Von der Gefahr zum Helfer: Die guten Mücken
Zika, Dengue, Chikungunya: Statt Seuchen zu übertragen, sollen Mücken diese künftig stoppen – mithilfe eines Bakteriums. In Brasilien und Kolumbien beginnen nun Projekte in Großstädten.
Dale sitzt ganz am Ende der Laborbank. Er tut nichts, hält nur still, während sein Arm bis zum Ellenbogen in einem 30 mal 30 Zentimeter großen Käfig steckt. Hinter dem Netz sirren 600 Mücken. Es ist Fütterungszeit. Einige Weibchen haben sich bereits auf der Haut des freiwilligen Mückenopfers niedergelassen, lediglich die Hand ist durch einen Plastikhandschuh geschützt. Wenn er zehn Käfige hinter sich hat, ist jede freie Stelle mit Stichen übersät. Warum tut er sich das an? Dale verzieht keine Miene. Es gibt Geschenkgutscheine, sagt er.
„Diese Mücken mögen am liebsten Menschen“, sagt Cameron Simmons. „Tierblut ist nicht so gut, dann sind sie nicht fit genug.“ Dem Tropenmediziner von der Monash University in Melbourne ist das Wohlergehen seiner Insekten wichtig. Denn mit ihrer Hilfe wollen er und seine Kollegen gegen Viren wie Dengue, Chikungunya und Zika zu Felde ziehen.
Mücken gehören zu den gefährlichsten Tieren der Erde. Von den rund 3500 verschiedenen Arten fallen ein paar hundert vorzugsweise über den Menschen her. Anopheles-Mücken beispielsweise übertragen Malaria und bringen rund 400 000 Infizierte pro Jahr um. Aedes-Mücken sind für todbringende Gelbfieber-Epidemien verantwortlich, zuletzt in Angola und im Kongo. Sie infizieren ihre Opfer in fast 70 Ländern mit Zika und bedrohen damit ungeborene Kinder. Sie verbreiten Chikungunya und stecken 390 Millionen Menschen in den Tropen und Subtropen mit dem „Knochenbrechervirus“ Dengue an. „Meine Familie hatte Dengue. Es geht einem dabei hundselend“, sagt Simmons. Verglichen mit Mücken seien Haie gar nichts.
Sprühaktionen sind politischer Aktionismus
Große Gebiete aus der Luft mit Insektiziden zu besprühen, so wie es derzeit unter anderem die amerikanische Seuchenbehörde CDC in Florida wegen Zika macht, sei politischer Aktionismus. „Das bringt nichts und jeder weiß es“, sagt Gregor Devine, der Leiter des Labors für Moskitokontrolle am QIMR-Berghofer-Institut in Brisbane. Selbst das aggressive Sprühen mit DDT, das in den 1950er Jahren Lateinamerika weitgehend von der Malaria befreite, würde heute vermutlich nicht mehr funktionieren, meint er. Zu schnell bilden sich Resistenzen gegen Insektizide und zu allgegenwärtig ist in den Megastädten der Plastikmüll, in dem sich Wasser sammelt und zur Brutstätte wird.
Aedes-Mücken suchen die unmittelbare Nähe des Menschen. Schweiß, Wärme und Atemluft locken sie in die Häuser, in Höfe und auf Balkone. In den vier Wochen ihres Lebens legt ein Weibchen fünf bis sechs Mal Eier ab. Sie verteilt sie auf die Untersetzer von Topfpflanzen, auf die Wassernäpfe der Haustiere, in draußen liegen gebliebenes Plastikspielzeug oder Müll, in die Regentonne, den Springbrunnen im Vorgarten, Pfützen. Sie sticht nicht nur in der Dämmerung, sondern ebenso am helllichten Tag. Die Blutmahlzeiten braucht sie, um ihre Eier mit Nährstoffen zu versorgen. Bis man den Biss bemerkt, ist es zu spät.
„Gegen Mücken gibt es keine Wunderwaffe“, sagt Devine. Er holt einen etwa handtellergroßen Plastikrahmen hervor, über den ein unscheinbares braunes Netz gespannt ist. Das Gewebe ist mit einer Chemikalie behandelt. Sie verwirrt Mücken so sehr, dass sie ihre Opfer nicht mehr finden. Hängt man es im Haus auf, bildet sich eine kleine „Schutzzone“. „Das könnte man an schwangere Frauen verteilen“, sagt Devine. Um langfristig Erfolg zu haben, müsse man jedoch verschiedene Strategien kombinieren.
Das Wolbachia-Bakterium ist zuerst am Buffet
Im Labor zusätzliche Mücken zu züchten und freizulassen, erscheint angesichts der Probleme widersinnig. Genau dafür hat aber das „Eliminate Dengue“-Programm, das an der Monash University in Melbourne beheimatet ist, gerade von der Bill & Melinda Gates Foundation, dem Wellcome Trust sowie von den USA, Großbritannien und Brasilien 18 Millionen US-Dollar bekommen. Zu Beginn der Mückensaison auf der Südhalbkugel wollen die Forscher gemeinsam mit Partnern vor Ort ihre Aedes aegypti in Antioquia in Kolumbien und in Rio de Janeiro in Brasilien ansiedeln. Sie wollen beweisen, dass sie so die Übertragung von Dengue, Chikungunya und Zika maßgeblich senken können.
Dass ein Virus Mücken als „Auslieferungsflotte“ für seine Nachkommen nutzen kann, ist alles andere als selbstverständlich. Es muss den Weg über den Saugrüssel in den Darm des Insektes überstehen, es muss sich massenhaft vermehren und schließlich über die Blutbahn in den Speichel der Mücke finden. Erst nach zehn bis zwölf Tagen gibt es dort genug Viren, um dank eines Mückenstichs wiederum einen Menschen anzustecken. Diesen Prozess kann man mithilfe eines Bakteriums namens Wolbachia stören, so ist die Idee der Forscher von „Eliminate Dengue“. Sind die Zellen der Mücke bereits mit Wolbachia infiziert, konkurrieren die Bakterien mit den Krankheitserregern um die gleichen Nährstoffe. „Wolbachia ist zuerst am Buffet“, sagt Simmons. „Es geht als Sieger hervor.“ Die Viren dagegen schaffen es nicht mehr, in ausreichender Menge bis in den Mückenspeichel vorzudringen.
Nach und nach ersetzen die "guten" Mücken die Seuchenüberträger
Wolbachia infiziert in der Natur 60 Prozent aller Insekten, es lebt mit Schmetterlingen, Libellen, Motten und manchen Mückenarten in friedlicher Symbiose. Dass Aedes aegypti nicht dazugehört, sei ein evolutionärer Zufall, sagt Simmons. Für Menschen und andere Säugetiere ist das Bakterium zudem ungefährlich. Es kann sich nicht in ihren Zellen vermehren. Insekten dagegen geben es von Generation zu Generation weiter.
Vor zehn Jahren ist es Scott O’Neill von der Monash University erstmals gelungen, das Bakterium auf Aedes-Mücken zu übertragen. Seitdem belegt sein Team Schritt für Schritt, dass der Plan funktionieren kann. Die Forscher haben gezeigt, dass ein mit Wolbachia infiziertes Weibchen ausschließlich Nachkommen hat, die das Bakterium ebenfalls in sich tragen. Trifft ein infiziertes Männchen dagegen auf ein nicht infiziertes Weibchen, kann sie zwar Eier legen, doch die Larven werden nicht schlüpfen. Nach und nach ersetzen so die „guten“ Mücken jene, die Krankheiten auf den Menschen übertragen können, zeigte 2011 ein Pilotversuch in Cairns in Queensland. 2014 folgte die australische Stadt Townsville.
Schulkinder züchten die Mücken in der Mozzie Box
„Man muss die Bevölkerung von Anfang an einbinden“, sagt Simmons. In Melbourne arbeiteten nur 26 Forscher im Mücken-Labor. Ungefähr 60 andere Experten begleiten „Eliminate Dengue“ sozialwissenschaftlich, entwerfen Kommunikationsstrategien und Citizen-Science-Projekte. Simmons führt den internationalen Journalisten eine umfunktionierte Foodbox vor. „Eine globale Lösung für Dengue beginnt in deinem Vorgarten“, steht auf dem Karton. Faltet man die Schachtel auf, findet man darin nicht etwa Glasnudeln, sondern einen roten Stoffstreifen mit Mückeneiern und vier Nährstoff-Tabletten. In den Deckel sind Löcher gestanzt, die Aufschrift warnt: Sorgsam behandeln, drinnen wachsen Mücken! „Mit der Mozzie Box haben wir unsere Wolbachia Warriors ausgestattet“, sagt Simmons. Die Schulkinder haben die Kartons mit Wasser gefüllt und beobachtet, auch die meisten Haushalte in Townsville hätten sich gern beteiligt.
Fast drei Monate lang setzten die Forscher Woche für Woche ihre Mücken frei. Diese verdrängten allmählich ihre „wilden“ Verwandten. Sie sind Jahre später immer noch in den Mückenfallen zu finden. „Wir haben viel gelernt“, sagt Simmons. „So haben wir nicht damit gerechnet, dass sich die Mücken in einem derart kleinen Radius bewegen.“ Alle 100 Meter müssen sie ausgesetzt werden.
Der Beweis, dass man mit den Mücken Dengue stoppen kann, steht noch aus
Eine weitere Herausforderung: Trotz der Laborversuche und Pilotprojekte in Australien, Vietnam, Indonesien, Kolumbien und Brasilien ist noch nicht bewiesen, dass Wolbachia in der realen Welt die Übertragung von Krankheitserregern stoppen kann. Allein für die australischen Projekte züchten sie daher in vier Räumen weiter ihre Mücken, sammeln die Eier und übertragen sie auf Stoffstreifen, verteilen Mozzie-Boxen und Mückenfallen, um den Erfolg zu messen. „Man kann nie ausschließen, dass ein Virus über irgendwann einen Weg um ein neues Hindernis findet“, sagt Devine. Aber fast 70 Mal hätten Reisende Viren in die Versuchsregionen im subtropischen Queensland getragen, einen Ausbruch gab trotzdem nicht. Das sei vielversprechend.
Während Dale weiter die Mücken füttert, packt eine brasilianische Journalistin vorsichtig eine Schachtel mit Mückeneiern ein. Zu Hause will sie sie entlassen, sagt sie. „Das sind ja die Guten.“