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Demnächst könnten Klassen halbiert werden, um die Ansteckungsgefahr zu verringern.
© Jonas Güttler/dpa

Kleinere Lerngruppen und mehr Homeschooling: Eingeschränkter Schulbetrieb droht – Berlin nicht vorbereitet

Bund und Länder könnten am Montag eine Entscheidung zum Schulunterricht fällen. Kritiker sagen: Man hat bei der Erprobung geteilter Klassen Zeit verspielt.

Der Wochenbeginn hat es in sich. Während alle Gymnasien und Sekundarschulen in Berlin ihre Stundenpläne umschreiben müssen, um einen zeitlich gestaffelten Schulbeginn zu organisieren, droht schon die nächste Verschärfung der Corona-Maßnahmen, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag mit den Ministerpräsidenten zusammentrifft: Dem Vernehmen wird es darum gehen, ob der Schulbetrieb an den weiterführenden Schulen eingeschränkt wird.

Genug Anzeichen gibt es – allen voran die jüngsten Äußerungen des SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach. Seit Tagen drängt er darauf, an den Schulen „mehr“ zu machen, um die Infektionen zurückzudrängen. 

Am Wochenende wurde er konkreter, als er im sozialen Netzwerk Twitter schrieb, dass eine Klassenteilung seines Erachtens nötig sei: „30 Schüler pro Klasse sind durch Lüften alleine nicht sicher zu unterrichten“, so Lauterbach weiter. Gleichzeitig warnte er aber vor Komplettschließungen: „Schule muss offen bleiben. Kinder haben schon zu viel Unterricht verloren“, warnte der Bundestagsabgeordnete, der auch Mediziner und Epidemiologe ist.

Lauterbach wurde noch konkreter: „Oft höre ich: Schwache Schüler brauchen Präsenz. Wenn man das ernst meint, muss man eben die schwächeren Schüler beim Präsenzunterricht bevorzugen“.

Falls Lauterbach sich am Montag durchsetzt, wofür die Stimmungslage angesichts der hohen Infektionsraten spricht, dürften all jene aufschreien, die seit Monaten versuchen, den Unterricht mit geteilten Klassen zu erproben - und daran gehindert wurden und werden. 

Über solche Fälle berichten Elternvertreter, Schulleiter und die grüne Bildungsexpertin Stefanie Remlinger vergangene Woche bei einer Diskussion in Pankow. Demnach haben mehrere Schulen erfolglos beantragt, die Lerngruppen zu teilen: Sie wollten zu versetzten Zeiten immer nur die Hälfte der Schüler in die Schulen lassen und die andere Hälfte auf unterschiedliche Weise mit Lernmaterial versorgen und in den Unterricht einbinden.

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„Es ist völlig unverständlich und aus meiner Sicht unverantwortlich, dass es Schulen in der Zeit zwischen den Beschränkungen des Schulbetriebs verwehrt wurde, die aus dem ersten Lockdown gewonnen Erfahrungen auszuwerten, umzusetzen und für die Weiterentwicklung ihrer Unterrichtsmodelle zu nutzen“, sagte Remlinger dem Tagesspiegel am Sonntag. All das werde „jetzt bitter fehlen, wenn die Schulen von heute auf morgen komplett umschalten sollen“.

„Viele Schulen haben ein Alternativszenario mit hybridem Lernen entwickelt und teils auch schon ausprobiert", so ein Sprecher der Bildungsverwaltung dazu. „Das Ausprobieren für ein, zwei oder drei Tage in der Woche untersagen wir auch keineswegs, nur das komplette Umstellen wollen wir derzeit vermeiden.“

Eltern sollen entlastet werden

Die Halbierung der Lerngruppen wird aktuell in erster Linie für die weiterführenden Schulen erwogen. Das hängt damit zusammen, dass der Anteil der Infizierten bei den 15- bis 19-Jährigen wesentlich höher ist als bei der jüngeren Jugendlichen und Kindern. Die so genannte Sieben-Tage-Inzidenz, also der Anteil der Betroffenen innerhalb der vergangenen Woche, liegt in der besagten Altersgruppe bei 335 Fälle auf 100.000.

Höher ist dieser Indikator nur bei den 20- bis 24-Jährigen (344). Bei den Zehn- bis 14-Jährigen (215) wiederum ist er mehr als doppelt so hoch wie bei den Fünf- bis Neunjährigen (160). Der Berliner Schnitt beträgt 208 Fälle auf 100.000.

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Die älteren Schüler stehen aber nicht nur wegen der höheren Infektionszahlen im Fokus bei der Frage nach reduzierten Präsenzunterricht, sondern auch, weil sie besser mit digitalen Lernangebote zurechtkommen als die jüngeren und weil sie nicht mehr so stark wie die jüngeren auf die Betreuung durch die Eltern angewiesen sind.

Letztgenannter Punkt ist besonders wichtig, weil viele Familien noch unter den Folgen des ersten Lockdowns leiden, als sie wegen der Schul- und Kitaschließungen monatelang nicht richtig arbeiten konnten.

Viele Klassenarbeiten wurden in den vergangenen Wochen geschrieben

Wegen des drohenden zweiten (Teil-)Lockdowns haben die Schulen in den vergangenen Wochen bereits aufs Tempo gedrückt und viele Klassenarbeiten geschrieben, um überhaupt eine Grundlage für Zensuren zu haben. Dennoch dürfte es schwierig werden, mit reduziertem Präsenzunterricht das Pensum zu schaffen, zumal viele Schüler auch noch Lernlücken aus dem ersten Lockdown haben. 

Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD).
Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD).
© Christoph Soeder/dpa

Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) hatte deshalb die ganze Zeit als oberste Prämisse genannt, dass der Präsenzunterricht vollständig abgehalten werde solle. Erst als sich Ende vergangener Woche abzeichnete, dass die Bundesregierung zu weiteren Vorsichtsmaßnahmen an den Oberschulen greifen werde, entschied Scheeres sich zusammen mit dem Hygienebeirat auf die Schnelle für eine Maskenpflicht an den weiterführenden und Berufsschulen ab Mittwoch.

Zudem sollen die Schulen den Unterrichtsbeginn zwischen acht und zehn Uhr staffeln, damit die Schüler sich nicht gleichzeitig in den Bussen und Bahnen begegnen. Dies aber wird unweigerlich zu Unterrichtseinbußen führen, weil die ausfallenden Stunde nicht einfach hinten rangehängt werden können.

Überdies droht den Lehrern und Schülern jede Menge Frust, wenn sie versuchen sollten, den Unterricht per Video nach Hause zu übertragen, wo unter Umständen bald die zweite Hälfte der Schüler lernen soll: An das leistungsfähige Glasfasernetz, das solche Datenmengen problemlos transportieren könnte, ist noch lange nicht zu denken: Wie berichtet, ist die Ausschreibung für die Anbindung der Schulen noch nicht einmal veröffentlicht.

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