"Klimazimmer" in der Charité in Berlin: Und Kassenpatienten müssen weiterschwitzen?
Die Stadt leidet unter der Hitze. In der Charité gibt es nun sogenannte Klimazimmer, um Kranke vor den hohen Temperaturen zu schützen. Unser Autor fordert das kalte Krankenzimmer als Kassenleistung. Eine Glosse.
Die Kühltheken von Lidl und Aldi sind Aktivposten im Kampf gegen den vorzeitigen Hitzetod. Gartenduschen wirken oberhalb der 40 Grad Marke lebensverlängernd, setzen aber Badekleidung voraus. Alternativ helfen auch Wadenwickel.
Aus John-Wayne-Western weiß man, dass nach einem langen Wüstenritt ein Whisky Wunder wirkt. (Für Eiswürfel fehlte im Saloon die technische Infrastruktur.) Von den Römern ist überliefert, sie kühlten die tödliche Mittagshitze mit palmwedelnden Sklaven herunter.
Mag so sein, aber stimmt das auch? Stehen diese primitiven Klimaregulierungstümeleien wirklich auf festem wissenschaftlichen Fundament? Die Charité hat jetzt zwei Patienten in ein künstlich gekühltes Krankenhauszimmer gesperrt. Vielleicht hilft das ja gegen den Hitzestress, vielleicht beschleunigt das sogar die Heilung.
Kühne, kühle Thesen. Die Mediziner fiebern den ersten Ergebnissen dieses Experiments entgegen. Eine wissenschaftliche Sensation, sollte sich das bewahrheiten – nobelpreisverdächtig. Das gekühlte Krankenzimmer, in Berlin erfunden, die bahnbrechendste Innovation seit dem Ventilator!
Aber so eine Primaklimaanlage ist Hightechmedizin und kostet. Am Ende werden wir Kassenpatienten weiterschwitzen müssen, unsere mitgebrachten Waschlappen wringen und auf die erhitzte Stirn legen. Vielleicht erlaubt uns der Chefarzt zwischendurch einen Spaziergang durch das wohltemperierte Klinik-Rechenzentrum.
Schwitzen ist gesund, hat meine Mama immer gesagt. Je mehr, desto gesünder. Nicht umsonst sind die Römer längst ausgestorben.
Im Ernst: Wie die Charité dem Hitzestress bei Patienten entgegenwirkt
Seit rund einem Jahr beobachten Spezialisten in der Lungenheilkunde der Berliner Charité, wie es chronisch kranken Patienten ergeht, die in zwei sogenannten „Klimazimmern“ liegen. Die Kühle strahlt mittels spezieller Technik kaum spürbar aus Wänden und Decken ab. Fühler registrieren Temperaturänderungen, Sonneneinfall und Luftfeuchtigkeit. Die Bewegungen der Männer werden ebenfalls erfasst. Es geht nicht ums Wohlfühlen, sondern um die oft tödlichen Folgen von Hitzestress.
Die Stadt als Wärmespeicher
„Seit Hitzesommern mit 60.000 zusätzlichen Todesfällen in Europa ist das Thema ins Bewusstsein gerückt“, sagt der Mediziner André Schubert, der die Studie mitbetreut. Gekühlte Zimmer in Kliniken sind zwar nicht neu, ihr Nutzen aber weitgehend unerforscht. Durch längere Wärmeperioden verursachter Stress ist in Großstädten zunehmend ein Problem, weil Beton und Asphalt die Wärme auch lange nach dem Abklingen der Hitze speichern.
In Berlin haben sich Wissenschaftler in einem Projekt zusammengeschlossen, um das Phänomen zu untersuchen. „Hitzestress ist mehr als Unwohlsein und gestörte Konzentration“, sagt Projektsprecher Dieter Scherer von der TU Berlin.
Mehr Hitze, mehr Todesfälle
Vor allem für Kranke bleibt es nicht bei harmlosen Einschränkungen im Alltag: „Wir beobachten einen deutlichen Anstieg der Sterblichkeit, sobald an drei Tagen in Folge draußen der Mittelwert von 21 Grad überschritten ist“, sagt Scherer. Er rechnet vor: Bis zu 1600 Menschen sterben allein in Berlin in Hitzeperioden zusätzlich jedes Jahr. Die Ersten, die Notaufnahmen aufsuchen, seien Menschen mit Herzproblemen – und Lungenkranke, die Probleme mit der Atmung bekommen.
In Berlin hat das Projekt schon erste Wirkung gezeigt: „Die Patienten im Klimazimmer fühlten sich besser, bewegten sich schneller wieder und konnten im Schnitt etwa anderthalb Tage eher entlassen werden als Patienten im Normalzimmer“, sagt Lungenspezialist und Studienleiter Christian Witt. (mit dpa)