Anpassung an Extremtemperaturen: Das geheime Leben des Körpers in der Hitzewelle
Hohe Temperaturen belasten den menschlichen Organismus stark. Er ist dagegen gewappnet – kann aber Hilfe gebrauchen.
Kaum etwas reguliert der Körper strenger als seinen Wärmehaushalt. Die Körperkerntemperatur, also jene der inneren Organe und des Gehirns, muss konstant gehalten werden. Schon bei 38 statt 37 Grad leidet etwa die Leistungsfähigkeit des Gehirns deutlich. Stoffwechselvorgänge laufen dann schneller ab und produzieren noch mehr Wärme. Steigt die Temperatur weiter, können die Eiweiße im Organismus derart beeinflusst werden, dass sie ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen können.
Eine Hitzewelle, wie sie bevorsteht, verlangt dem Körper alles ab. Doch zumindest ist der Mensch eines der an Hitze bestangepassten Tiere überhaupt. Das liegt an seiner Entwicklungsgeschichte als kaum behaarter jagender Ausdauerläufer in der afrikanischen Savanne.
FKK-Sollwert 28 Grad
Der Bereich, in dem Menschen die Umgebungstemperatur als behaglich empfinden, ist relativ schmal. Diese „Indifferenztemperatur“ hängt auch von der Kleidung ab. „Nackt beträgt sie etwa 28 Grad, mit Standardkleidung dagegen – einem Anzug etwa – rund 21“, sagt Hanns-Christian Gunga, Physiologe und Experte für Extrembedingungen am Zentrum für Weltraummedizin der Berliner Charité. Bei diesen Temperaturen muss der Körper am wenigsten Energie investieren, um den Wärmehaushalt zu regulieren.
Dieser funktioniert über ein in der Evolution entstandenes komplexes System. Sensoren, die im Körperinneren und in der Haut verteilt sind, melden die aktuellen Temperaturwerte an den Hypothalamus. Dieses übergeordnete Regelzentrum im Gehirn gleicht sie mit dem Sollwert ab. Wird es draußen heiß, droht Überhitzung. Dann werden verschiedene Mechanismen in Gang gesetzt.
Wärme abstrahlen
Um Wärme loszuwerden, steigert der Körper zuerst die Durchblutung der Haut, indem sich die Blutgefäße dort weiten. Dadurch wird das erwärmte Blut aus dem Körperinneren vermehrt an die Oberfläche geleitet. Von dort aus kann die Wärmeenergie leichter auf die Umgebung übergehen. „Das merkt man etwa daran, dass der Ehering schlechter vom Finger geht oder man die Schuhe schwerer vom Fuß bekommt“, sagt Gunga.
Normalerweise fließen nur maximal zehn Prozent des Blutes durch die Haut. Bei steigenden Temperaturen aber seien es bis zu achtzig. Diese Umverteilung geht zulasten der inneren Organe. Der Magen-Darm-Trakt etwa bekommt nur noch so viel Blut, wie gerade nötig ist. Auch deshalb isst man im Sommer besser kleinere Portionen von leicht Verdaulichem als einen fetten Braten. Sonst müssen Magen und Darm doch wieder mit Blut versorgt werden, das dann zur Kühlung fehlt.
Die reduzierte Durchblutung im Verdauungstrakt sei auch ein wenig bekannter, aber wichtiger Grund für den Durchfall, der Reisende in südlichen Ländern oft heimsucht, sagt Gunga: Fehlt Blut im Darm, fehlen auch Immunzellen, die Keimen den Garaus machen könnten.
Das Herz als etwas andere Wärmepumpe
Dieses Umverteilen des Blutes ist eine Taktik zur Kühlung. Sie allein reicht aber meist nicht. Zusätzlich pumpt das Herz bei Hitze statt fünf Litern bis zu 15 Liter Blut pro Minute durch den Körper. So wird dreifach mehr erwärmtes Blut in die Peripherie gedrückt. Bei einer länger andauernden Hitzewelle kann aber genau das zum Problem werden.
Kritisch wird es vor allem, wenn die Außentemperatur auch nachts nicht unter 20 Grad abfällt. Das Herz muss dann rund um die Uhr auf erhöhtem Niveau arbeiten. Vor allem für Menschen mit einer Herz-Kreislauf-Erkrankung kann das lebensgefährlich werden. Wie das Robert Koch-Institut berichtet, sind allein in Berlin im Sommer 2018 fast 500 Menschen an den Folgen der Hitze gestorben. „Die meisten Todesfälle bei einer Hitzewelle treten am zweiten oder dritten Tag auf, weil sich das Herz-Kreislauf-System nachts nicht erholen kann“, sagt Gunga. Besonders anfällig sind Menschen mit chronischen Herz-Kreislauf-, Stoffwechsel- oder Lungenkrankheiten – und Senioren generell.
Schwitzen und trinken
Dazu komme, dass die meisten Menschen tagsüber zu wenig tränken und deshalb zu wenig Volumen im Körper sei. Gunga empfiehlt deshalb, sich bereits, wenn die Hitzewelle erst einmal nur Teil der Wettervorhersage ist, morgens und abends nach dem Wasserlassen auf die Waage zu stellen. So erfährt man das eigene normale Körpergewicht. Während der Hitzewelle wögen Personen nicht selten abends ein bis zwei Kilogramm weniger als morgens.
Weil es sich dabei nicht um Folgen eines plötzlichen Fettverlusts, sondern fast ausschließlich um Wassermangel im Körper handelt, kann man sich darüber nicht freuen. Der Charité-Mediziner rät, die Differenz noch am Abend mit einem Schorle aus viel Wasser und etwas Fruchtsaft auszugleichen. Bei einem Minus von 1,5 Kilo auf der Waage muss man also anderthalb Liter trinken. So beginnt auch der nächsten Tag nicht gleich mit einem Flüssigkeitsdefizit.
Trinken ist umso wichtiger, je höher die Außentemperaturen klettern. Denn dann funktioniert die Wärmeabgabe über die Haut und die Abstrahlung in die Umgebung immer schlechter. Je geringer der Temperaturunterschied zwischen Körper und Umwelt wird, desto weniger kann die eine Seite an die andere abgeben. Steigt die Temperatur der Luft über 37 Grad, kehrt sich der Wärmefluss sogar um. Dann hilft aber immer noch das effektivste Kühlungssystem, das Menschen zur Verfügung steht: Schwitzen. Bei der Verdunstung der Schweißtröpfchen auf der Haut wird viel Wärme freigesetzt und an die Umgebung abgegeben. Es entsteht so gleichsam Kälte.
Anpassung an die Hitze
Ein erwachsener Mensch kann normalerweise zwei Liter pro Stunde ausschwitzen. Ein trainierter und hitzeadaptierter dagegen schafft bis zu vier Litern. Denn es macht einen Unterschied, ob hohe Temperaturen erstmals im Jahr auftreten, oder ob man der Hitze schon länger ausgesetzt ist. „Nach etwa zwei Wochen gewöhnt sich der Körper an die Hitze, man schwitzt schneller und mehr“, sagt Gunga. Außerdem verändere sich das „Schweißprofil“: Man schwitze dann „weniger am Körperstamm, aber mehr an Armen und Beinen, außerdem verliert man mit der Zeit weniger Elektrolyte“. Dadurch könne der Schweiß auch schneller verdunsten, die Kühlung durch Schwitzen wird so noch effektiver. Außerdem erhöht sich das Volumen des Blutplasmas. Das Herz muss somit etwas weniger schlagen und wird entlastet.
Diese Anpassungen gehen vor allem darauf zurück, dass sich die Aktivität vieler Gene ändert. Dem Körper werden so Enzyme zur Verfügung gestellt, die für die Veränderungen bei Schweißzusammensetzung, Volumenregulation und ähnlichem gebraucht werden. Ihre Produktion anzuschieben dauert aber oft einige Tage – was insgesamt kein Nachteil ist. Denn auf jeden kleinen Hitzeschock gleich mit einer derart nachhaltigen Umstellung der ganzen Körperregulation zu reagieren, wäre alles andere als sinnvoll. Dauerhaft extrem heiße Temperaturen von über 35 Grad seien jedoch auch für gesunde und körperlich fitte Menschen kritisch. „Sie sind ständig damit beschäftigt, den Wasserverlust auszugleichen“, sagt Gunga.
Leistungsabfall
Auch auf die körperliche Leistungsfähigkeit wirkt sich die Hitze aus. Der Grund dafür liegt ebenfalls in jenem Blut, das vermehrt durch die Haut fließt. Das könne dann eben „nicht durch den Muskel gehen“, sagt Andreas Deußen, Leiter des Instituts für Physiologie der Medizinischen Fakultät der TU Dresden. Wie stark dadurch die maximale körperliche Leistungsfähigkeit sinke, hänge vor allem vom Belastungsgrad ab, aber auch von den äußeren Bedingungen.
In Studien wird dafür meist die „Wet Bulb Globe Temperature“ (WBGT) zugrundegelegt. Sie beruht auf einem ähnlichen Konzept wie die aus dem Wetterbericht bekannte „gefühlte Temperatur“ und berücksichtigt neben der Lufttemperatur auch Luftbewegung, Wärmestrahlung und Luftfeuchtigkeit. Um sie zu bestimmen, sind spezielle Geräte nötig.
Bei moderater körperlicher Arbeit mit 300 Watt Leistung sinke die Leistungsfähigkeit ab 29 Grad Celsius WBGT pro Grad etwa um 15 Prozent, sagt Gunga. „Bei 31 Grad können Sie nur noch die Hälfte der körperlichen Arbeit leisten, zu der sie bei drei Grad weniger in der Lage sind.“
Mit dem Klimawandel könne das in vielen schon jetzt warmen in Regionen zum Problem werden, weil Bauern dort mit steigenden Temperaturen körperlich immer unproduktiver würden. So steige allein dadurch – und jenseits aller anderen Einflussgrößen wie etwa fehlendem Regen oder Temperaturempfindlichkeit von Feldfrüchten – die Gefahr für Nahrungsmangel. Die Annahme, dort heimischen Menschen machten steigende Temperaturen nichts aus, sei schlichtweg falsch.
Leidet auch das Gehirn?
Wie aber sieht es mit der geistigen Leistungsfähigkeit aus? Bei sitzenden Tätigkeiten werden 23 bis 26 Grad Celsius nach Angaben des Umweltbundesamts als optimal empfunden. Wird es am Arbeitsplatz wärmer, könne die Produktivität einigen Untersuchungsergebnissen zufolge zwischen drei und zwölf Prozent abnehmen. Die Gründe dafür sind komplex und auch teilweise schlicht unbekannt.
Zwar wird das Gehirn Studien zufolge bei Hitze etwas weniger durchblutet. Das allein sei aber nicht der Grund für schlechtere Konzentration und Aufmerksamkeit bei längeren Hitzewellen, sagt Deußen. Wichtiger seien wahrscheinlich Flüssigkeitsmangel, nicht erholsamer Nachtschlaf und ein gestörter Biorhythmus.
Der kleine Unterschied – vielleicht
Ob es bei der Leistungsfähigkeit bei Hitze einen Unterschied zwischen Männern und Frauen gibt, sei umstritten, sagt Deußen. Im Mai hatte eine Studie für Aufmerksamkeit gesorgt, in der Forscher 543 Studierenden in Berlin Leistungstests in Form von leichten Rechenaufgaben, Worträtseln und Fangfragen der Art „Ein Schläger und ein Ball kosten zusammen 1,10 Euro, der Schläger kostet einen Euro mehr als der Ball, wie viel kostet der Ball?“ vorlegten. Von einer Runde zur nächsten erhöhten sie die Raumtemperatur von 16 auf schließlich 33 Grad Celsius.
Der Befund: Während die Leistungen der Männer mit der Wärme nachließen, wurden die der Frauen in zwei der drei Kategorien immer besser. Ein großer Teil der Unterschiede könnte allerdings darauf zurückzuführen sein, dass sich die Frauen bei höheren Temperaturen mehr angestrengt hätten, schreiben die Autoren. Just auf die Fangfragen-Tests hatte die Temperatur aber keinen Einfluss. Die Befunde sind also alles andere als klar.
Sicher ist, dass der Körper bei Wärme extra viel leisten muss – aber auch, dass man ihn dabei unterstützen kann. Vor allem sollte man auf ihn hören. Er wird von allein das Signal geben, es langsam angehen zu lassen und ihn bitte nicht zu überfordern. Meist meldet der Durst auch den erhöhten Flüssigkeitsbedarf – bei Senioren allerdings funktioniert auch das oft nicht mehr so gut. „Hitze ist immer anstrengend“, sagt Gunga. „Wichtig ist, wie man sich ihr gegenüber verhält.“
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WAS HILFT BEI HITZE?
Viel trinken! je nach körperlicher Anstrengung können es ruhig drei bis vier Liter sein. Am besten ist Wasser gemischt mit Saft, nur Sportler brauchen spezielle isotonische Getränke. Am besten sollte man lauwarm trinken, Eiskaltes stört die Magendurchblutung und der kühlende Effekt für den Körper ist minimal.
Alkohol ist schlecht, weil es die Gefäße zusätzlich weit stellt und zudem den Körper entwässert.
Beim Essen empfiehlt sich eher leichte Kost, etwa Salate oder etwas Hühnchen, um den Verdauungstrakt nicht zu stark zu belasten. Generell kleine Mahlzeiten, viel Obst und Gemüse.
Schlafen sollte man am besten bei geöffnetem Fenster mit einer leichten Bettdecke. Vor dem Zubettgehen kann man eine kühle, aber nicht zu kalte Dusche nehmen.
Vor allem und ältere Menschen sollten starke Hitze vermeiden und lieber in der Wohnung bleiben. Tagsüber sollte man die Fenster geschlossen lassen. Babys und Kleinkinder können noch nicht ausreichend schwitzen und sollten besonders geschützt werden.
Längere sportliche Anstrengungen sollte man jenseits von 30 Grad vermeiden oder in die frühen Morgen- oder Abendstunden verlegen.
Kleidung sollte luft- und damit auch wasserdampfdurchlässig sein, damit der Schweiß verdunsten kann. Außerdem weit geschnitten, damit Luft am Körper entlang strömen kann.
Hände, Nacken und Gesicht zwischendurch immer wieder mit kühlem Wasser zu waschen hilft ebenfalls.
Hinweis d. Redaktion: Wir haben den Vorspann wegen einer Wortdopplung angepasst.