Sieben-Tage-Inzidenz von fast 1700: Die Gründe für Spaniens Omikron-Welle – und die Lehren für Deutschland
Zwischenzeitlich kämpfte Spanien mit zwei Wellen auf einmal, ein Ende des exponentiellen Anstiegs ist nicht in Sicht. Das Problem: Die hohe Impfquote trügt.
In diesem Punkt ist Spanien längst weiter als Deutschland: Im Angesicht der Omikron-Welle des Coronavirus beträgt die Quarantäne-Dauer für symptomlose Infizierte nur noch sieben Tage. Das gilt auch für nicht geimpfte Verdachtsfälle.
Einerseits hat die Entscheidung mit den Erkenntnissen zu tun, wonach die neue Virusvariante zwar ansteckender sei, aber offenbar einen eher milden Krankheitsverlauf habe. Anderseits steigt die Zahl der Neuinfektionen einfach zu sehr. Trotz einer Impfquote von mehr als 90 Prozent bei den Menschen über 12 Jahren droht das spanische Gesundheitssystem, seine Kapazitätsgrenze zu erreichen.
Das war vor rund einem Jahr schon einmal der Fall, nur unter völlig anderen Vorzeichen. Damals verdreifachte sich die Zahl der Corona-Intensivpatienten innerhalb eines Monats bis Ende Januar 2021 auf mehr als 2300, obwohl die Sieben-Tage-Inzidenz bei 554 wieder zu sinken begann.
Derzeit ist die Intensivbettenbelegung nicht ansatzweise so hoch wie damals. Doch: Die Inzidenz liegt Tagesspiegel-Zahlen zufolge jetzt bei fast 1700. Anfang dieser Woche wurden mehr als 370.000 Neuinfektionen an nur einem Tag registriert – das sind mehr als in Deutschland in den vergangenen zehn Tagen zusammen verzeichnet hat.
Und die spanischen Gesundheitsexperten sind sich sicher: Da viele überlastete Gesundheitsämter asymptomatischen Neuinfektionen oder leichte Verläufe gar nicht mehr weiter verfolgen, dürfte die Inzidenz noch deutlich höher liegen. Die Feiertage könnten diese Entwicklung zusätzlich beschleunigt haben.
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In Spanien ist die neue Virusvariante, die den Impfschutz deutlich besser unterläuft als die Delta-Variante, bereits seit Weihnachten dominant. In Madrid ist Omikron nun in fast 90 Prozent aller Proben zu finden. Der sehr starke Anstieg ist allerdings nicht nur damit zu erklären.
Ein weiterer Faktor ist, dass sich die Omikron-Welle praktisch auf die Delta-Welle draufgelegt hat. Somit begannen die Zahlen nicht, wie in Deutschland, vor rund einem Monat zu sinken, sondern eben erst leicht und dann exponentiell zu steigen.
Das gleichzeitige Auftreten der beiden Wellen erklärt auch den starken Anstieg sowohl der Hospitalisierungen als auch Intensivbettenbelegung. Was Hoffnung macht: Diese Zahlen steigen nicht exponentiell, folgen der Zahl der Neuinfektionen demnach nicht.
Die spanischen Behörden beteuern deshalb, dass die Lage in den Krankenhäusern dank der hohen Impfquote weiterhin weitgehend unter Kontrolle sei. „Nur die wenigsten Infizierten müssen auf die Intensivstation“, erklärte Präsidentschaftsminister Félix Bolaños in dieser Woche.
Zwar ist der vergleichsweise geringere Anteil Erkrankten auf den Intensivstationen eine gute Nachricht. Doch wird es ab einer gewissen Zahl weiterhin nötig sein, weitere Maßnahmen zu beschließen, um die Zahl der Krankenhauseinweisungen stark zu reduzieren.
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Denn in Spanien mit seiner verhältnismäßigen alten Bevölkerung sind zwar bereits rund 80 Prozent der Menschen über 60 Jahre geboostert (in Deutschland sind es 64 Prozent). Doch mit Blick auf die Gesamtbevölkerung ist Deutschland bei den Auffrischungsimpfungen mit rund 40 Prozent verabreichten Dosen weiter als Spanien (etwa 30 Prozent).
Somit sind die vulnerabelsten Gruppen in Spanien zwar geschützt. Es dürfte aber die Zahl der Menschen mittleren Alters, die aufgrund eines milden Verlaufs ins Krankenhaus eingewiesen werden, weiter ansteigen. Sofern die Booster-Kampagne nicht schnell an Fahrt gewinnt.
Maskenpflicht im Freien, doch Zuschauer im Fußballstadion
Ministerpräsident Pedro Sánchez ist trotzdem vorsichtig optimistisch: „Ich möchte sagen, dass wir in den kommenden Wochen eine sehr hohe Zahl an Infektionen sehen werden, bei den Krankenhauseinweisungen wird das aber nicht der Fall sein.“ Das begründet er damit, dass zur Eindämmung der Pandemie kurz vor Heiligabend landesweit die Maskenpflicht im Freien wieder eingeführt worden war. In mehrere Regionen gelten nun auch wieder 3G-Regeln, Sperrstunden oder nächtliche Ausgehbeschränkungen. Nicht jedoch in Madrid, wo Omikron fast alle Infektionen ausmacht. Dort hat das Virus leichtes Spiel – weil es kaum Restriktionen gibt.
Die Regeln gehen vielen Experten nicht weit genug. Ein Beispiel: Während in Deutschland in den meisten Fußballstadien vorläufig keine Zuschauer zugelassen sind, dürfen diese in Spanien noch bis zu 75 Prozent ausgelastet werden.
Die vergleichsweise lockeren Regeln sind sicherlich ein Grund dafür, dass die Kurve der Neuinfektionen nicht den Anschein macht, in naher Zukunft abzuflachen. Deshalb stuft Deutschland das Land bereits seit Weihnachten als Hochrisikogebiet ein. Das Auswärtige Amt warnt vor nicht notwendigen touristischen Reisen nach Spanien.
Nun steigen die Zahlen in Deutschland auch seit Anfang des neuen Jahres wieder deutlich. Noch hat die Bundesregierung mit ihrem Expertenrat die Möglichkeit, Maßnahmen zu treffen, damit sich die Situation in den Krankenhäusern hierzulande nicht so entwickelt wie sie in Spanien bereits ist. Ein erster Schritt, der am Freitag folgen soll: die verkürzte Quarantäne-Dauer auf sieben Tage.