe. Das sei alles möglich – aber noch Spekulation.
Ein Impfstoff jedenfalls werde kaum rechtzeitig zur Verfügung stehen, sollte es zu einer Pandemie kommen. Und wenn es dann einen gibt, muss man diskutieren, wer ihn bekommen sollte. Drosten sagte, die Zielgruppe sei dann vermutlich ähnlich der bei der Influenza – also vor allem Ältere und vorerkrankte Menschen.
Er betonte auch, dass – selbst wenn Ende dieses Jahres eine Vakzine bereitstehen würde – die Entwicklung noch nicht so weit sei, dass man den Impfstoff für die ganze Bevölkerung bereitstellen könne.
Eine Geburtstagsfeier mit 50 Leuten
Entscheidend dürfte jetzt sein, wie effektiv sich das Virus weiter verbreitet. Der Erreger, sagte Drosten, sei nach so kurzer Zeit noch nicht gut an den menschlichen Körper angepasst. Damit er sich trotzdem verbreitet, ist er auf sogenannte „super-spreading-events“ angewiesen. Bei „super spreadern“ handle es sich aber nicht – wie manchmal berichtet – um Personen, die besonders viele Viren in sich tragen und deshalb viele Menschen anstecken.
Vielmehr gehe es um ein bestimmtes Verhalten, das eine Ansteckung begünstigt, so Drosten. „Wenn jemand eine Geburtstagsfeier gibt und 50 Leute einlädt, dann kann das ein super-spreading-event sein.“
Solche Ereignisse können die Basisreproduktionszahl „R0“ einer Epidemie nach oben ziehen. Sie gibt an, wie viele Menschen ein Infizierter im Durchschnitt ansteckt. Damit ein Ausbruch gestoppt werden kann, muss sie unter eins gedrückt werden.
„Wenn wir solche super-spreading-events verhindern, dann kann alles gut werden“, sagte Drosten Dann könne der Ausbruch zu einem Ende kommen.
Die nächsten Wochen sind entscheidend
Dafür sei es essenziell, dass Menschen informiert sind. „Sie müssen wissen, dass es eine Krankheit gibt und wie sie übertragen werden kann.“ Das sei die beste Vorsorge gegen das Virus, Verhaltensänderung sei das A und O. Oder anders gesagt: „Die Geburtstagsfeier kann nicht stattfinden.“
Der Harvard-Epidemiologe Michael Mina sagte, um es einzudämmen, müsse man wissen, wo das Virus ist, wen es am ehesten krank macht und an welchen Orten es sich ausbreitet, etwa in Krankenhäusern oder auf Märkten. „Indem wir die Kontakte konsequent zurückverfolgen, werden wir mehr erfahren.“
Mina hält die nächsten Wochen für entscheidend. Registriere man mehr und mehr Fälle auf der ganzen Welt, könne man den Schutzwall etwas herunterfahren und sich eher darauf konzentrieren, wie man den Schaden der Pandemie so gering wie möglich hält.
„Wenn die Fälle und Übertragungen weltweit jedoch begrenzt bleiben, gibt es eine Chance, dass es keine Pandemie wird.“ Das aber könne man erst in ein den kommenden Wochen abschätzen, denn viele Länder fahren jetzt erst ihre Kapazitäten hoch, um Infektionen überhaupt erkennen zu können.
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