Asiatische Fische entern Amerikas Flüsse: Angriff der Killer-Karpfen
Fische aus Asien erobern die Flüsse im Osten der USA. Sie bedrohen andere Tiere, die Fischerei und sogar Menschen. Mit aller Kraft wird nun versucht, sie aus den Großen Seen fernzuhalten. Ob das gelingt, ist fraglich.
Sie waren Gefangene der USA – schwere Jungs aus Asien, die man in Zuchthäuser am Mississippi sperrte, wo sie die Anlagen für die einheimischen Gefangenen sauber halten sollten. Ein gewaltiger Fehler. Mitte der 1990er Jahre gelang den Asiaten die Flucht. Seitdem terrorisieren sie fast ganz Nordamerika. Jetzt steht ihr womöglich größter Bruch bevor: die Eroberung der Großen Seen, eines der größten Süßwasserreservoirs der Welt.
Es geht hier nicht um Gewaltverbrecher, sondern um Marmorkarpfen, die bis zu eineinhalb Meter lang und einen Zentner schwer werden, sowie die etwas kleineren, aber ebenso gefährlichen Silber-, Gras- und Schwarzkarpfen. Eine Viererbande, die Amerikas Binnengewässer entert.
Die Karpfen wurden als "aquatische Staubsauger" ins Land geholt
Alles begann in den 1970er Jahren. Damals kamen in Fischzuchtbetrieben entlang des Mississippi Karpfen aus Asien in Mode. Nicht um sie zu essen – was man in ihrer Heimat durchaus gern tut –, sondern damit sie die Becken der anderen Fische reinigen. Asiatische Karpfen gelten als „aquatische Staubsauger“. Sie futtern Unmengen von Plankton, bis zu 40 Prozent ihres Körpergewichts pro Tag. Bei der Aquakultur ist das hilfreich, in einem Gewässer, in das die Karpfen nicht hineingehören, fatal.
Mitte der 1990er kamen die großen Hochwasser am oberen Mississippi und schwemmten die Karpfen schwarmweise aus den überlaufenden Aquakulturen in den größten Strom Nordamerikas. Die Tiere nahmen den Mississippi ein, den Missouri, den Illinois, den Ohio, den Tennessee, den Arkansas – quasi jeden Zufluss des Mississippi. „Diese Viecher überfallen unsere Gewässer regelrecht“, sagt Bill Dance, Turnier-Angler und Moderator einer Angel-TV-Show. „Sie verdrängen unsere heimischen Arten.“ Stacey Solano vom Illinois Department of Natural Resources bestätigt: „Es gibt Abschnitte des Mississippi und des Illinois, wo sie das gesamte Ökosystem umgekrempelt haben.“
Karpfen wachsen schneller als einheimische Räuber
Weil sie so viel Plankton, Schnecken oder Muscheln fressen, bleibt für einheimische Fische wie Maifisch oder Löffelstör nichts mehr übrig. „Selbst unsere Raubfische können ihnen nichts anhaben“, sagt Bill Dance. „Die Karpfen wachsen so schnell, dass sie im Nu größer sind als die Räuber.“ Ein Silberkarpfen, der bis zu einen Meter lang und 25 Kilo schwer werden kann, legt allein im ersten Lebensjahr gut fünf Kilo zu.
Paradoxerweise macht ihre unmittelbare Harmlosigkeit die Karpfen umso gefährlicher: Da sie weder Fisch noch Insekten anrühren, kann man die Bestände nicht durch Massenangeln dezimieren. Der US Fish and Wildlife Service entwarf 2007 einen nationalen Plan, um die Eindringlinge zurückzudrängen. Und sogar das Militär wird schon hinzugezogen. Denn die Lage spitzt sich zu.
Sie springen mehrere Meter hoch -. und verletzen Menschen
Über den Mississippi und den Illinois haben die Marmor- und Silberkarpfen inzwischen den Chicago Sanitary and Ship Canal erreicht. Er verbindet das Flusssystem mit dem Michigan-See, einen der fünf großen Seen. „Wenn die Karpfen den See erreichen, ist die Katastrophe komplett“, sagt Steve Shults vom Illinois Department of Natural Resources. „Dann konkurrieren sie mit all den Fischarten, die wir gern angeln, um Futter; die Lachs- und Forellenpopulationen würden komplett einbrechen.“ Und nicht nur die Sportfischer der Großen Seen wären betroffen, sondern auch der kommerzielle Fischfang mit gut sieben Milliarden Dollar Umsatz pro Jahr. 800 000 Jobs sollen allein im Bundesstaat Michigan davon abhängen.
Doch selbst dabei bliebe es nicht, befürchten die Experten. „Silberkarpfen haben eine schlechte Angewohnheit“, sagt der Angler Bill Dance. „Sie springen.“ Auf Videos im Internet sieht man, wozu Silberkarpfen in der Lage sind: Wenn sie vor irgendetwas flüchten, hüpfen sie bis zu drei Meter hoch und mindestens ebenso weit aus dem Wasser. Fährt ein Motorboot durch einen Schwarm dieser Fische, springen die Tiere wegen des lauten Geräuschs zu Dutzenden, ja Hunderten in die Höhe – oft auch ins Boot, oder in die Weichteile des Anglers, der darauf steht. Klingt lustig, ist es aber nicht. Bei Bootsausflüglern im Mississippi-System hat es schon blaue Augen, heftige Prellungen, gebrochene Nasen und Arme gegeben. Und was geschähe erst, wenn einem Wasserskifahrer auf dem Michigan-See bei voller Fahrt ein 20-Kilo-Karpfen ins Gesicht spränge? „Diese Tiere sind silberne Geschosse!“, warnt Dance.
Eine elektrische Unterwasserschranke soll die Tiere aufhalten
Also wird alles unternommen, um sie aus den Großen Seen, wo die Freizeitboote noch weiter verbreitet sind, herauszuhalten. Die zuständige Militärbehörde, das Army Corps of Engineers, hat bereits 2004 eine elektrische Unterwasserschranke in den Schiffskanal von Chicago eingebaut, einige Meilen kanalaufwärts vom See. Fische, die diese Barriere passieren wollen, bekommen einen Stromschlag und schrecken zurück, während Schiffe weiterfahren können.
Doch die Experten trauen der Schranke nicht, zumal inzwischen Asiatische Karpfen auch hinter ihr entdeckt wurden. „Einzelne Exemplare sind offenbar sogar bis in den Michigan-See vorgedrungen“, sagt David Lodge, Biologe an der University of Notre Dame im Osten Chicagos. Sogenannte Umwelt-DNS-Tests haben die Anwesenheit der fremden Fische bewiesen. Dabei werden Wasserproben genommen und auf das Erbgut der Karpfen untersucht, das sie durch Hautreste oder Kot hinterlassen. „Aber bis jetzt gibt es noch keine Hinweise auf eine etablierte Population, die sich fortpflanzt“, sagt Lodge. So lange hoffen die Experten noch, das Schlimmste verhindern zu können.
Und so macht das Army Corps ernst: Die Barriere wurde zu einem sich über hunderte Meter erstreckenden Elektroschock-Hindernisparcours mit drei Barrieren ausgeweitet. Eine vierte ist in Bau. Dadurch kann man einzelne Barrieren warten, ohne den Karpfen für einige Tage die Tür öffnen zu müssen. Außerdem werden die Invasoren mit Algenfutter oder Duftstoffen in enge Buchten des Kanals gelockt, diese vorübergehend geschlossen und die Fische dann mit Netzen abgeschöpft. Getestet werden auch Wasserkanonen, die mit lauten Geräuschen im Hörspektrum der Karpfen und scharfen Wasser-Druckwellen die Fische zur Umkehr bewegen sollen. Kohlendioxid und Gifte werden eingesetzt, um die Tiere an Stellen, wo sie massiv auftreten, zu töten. Mehr als 200 Millionen Dollar hat die US-Regierung inzwischen in die Abwehr der Karpfeninvasion gesteckt.
Hillary Clinton schlägt vor: "Wir essen sie alle auf!"
Ob die Maßnahmen helfen, bleibt fraglich. Die einzige wirklich sichere Option für Chicago sehen viele darin, den Kanal komplett zu schließen. Dann könnte kein Karpfen mehr in den See schwimmen – allerdings auch kein Schiff. Und das hätte ebenfalls schwerwiegende Folgen: 1,5 Milliarden Dollar Jahresumsatz bringen die Frachtschiffe, die den Kanal benutzen. Auch davon hängen tausende Jobs ab. Und eine Abriegelung der Großen Seen würde nicht nur rund 25 Jahre dauern, sondern auch über 18 Milliarden Dollar kosten.
Am Ende haben die Amerikaner vielleicht nur noch eine Option, die sogar Hillary Clinton, in zwei Jahren womöglich amerikanische Präsidentin, seit kurzem öffentlich unterstützt: „Wir essen sie alle auf!“