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Ein Thermometer an einer Hauswand in Frankfurt/Main
© dpa/Frank Rumpenhorst

Gesundheitsgefahr durch hohe Temperaturen: „Die Kranken werden kränker“

Hitze kann tatsächlich tödlich sein. Charité-Arzt Christian Witt fordert deshalb speziell dem Wetter angepasste Therapien und mehr Klimaanlagen in Kliniken.

Christian Witt (65) ist Internist und Leiter des Arbeitsbereiches Ambulante Pneumologie der Charité am Campus Mitte.

Für seine Forschung kooperiert er auch mit dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.

Herr Witt, das Robert Koch-Institut schätzt für vergangenes Jahr die Zahl der Hitzetoten auf fast 500. Sind alle davon an einem Hitzschlag gestorben?

Nein. Ein Hitzschlag ist ein medizinischer Notfall, der entsteht, wenn die Wärmeregulation des Körpers versagt und die Körperkerntemperatur auf Werte von über 40 Grad ansteigt. Das sind die Folgen von akutem Hitzestress. Solche Fälle machen aber nur einen Bruchteil aus. Häufiger liegen die Gründe in einer fehlenden Anpassungsfähigkeit des Körpers.

Wer ist besonders gefährdet?
Ältere Menschen können sich nicht mehr so gut an Wärme und Extremwetterlagen adaptieren wie junge Leute. Irgendwann ist die Grenze der Anpassungsfähigkeit erreicht. Wenn solche Menschen dann in einer Hitzephase sterben, werden sie als zusätzliche Tote gezählt, die durch die Umweltbedingungen gestorben sind.

Die Zahl wird statistisch erhoben, über einen Zusammenhang zwischen den hohen Temperaturen und der Sterblichkeit im gleichen Zeitraum. Allerdings sehe ich generell das größte Problem bei der Hitze nicht so sehr in den Todesfällen. Das sind vergleichsweise wenige. Das echte Problem ist ein anderes: Die Kranken werden kränker.

Welche Krankheiten spielen da eine Rolle?
Besonders gefährdet sind chronisch kranke Menschen, zum Beispiel solche mit Bluthochdruck, Herzschwäche oder Diabetes, aber auch Patienten mit chronischer Bronchitis oder Asthma. Also Personen, die ohnehin schon ein Handicap haben.

Woran liegt das?
Ihr Herz kann zum Beispiel das Pumpvolumen nicht mehr so einfach steigern. Zudem schaffen es die meisten nicht, genug zu trinken. Das ist aber wichtig, damit die inneren Organe weiterhin ausreichend durchblutet werden. Der Körper kann sich selbst nicht mehr vor der Hitze schützen.

Und wenn der Arzt dann bei den aktuellen Temperaturen am Telefon zu ihnen sagt „Kommen Sie mal vorbei“, dann kann das, überspitzt gesagt, ihr letzter Weg sein – die entscheidende Mehrbelastung. Es ist wichtig, dass Ärzte so etwas auf dem Schirm haben. Generell werden die Umweltbedingungen noch viel zu wenig berücksichtigt, auch bei der Behandlung.

Der Charité-Internist Christian Witt (65)
Der Charité-Internist Christian Witt (65)
© Privat

Wie meinen Sie das?
Nicht nur die Erkrankung macht anfällig für die Hitze, sondern auch deren Therapie. Beispiel Blutdruckmittel: Damit dreht man an wichtigen physiologischen Stellschrauben. Wird der Blutdruck medikamentös gesenkt, kann der Körper sich nicht mehr anpassen. Bei Hitze werden die Hautgefäße weitgestellt, damit Wärme aus dem Körperkern abgeführt wird.

Der Blutdruck würde daher bei Hitze sinken. Der Körper kann gegenregulieren, damit die inneren Organe noch ausreichend durchblutet werden. Das funktioniert aber unter Umständen wegen der Medikamente nicht ausreichend. Das kann dazu führen, dass der Blutdruck zu niedrig bleibt und selbst der Gang zur Toilette kaum noch möglich ist.

Wie könnte man dieses Problem lösen?
Man müsste die Dosis des Medikaments an die Umgebungsbedingungen anpassen. Aktuell nehmen die Menschen bei 35 Grad dieselbe Dosis wie an einem Januartag, an dem die äußeren Bedingungen ganz andere sind. Die Lösung wäre eine wetteradaptierte Arzneimitteltherapie, sodass man die negativen Effekte bei Hitze nicht noch durch die Behandlung verstärkt. Das Ziel ist, dem Patienten sagen zu können, er soll dieses oder jenes Medikament an besonders heißen Tagen lieber einmal weglassen. Diese Aspekte sind weltweit noch in keiner Leitlinie berücksichtigt. Man muss das sich verändernde Klima ins Bewusstsein von Ärzten und Patienten bringen.

Gibt es Forschungsansätze dafür?

In einem Forschungsprojekt in Berlin untersuchen wir zum Beispiel derzeit an 500 Patienten, welche Medikamente jene Patienten nehmen, die bei hohen Temperaturen in die Notaufnahmen kommen. Wir schauen, ob es Unterschiede gibt. Unser Augenmerk liegt dabei darauf, ob Patienten mit bestimmten Medikamentenkombinationen anfälliger für die Hitze sind als solche, die andere Medikamente einnehmen. Die Vermutung dahinter ist, dass bestimmte Medikamentenkombinationen Patienten generell anfälliger für Hitzestress machen könnten.

Woran leiden chronisch kranke Menschen bei der Hitze konkret?
An einer Zunahme ihrer Beschwerden. Wenn jemand Luftnot hat, hat er bei Hitze mehr Luftnot. Patienten mit Lungenkrankheiten husten häufiger, weil die Bronchien enger werden, Patienten mit Herzschwäche sind besonders schnell erschöpft. Die Leistungsfähigkeit nimmt rapide ab. Die Menschen merken, dass es ihnen nicht gut geht. Ich habe Patienten, die fahren an solchen heißen Tagen drei Stunden Auto. Nicht, weil sie irgendwohin müssten, sondern weil es durch die Klimaanlage der kälteste Ort ist und nur dort ihre Beschwerden weniger werden.

Sind wir also zu schlecht auf die hohen Temperaturen eingestellt?
Wir brauchen solche Orte auch in unseren Behausungen. Wir müssen uns überlegen, ob wir nicht zumindest einen Raum klimatisieren wollen. Damit gehen die Beschwerden zurück, die Schlafqualität steigt. Das könnte auch dazu beitragen, Aufnahmen ins Krankenhaus zu verhindern. Langfristig müsste man sich fragen, ob nicht vielleicht die Krankenkassen so eine Klimatisierung in privaten Wohnungen finanzieren könnten.

Wie wichtig ist Klimatisierung in Krankenhäusern?
In der Charité haben wir zwei Klimazimmer, in denen die Temperatur auf 23 Grad eingestellt ist. Die Kälte strahlt mit Hilfe spezieller Technik aus den Wänden und Decken ab. Es macht einen Riesenunterschied, ob im Patientenzimmer 23 oder 30 Grad sind. In einer Studie haben wir untersucht, welche Effekte so eine moderate Klimatisierung auf den Behandlungsverlauf von Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen hat. Die Patienten in den klimatisierten Zimmern mussten nicht so lange behandelt werden, fühlten sich weniger krank und konnten früher wieder mobil sein.

Trotzdem sind in vielen Krankenhäusern nur die Intensivstation und die OP-Trakte klimatisiert, aber eben nicht die Normalstationen.
Ich sage ja nicht, dass dort alle Räume klimatisiert werden sollen, aber ein paar Zimmer wären sinnvoll. Es geht darum, ein Bewusstsein zu schaffen, damit auch in den Klinikverwaltungen solche Aspekte diskutiert werden. In den vergangenen zehn Jahren hat sich da einiges getan. Und jeder heiße Sommer fördert das Bewusstsein.

Was könnte während Hitzewellen heute schon umgesetzt werden?
Betreuung via Telefon. Der Arzt könnte die Patienten dann beraten, ohne dass diese bei der Hitze ihre Wohnung verlassen müssten. In einer Studie konnten wir zeigen, dass so das Risiko gesenkt werden kann, dass sich der Zustand von Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung während einer Hitzephase verschlechtert.

Brauchen wir dafür mehr Kapazitäten?

Auch das muss untersucht werden. In New York haben Wissenschaftler ausgerechnet, dass man allein wegen der Hitze 500 Aufnahmebetten mehr bräuchte. Schauen Sie sich unsere aktuelle Politik an. Die streicht doch die Betten, wo sie nur kann. Davor kann ich nur warnen: Erhaltet die Kompetenz, wir brauchen sie noch.

Was raten Sie Patienten während der Hitze konkret?
Man kann es nicht oft genug wiederholen: Trinken, trinken, trinken! Das A und O ist, dem Körper Volumen zuzuführen und Anstrengung zu vermeiden.

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