Ermittlungsfehler: Auf der falschen Spur
Geringste DNS-Spuren können heute analysiert werden. Doch damit steigt die Gefahr von Irrtümern.
An 40 verschiedenen Tatorten hatte die mysteriöse Frau Spuren in Form ihrer Erbsubstanz DNS hinterlassen. Orten, an denen brutal geraubt und gemordet worden war. Die vermeintliche Täterin ging jedoch während dieser Zeit einem ehrlichen Beruf nach. Sie verpackte Wattestäbchen im Auftrag eines Unternehmens für Medizinalbedarf. Merkmale ihrer Erbsubstanz kamen nicht per Speichelprobe bei der Fahndung auf das Wattestäbchen, sondern hafteten schon zuvor daran. Das berüchtigte „Phantom von Heilbronn“ existierte nicht.
Irrtümer dieser Art sind der Preis, den Rechtsmediziner heute für die Verfeinerung ihrer molekulargenetischen Analysen zahlen. Auch geringste Mengen DNS sind nachweisbar. Wie Thorsten Schwark vom Institut für Rechtsmedizin in Kiel jetzt bei der 89. Jahrestagung der deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin in Berlin berichtete, können sie leicht auch während einer Obduktion im Sektionssaal verschleppt werden. Und zwar auch von einer Leiche auf die andere, selbst wenn der Sektionssaal zwischendurch gereinigt wurde.
Schwark und seine Mitarbeiter fanden das heraus, indem sie Tische, Handschuhe und Instrumente gründlich abrieben und das gewonnene Material untersuchten. Auch das genetische Profil der direkt zuvor auf diesem Tisch und mit diesen Instrumenten untersuchten Toten wurde ermittelt. „Es zeigte sich, dass auch nach verschiedenen routinemäßigen Reinigungsprozeduren in nahezu allen Fällen eindeutige genetische Profile der jeweils zuvor obduzierten Leiche nachweisbar waren“, berichtete der Rechtsmediziner auf dem Kongress.
Um zu erfahren, ob diese Funde auf Tischen und Instrumenten im wirklichen Leben Bedeutung haben, gingen die Kieler Mediziner bei sechs weiblichen Leichen auf Spurensuche. In vier Fällen entdeckten sie dabei fremde DNS, die von zuvor Untersuchten stammte. „Sektionssäle sind nicht sauber, jedenfalls nicht, was die DNS angeht“, folgert Schwark.
Vor allem wenn es um die Aufklärung schwerer Verbrechen geht, können die Folgen schwerwiegend sein. Schwark möchte bei seinen Kollegen das Bewusstsein für die Möglichkeit von Fehlinterpretationen schärfen. Zusätzlich rät er zu Vorsichtsmaßnahmen wie chlorhaltigen Reinigungsmitteln, die seiner Erfahrung nach besonders gut wirken. Zudem solle man sicherheitshalber DNS-Profile der Mitarbeiter hinterlegen, die ja ebenfalls eine Quelle der „Verunreinigung“ darstellen können.
Manchmal hängt die Aufklärung eines Verbrechens an einigen wenigen Haaren. Bei der Spurensicherung sind sie eine wichtige Quelle für DNS von Personen, die sich am Tatort aufgehalten haben. Aber auch hier wird die Verwirrung größer, je feiner die Analysemethoden sind. „Sind wir sicher, dass dieses DNS-Profil vom Haar selbst stammt? Könnte es nicht auch mit Blut, Speichel oder Sperma einer anderen Person verunreinigt sein?“, fragte der Molekularbiologe Richard Zehner vom Institut für Rechtsmedizin der Uni Frankfurt/Main. Um hier sicher zu sein, kann man das Haar mit Mitteln waschen, die DNS ablösen. Doch damit entsteht ein neues Problem: Vor allem Erbsubstanz, die von der Wurzel des Haares stammt, wird teilweise bei dieser Prozedur mit abgewaschen, so dass hinterher weniger Zellmaterial zur Verfügung steht. Vielleicht zu wenig. Zehner hat das mit seiner Arbeitsgruppe experimentell untersucht. Er rät seinen Kollegen dazu, die DNS-haltige Spülflüssigkeit sicherheitshalber aufzubewahren.
Um Haare geht es auch in der Forschung von Melanie Harder von der Uni Kiel: Anhand von Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNPs), Besonderheiten an bestimmten Stellen der DNS eines Menschen, möchte sie bald Aussagen über dessen Haar- und Augenfarbe machen können. Dafür hat sie von 300 Versuchspersonen, die vorher fotografiert wurden, Abstriche der Mundschleimhaut genommen.
Bisher entdeckte Harder an einem Genort Merkmale, die Rothaarige auszeichnen, aber auch SNPs auf zwei Genen, die den Schluss zulassen, dass die Person mit großer Wahrscheinlichkeit helle Augen hat. In Deutschland sind Untersuchungen von SNPs, die solche Informationen über genetische Merkmale enthalten, zu gerichtlichen Zwecken nicht erlaubt. „SNPs, die an der Pigmentausprägung beteiligt sind, könnten aber wichtige Zusatzinformationen zu einer Person liefern“, sagte Harder auf dem Kongress. Adelheid Müller-Lissner