DNS-Forensik: Die Genspur zum Täter ist dünn – noch
Die Justizminister der Bundesländer diskutieren, ob in den Erbgutresten von Tatorten künftig die Augen- oder Haarfarbgene untersucht werden dürfen.
Ein Mord geschieht und der Täter wird als blond, blauäugig, Mitte 40 und europäischer Herkunft beschrieben. Ein solcher Steckbrief könnte künftig nicht mehr nur von einem Zeugen stammen, sondern auch aus einem DNS-Analyselabor. Die Justizminister der Länder diskutieren derzeit auf ihrer alljährigen Tagung, ob Ermittler künftig das Erbgut von Blut, Haaren, Sperma oder Hautresten an Tatorten untersuchen dürfen. Für eine solche „forensische DNS-Phänotypisierung“ (fDP) müsste die Strafprozessordnung geändert werden.
Erlaubt nur in den Niederlanden
Bislang werden in Deutschland – wie in den meisten europäischen Ländern – nur Gen-freie Erbgutabschnitte benutzt, um ein DNS-Profil zu erstellen. Es taugt zwar zur Identifizierung eines Täters, lässt aber keine Rückschlüsse äußere und andere Merkmale eines Menschen zu. Einzig in den Niederlanden gibt es ein Gesetz, das fDP seit 2003 ausdrücklich erlaubt. Täter-DNS darf dort auf Genvarianten durchsucht werden, die Rückschlüsse auf äußerlich erkennbare, körperliche Merkmale sowie die biogeographische Herkunft zulassen. Verboten bleibt aber das Erheben gesundheitsbezogener Daten. Damit greift die Gesetzgebung der Wissenschaft allerdings ein großes Stück voraus, denn bislang sind die Methoden der fDP noch sehr eingeschränkt.
Selbst in den Niederlanden gibt es bislang nur zwei wissenschaftlich ausreichend validierte Gentests, Irisplex und Hirisplex zur Abschätzung der Augen- und Haarfarbe. „Wir wissen zur Zeit viel mehr über die genetischen Grundlagen von menschlichen Erkrankungen als über die genetischen Grundlagen von normalen Aussehensmerkmalen des Menschen“, sagt Manfred Kayser. Der aus Berlin stammende Molekularbiologe leitet die Abteilung für genetische Identifizierung am Medizinischen Zentrum der Erasmus-Universität in Rotterdam und hat die beiden Tests entwickelt. Derzeit versucht er, die Haarstruktur, genetisch bedingten Haarausfall oder die Hautfarbe aus DNS vorherzusagen. „Wir können bisher nur grobe Farbkategorien vorhersagen, aber die Nuancen zwischen blauen und grauen Augen, blonden und braunen Haaren und dunkler und heller Haut sind fließend.“ Um all jene Genvarianten zu finden, die solch feine Unterschiede verursachen, bräuchte es Studien an zehntausenden von Probanden. Aber der fDP mangelt es nicht nur an wissenschaftlichen Daten. Auch die Aussagekraft ist beschränkt. So ist der Augenfarbtest im Grunde nur bei Personen europäischer Herkunft sinnvoll. Im Rest der Welt herrscht ohnehin braune Augenfarbe vor. Außerdem ist die Vorhersage blauer und dunkelbrauner Augen weit häufiger korrekt - zu 95 bis 98 Prozent (wobei ein Wert von 50 Prozent eine reine Zufallsvorhersage wäre). Hellbraune, grüne und graue Mischfarben werden weniger verlässlich (zu 75 Prozent) erkannt werden. Vorhersagen mit Kaysers Hirisplex liegen in durchschnittlich 75 Prozent der Fälle richtig.
Vieles ist technisch noch nicht möglich
Das Beispiel der Körpergröße eines Menschen, die zu 80 Prozent genetisch bedingt ist, macht die Schwierigkeiten der Gen-Forensik deutlich. Zwar fanden die Forscher nach Analyse des Erbguts von 250 000 Personen 700 Genregionen – aber das sind nur 16 Prozent aller Gene, die über die Körpergrößenunterschiede mitbestimmen. Zu Behauptungen von Firmen wie Human Longevity Inc., sie könnten das Gesicht eines Täters aus der am Tatort hinterlassenen DNS wie bei einem Phantombild rekonstruieren, äußert sich Kayser entsprechend skeptisch: „Was den derzeitigen, veröffentlichten Stand der Wissenschaft betrifft, ist es sehr unwahrscheinlich, dass das funktioniert.“ Tausende von Genvarianten bestimmen die Einzigartigkeit eines Gesichts mit, bisher kenne man aber höchstens ein paar Dutzend. Dennoch sei das wohl irgendwann möglich: „Die Gesichter von eineiigen Zwillingen sind sich sehr ähnlich und weil sie praktisch die gleiche DNS-Sequenz haben, wissen wir, dass das Gesicht in seiner Einzigartigkeit in den Genen stecken muss; fragt sich nur, wo.“
Gut ist die Datenlage für den Nachweis der „biogeographischen“ Herkunft eines Täters. Allerdings lässt sich damit nicht die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe, sondern nur die kontinentale Herkunft aus Europa, Afrika, Ostasien, Ozeanien und Amerika mit 99,9-prozentiger Wahrscheinlichkeit ermitteln. Für Aussagen über die Herkunft aus einzelnen Regionen müssten tausende von Genvarianten untersucht werden – technisch unmöglich mit den geringen Mengen und meist qualitativ schlechten Erbgutspuren von Tatorten, sagt Kayser.
Das Alter steht dem Erbgut ins Gesicht geschrieben
Das Abschätzen des Alters per DNS-Analyse, die auf vier bis fünf Jahre genau ist, könnte eigentlich schon unter der bestehenden Gesetzeslage durchgeführt werden, meint Peter Schneider, Leiter der Spurenkommission der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin. Weil bei der Altersanalyse nicht die DNS selbst, sondern mit dem Alter einhergehende und der DNS anhaftende Methylgruppen untersucht werden, habe der Test kein „individualisierendes Potential und ist daher auch keine molekulargenetische Untersuchung im Sinne der deutschen Strafprozessordnung“.
Ob sich die Justizminister nun für die fDP entscheiden – am Ende muss wohl das Verfassungsgericht entscheiden, ob und wann solche Tests die genetische Privatsphäre eines Menschen verletzen. Dass sei solange nicht der Fall, meint Kayser, solange sich die Analyse nicht über das hinausgeht, was Augenzeugen oder Haar und Hautspuren über einen Täter ohnehin verraten könnten.