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Lücken schließen - warum nicht sonnabends?
© dpa/Matthias Balk

Gefährlicher Corona-Blindflug in der Schulpolitik: Die Planlosigkeit der Bildungspolitiker ist unverantwortlich

Auch im neunten Monat des Coronavirus gibt es keine einheitliche Strategie für Schulen. Das ist katastrophal für Lehrkräfte und Schüler. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Amory Burchard

Daunenjacken, Mützen und riesige Schals, die auch als Wolldecken dienen. Fenster alle 20 Minuten weit auf, Stoßlüften. Endlich können die Masken für ein paar Minuten runter. Die Jugendlichen atmen durch, mit dem maximalen Abstand zum Sitznachbarn.

So geht es idealerweise in einer Schule zu, die sagt: Wir tun alles, um die größtmögliche Menge an Schülerinnen und Schülern weiterhin in Präsenz zu unterrichten. Wir ziehen uns in jeder Hinsicht warm an und machen sehr viel mehr, als vorgeschrieben ist.

Diesem Idealbild steht aber die Realität auf Seiten der Schulbehörden und der Kultusbürokratie gegenüber. Was spätestens seit dem Ende der Herbstferien fehlt, ist eine bundesweite Regel, nach der Lernende und Lehrkräfte auch im Klassenraum Maske tragen müssen, auf dass es wie im Supermarkt zur alltäglichen Gewohnheit wird.

Deshalb können Kollegien und Eltern, denen das Maskentragen für sich selber oder für ihre Kinder zu unbequem ist, querschießen – und so das Risiko befördern, dass Coronafälle in die Schulen hineingetragen werden.

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Der Blindflug der Kultusministerkonferenz in die Bildungskatastrophe begann schon im Frühjahr, als es den Ländern freigestellt wurde, an Vergleichsarbeiten teilzunehmen. Damit gibt es keinen wissenschaftsgeleiteten Überblick, welche Schüler im ad hoc erteilten Fernunterrichts welchen Stoff versäumt haben.

Und was sie bei zumindest halbierter Lernzeit und ohne persönlichen Kontakt zu ihren Lehrkräften und Klassenkameraden an sprachlichen und sozialen Kompetenzen verlernt haben. Das darf nicht wahr sein in der Bildungsrepublik Deutschland? Ist es aber.

Wie ein idealer Schulalltag aussehen könnte

Im idealen Schulalltag geht es jetzt weiter im Text – mal aus dem Schulbuch, mal vom Tablet. Dann wenden sich alle Augen zum Smartboard, an der die Lehrerin Zusammenhänge herstellt. Es klingelt zum Ende des Schultags. Die Lehrkraft kommt hinter ihrer Plexiglaswand hervor und lächelt in die Runde. Mit den Augen, denn jetzt trägt auch sie ihren Mund-Nasen-Schutz. Wieder alles richtig gemacht, hier und heute kann sich nach menschlichem Ermessen niemand angesteckt haben.

Morgen sehen sich alle wieder – in der Schule, im Klassenverband und mit den Lehrkräften, die ihre Schutzbefohlenen und deren Stärken und Schwächen genau kennen. Die Klasse kann nun gehen, die Lehrkraft macht weiter. Online, mit denjenigen, die erkältet sind, die in Quarantäne sind und zu Hause lernen müssen. Dabei werden sie auch vormittags nicht allein gelassen, sondern von Kollegen angeleitet, die gerade aus dem Homeoffice arbeiten.

Doch auch dazu gibt es in der Realität des neunten deutschen Coronamonats keine Verpflichtung. Einen Quarantäne- und Krankheitsplan, nach dem feststeht, in welcher Weise Schülerinnen und Schüler zu Hause unterrichtet werden, gibt es nur in Einzelfällen. Vorschrift ist er nicht. Auch die stadt- oder landesweite Zahl der Schüler*innen und Lehrkräfte in Quarantäne sickert nur da durch, wo Medienanfragen Ministerien zur Auskunft zwingen.

Die Schulminister zeigen weder Mut noch Kraft

Selbst wenn einzelne Schulleitungen und Kollegien den Mut und die Kraft haben, das Recht auf Bildung in Coronazeiten bestmöglich zu verteidigen: Die Schulminister zeigen beides nicht, jedenfalls nicht mit einer gemeinsamen und plakativen Strategie, die es bräuchte, um alle an Schule Beteiligten mitzunehmen. Eine Strategie gegen das Virus in der Schule, gegen drohende Schulschließungen und gegen einen Fernunterricht für alle, der zu viele trotz mancherorts besserer technischer und didaktischer Ausstattung weiter zurückfallen lassen würde.

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Diese Konzeptlosigkeit, in die die Bildungspolitik Lehrkräfte, Kinder, Jugendliche und Eltern seit den Sommerferien entlassen hat, ist unverantwortlich. Halbwegs sicher kommen nur diejenigen weiter, die einen idealen Plan A für den Präsenzunterricht haben, der Onlinemedien einbezieht. Und damit geübt sind für Plan B, wenn eine Schließung der Schule doch nicht zu verhindern ist.

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