Kolumne: Wiarda will's wissen: Die Krise als Chance für die Schulen
Kitas und Schulen haben in der Krise eine enorme gesellschaftliche Aufwertung erfahren. Daraus ergibt sich eine Riesenchance, meint unser Kolumnist.
Am heutigen Montag wollen Merkel und die Ministerpräsidenten eine Zwischenbilanz im „Wellenbrecher“-Shutdown ziehen. Dass die bisher beschlossenen Maßnahmen ein Riffchen waren im Vergleich zum Riesen-Riff, das die Märzwelle brach, wird keiner bestreiten. Die Geschäfte sind offen, viel mehr Leute gehen weiter ins Büro – und anders als im Frühjahr wurden die Kitas und Schulen nicht zugesperrt.
Das heißt nicht, dass die Beschlüsse von vor zwei Wochen nicht wirken. Das heißt nur, dass das Runterbringen der Infektionszahlen mehr Zeit in Anspruch nehmen könnte. Zu viel Zeit? Das ist die entscheidende Frage, um die es heute gehen wird in der Runde der Regierungschefs, die um jeden Preis eine Überlastung der Intensivstationen vermeiden wollen.
Die Lehrerverbände pushen seit Wochen zunehmend schrill für ein Ende des täglichen Präsenzunterrichts, der RKI-Chef berichtet, dass vermehrt Corona-Fälle in Schulen auftreten. Während die Kultusminister sich weiter gegen ein Mischmodell aus Vor-Ort- und Digitalbeschulung sperren. Sie wissen: Die meisten Schulen sind nicht so weit, die sozialen Verwerfungen wären wie im Frühjahr erheblich.
Werden ältere Schüler in den Wechselbetrieb geschickt?
Es ist zu hoffen, dass die Kitas und Grundschulen auch nach dem Gipfeltreffen mit Merkel weiter jeden Tag für alle Kinder offenstehen werden. Denkbar ist, dass die Kultusminister von ihren Chefs die Ansage erhalten, die älteren Schüler in den Wechselbetrieb schicken – trotz der enormen Beeinträchtigungen, die dies bedeuten würde. Umgekehrt sind die Corona-Fälle unter älteren Jugendlichen eben auch deutlich häufiger, womit sie stärker zur Pandemie-Dynamik beitragen, auch die meisten Ausbrüche geschehen an weiterführenden Schulen.
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Doch egal, wie es weitergeht und so paradox es klingt: Während Kinder zu den größten Verlierern der Pandemie gehören, zählen Kitas und Schulen zu den Institutionen, die durch die Krise – zumindest oberflächlich betrachtet – eine enorme gesellschaftliche Aufwertung erfahren haben. Nie gab es so emotionale Bekenntnisse von Regierungschefs, nie so viele Leitartikel führender Meinungsmacher, dass Kitas und Schulen unverzichtbar seien als Lernorte, als soziale Orte, als entscheidende Ankerpunkte der Gesellschaft insgesamt.
[Jan-Martin Wiarda ist Journalist für Bildung und lebt in Berlin. Auf seinem Blog www.jmwiarda.de kommentiert er aktuelle Ereignisse in Schulen und Hochschulen.]
Aus manchen Äußerungen mag viel schlechtes Gewissen wegen der Behandlung der Jüngsten vor allem in der ersten Welle sprechen, aber auch viel ehrliche Einsicht ist dabei.
Woraus sich eine Riesenchance ergibt: Dass tausende Schulen hierzulande marode sind, die technische Ausstattung indiskutabel und der Lehrermangel eklatant, dass uns all das noch dazu besonders jetzt in der Pandemie auf die Füße fällt, kann man, wenn man es sich leicht machen möchte, einzig und allein vermeintlich unfähigen Kultusministern vorwerfen.
[Die aktuellen Zahlen: Für Deutschland trägt der Tagesspiegel die Zahlen live aus allen Landkreisen zusammen. Demnach gab es Stand Mittwochabend (11.11.2020) 247.009 aktive Fälle. Weltweit gibt es der Johns-Hopkins-Universität nach rund 51,6 Millionen Infektionsnachweise und mehr als 1,27 Millionen Menschen starben an oder in Verbindung mit einer Covid-19-Erkrankung.]
Oder man ist so ehrlich und gibt zu: Ihre Position am Ende der Hackordnung vieler Landesregierungen und, folglich, die bis ans Kaputtsparen grenzende Knauserigkeit vieler Finanzminister, sobald ihre Kultus-Kollegen aufliefen, spiegelte schlicht die gesamtgesellschaftliche Indifferenz wider, mit der Bildungseinrichtungen seit Jahrzehnten kämpfen.
Kitas und Schulen müssen politische Priorität bekommen
Wer politisch an die Spitze drängte, wer es auf die ersten Zeitungsseiten schaffen wollte, redete, ostentative Bildungsgipfel ausgenommen, über alles Mögliche, Sicherheit, Finanzen, Wirtschaft, aber nicht über Kinder, Kita, Schulen, solchen Kram. Weil der öffentliche Erwartungsdruck fehlte.
Das ist in der Krise anders geworden. Noch warten wir allerdings darauf, dass sich die Rhetorik auch in eine finanzielle Priorisierung der Schulen abseits zusätzlicher Endgeräte-Millionen ummünzt. Bei konkreten Sicherungsmaßnahmen für die Schulen folgten die meisten Länder bisher weiter der vertrauten Linie: möglichst wenig Geld ausgeben.
Damit sich das ändert, müssten wir es aber auch als Gesellschaft erst einmal selbst ernst meinen. Und die Bildungspolitik der Regierungschefs jetzt, vor allem aber auch nach der Krise, an ihren Schulschwüren messen. Dann, nur dann, könnte die Coronakrise einen nachhaltigen Bildungsaufbruch bedeuten.
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