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An der kürzeren Leine. Ein Mann wirft im Hamburger Hafen seine Angel aus. In der Hansestadt hat der Senat vergangene Woche ein Gesetz mit strengeren Regeln für Angler verabschiedet. Forscher fordern jetzt noch grundlegendere Änderungen. Die wären teilweise restriktiv, vor allem aber angepasst an die jeweilige Situation eines Gewässers.
© Daniel Reinhardt/dpa

Freizeitangeln soll stärker reguliert werden: Die Fischereipolitik hat einen Haken

Große Fische, große Bedeutung: Forscher unter Leitung eines Berliner Biologen fordern vergleichbare Regularien für Freizeitangler und Berufsfischer.

Unendlich weit, unendlich tief – und unerschöpflich gefüllt mit essbaren Fischen. So stellten Menschen sich lange das Meer und auch die großen Seen und Flüsse vor. Doch im Meer gibt es inzwischen deutlich weniger Fisch als dort hingehört, in vielen Binnengewässern auch. Das einzige, was derzeit im Meer mehr zu werden scheint, ist der Plastikmüll. Der macht dem marinen Leben auf verschiedenste Arten und Weisen zu schaffen und stammt teilweise auch von jenen, die das Meer leerfischen. Dazu gehört der Netzmüll der Fischtrawler aber auch abgerissene Angelschnüre und andere Utensilien von Freizeitfischern vermüllen sowohl Ozeane als auch Binnengewässer. Und auch wenn es seltsam klingt: Diese Angler haben ebenfalls einen spürbaren Anteil an der Überfischung.

Berliner Gewässerökologe fordert Reformen

In nationalen und internationalen Regeln zum Schutz der Fischbestände spielt Freizeitfischerei aber bisher kaum eine Rolle. Eine Gruppe Fischereiforscher, Soziologen, Ökonomen und Ökologen aus Europa und Nordamerika, angeführt von Robert Arlinghaus vom Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, hat jetzt einen Katalog möglicher Reformen aufgestellt. Ihre Kernforderung: Eine auf Nachhaltigkeit bedachte Fischereipolitik müsse „Freizeitfischerei ebenso gewichten wie kommerziellen Fischfang.“

Exakte Zahlen sind schwer zu erheben, doch es besteht kein Zweifel, dass Freizeitfischerei sowohl wirtschaftlich als auch sozial und ökologisch vielerorts eine immense Bedeutung hat. So werden laut Arlinghaus in Deutschland rund 52 000 Arbeitsplätze ganz oder zu großen Teilen von Anglern finanziert – von Jobs auf Angelkuttern über Köder- und Ausrüstungsherstellung bis hin zu Inhabern und Angestellten von Anglerläden. Und für vier Millionen Menschen, immerhin fünf Prozent der Bevölkerung, ist Angeln eine wichtige Freizeitbeschäftigung. Anderswo trägt es bedeutsam zur ProteinVersorgung der Bevölkerung bei. Und, obwohl global gesehen achtmal mehr Fische von kommerziellen Fischern als von Anglern den Gewässern entnommen werden, ist das Verhältnis mancherorts umgekehrt. Und ökologisch besonders bedeutsame Arten sind oft besonders betroffen. Zudem haben es Angler vor allem auf große Exemplare, die auch ökologisch von großer Bedeutung sind, abgesehen (siehe Tagesspiegel vom 15. Mai 2018).

Selten im Netz, aber häufig am Haken

Schon vor 15 Jahren hatte die Meeresökologin Felicia Coleman zusammen mit Kollegen im Fachmagazin „Science“ darauf hingewiesen, dass etwa im Golf von Mexiko der beliebte „Red Snapper“ eher selten im Netz und dafür sehr häufig am Haken aus dem Wasser gezogen wird. In Binnengewässern in Deutschland sind Angler längst mit Abstand diejenigen, die die meiste Biomasse entnehmen. Und auch in Nord- und Ostsee landet beispielsweise ein Großteil der Dorsche nicht in Netzen, sondern an Deck der Angelkutter.

In ihrer Studie zeichnen Arlinghaus und seine Kollegen ein komplexes Bild der Wechselwirkungen zwischen Anglern und den von ihnen genutzten Gewässern. So sei einerseits Überfischung durch sie möglich, aber auch andere Arten der Störungen und Veränderungen der Ökosysteme. Allein dadurch, dass überproportional viele große Raubfische aus dem Wasser gezogen würden, würden natürliche Gleichgewichte beeinflusst. Und auch Rückwirkungen auf die Angler und den von ihnen empfundenen Wert ihrer Freizeitaktivität gebe es. So seien gute Angelplätze zunehmend eine knappe und umkämpfte Ressource.

Angler können auch begeisterte und organisierte Umweltschützer sein

Auf der anderen Seite ist bekannt, dass gut informierte und organisierte Angler auch gute Umweltschützer sein können. Hier könne Deutschland, wo die meisten in Vereinen und Verbänden organisiert sind – und was sie tun auch reglementiert ist – ein Beispiel für andere Länder sein. Allerdings seien die gängigen Universal-Regelungen, etwa eine Mindestlänge und maximale Anzahl für Fische, die pro Angler entnommen werden dürfen, oft nicht sinnvoll.

Die Forscher fordern deshalb „variable Bewirtschaftungsansätze“. Dabei sollten die Interessen von Berufsfischerei und Freizeitfischerei gleichwertig einbezogen und den ökologischen Gegebenheiten je nach Gewässer angepasst werden. Hier seien allerdings auch gelegentlich „unpopuläre Bewirtschaftungsstrategien“ wie zeitweise Zugangsbeschränkungen zu Gewässern nötig.

Um diese aber je nach lokalen Bedürfnissen gezielt bewirtschaften zu können, sei einerseits „ein gewisses Maß an Entscheidungssouveränität“ seitens der Angler notwendig. Wichtig sei aber auch, die für eine solche gewässer- oder gar gewässerabschnittsspezifische Herangehensweise notwendigen Daten zu erheben. Hier rufen Arlinghaus und seine Kollegen die Angler dazu auf, etwa über Apps zu dokumentieren, was sie gefangen haben. Die Skepsis sei hier teilweise noch groß, Angler fühlten sich überwacht und wehrten sich derzeit häufig gegen solche Ansätze. Aber „ohne ein modernes Monitoring, das kosteneffizient Daten von Hunderttausenden Personen organisiert, können weder Konflikte gelöst noch eine zielorientierte Bewirtschaftung aufgebaut werden“, schreiben die Forscher in einer Mitteilung des Berliner Instituts.

Insgesamt sei es an der Zeit, Angler nicht nur stärker in die Verantwortung zu nehmen, sondern ihre Ansprüche und „angelfischereilichen Ziele“ in die Bewirtschaftung der Gewässer zu integrieren. „Anderen Naturnutzungen“, also auch der Berufsfischerei, müssten sie gleichgestellt werden.

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