Stresstest für Mikroben: Die Erreger in Schach halten
Resistente Bakterien erschweren den Kampf gegen Tuberkulose. Ein Test zeigt, welche Mittel trotzdem helfen.
„Da wächst nichts“, stellt Harald Mauch zufrieden fest. Der Mikrobiologe hält eine Plastikplatte in der Hand, die in kleine Abschnitte unterteilt ist. 14 Medikamente in insgesamt 36 Konzentrationen treffen in ihnen auf das Bakterium Mycobacterium tuberculosis, das in einer Nährlösung gezüchtet wurde. Doch in einigen der kleinen Abteilungen ist nichts zu sehen: Das Medikament hat die Bakterien besiegt.
Hartnäckige Varianten der Erreger
Eine gute Nachricht, denn die junge Frau, von der die Proben stammen, leidet an einer besonders hartnäckigen Tuberkulose. Weder zwei gängige Standardmittel, Isoniazid und Rifampicin, noch eine Reihe von Reservemitteln kommen dagegen an. Die Bakterien in ihrem Körper haben Resistenzen gegen die Wirkstoffe gebildet. „Extensively-Drug-Resistant Tb“ (X-DR-TB), so lautet die Diagnose, die im Tuberkulose-Labor im Medizinischen Versorgungszentrum am Helios-Klinikum Emil von Behring in Berlin-Zehlendorf gestellt wurde. Zwar ist die Zahl der Tuberkulose-Fälle hierzulande weitgehend konstant, doch haben es die Ärzte immer häufiger mit den hartnäckigen Varianten zu tun.
Mauch, der Leiter des Tuberkulose-Labors, hat eine Methode entwickelt, mit der die Diagnose schnell gestellt und ermittelt werden kann, welche Mittel überhaupt noch helfen könnten. „Im Gegensatz zu den herkömmlichen Analysen, bei denen das Wochen dauert, haben wir innerhalb kurzer Zeit Informationen darüber, welche Reservesubstanzen wahrscheinlich wirksam sind“, sagt Mauch. Zudem gibt das Verfahren Aufschluss darüber, wie hoch diese Mittel dosiert werden müssen. Die behandelnden Ärzte interessiert die „minimale Hemmstoffkonzentration“. Das ist die Dosierung, die mindestens gewählt werden muss, damit ein Mittel mit dem Erreger fertig wird. Es ist die Dosis, bei der auf der Platte nichts wächst. Das ist sofort mit bloßem Auge zu erkennen und damit ein großer Vorteil der Methode.
Resistenztests wichtig für die Therapie
Nicolas Schönfeld, Pneumologe am Helios-Klinikum Emil von Behring und zuständig für die Behandlung der Tuberkulose-Patienten, hat sich die Ergebnisse der Resistenztestung im Labor dieses Mal selbst angeschaut. Schon wenige Minuten später kann er die Behandlung seiner Patientin an die neuen Erkenntnisse anpassen. Die junge Frau hatte direkt nach ihrer Aufnahme vor zehn Tagen, nachdem der Bakterienstamm bekannt war, zunächst eine auf Abschätzungen beruhende Therapie bekommen. Nun, nachdem die Testergebnisse vorliegen, wird sie leicht modifiziert. „Die räumliche Nähe zwischen Labor und Station ist für uns ein Riesenvorteil“, sagt Schönfeld.
Auf der Tb-Station des Klinikums, das die traditionsreiche Lungenklinik Heckeshorn beherbergt, werden in jedem Jahr rund 150 TB-Fälle behandelt. Bei etwa jedem zehnten haben die Erreger eine Mehrfachresistenz gegen die gängigen Standardmittel (die Fachleute nennen sie Multi-Drug-Resistant, M-DR) oder sind – wie bei der jungen Frau – auch durch zahlreiche Reservemittel nicht zu stoppen (X-DR). Während die Behandlung in unkomplizierteren Fällen von ansteckender Tuberkulose „nur“ ein halbes Jahr dauert, müssen Patienten mit Resistenzen hier bis zu zwei Jahre ausharren. Auch nach der Entlassung müssen sie mit einem Rückfall rechnen.
39 Bakterienstämme gegen mehrere Antibiotika resistent
Was die Resistenz-Testungen im Institut für Mikrobiologie bringen, haben Schönfeld und Mauch zusammen mit Ralf Otto-Knapp vom Deutschen Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose ausgewertet und kürzlich in der Fachzeitschrift „Pneumologie“ veröffentlicht. Sie stützen sich dabei auf Daten aus dem Zeitraum zwischen 2008 und 2013. Unter den Proben fanden sich demnach 39 Stämme des Mycobacterium tuberculosis, die gegen mehrere Medikamente resistent waren. Nur einer der Patienten stammte aus Deutschland, die anderen in der Mehrzahl aus osteuropäischen Regionen, wo die Tuberkulose insgesamt deutlich verbreiteter ist und wo deutlich mehr Resistenzen auftreten.
Besonders gefährdet sind Patienten, die bereits mit verschiedenen Mitteln vorbehandelt wurden oder sich bei einem ihrer früheren Krankenhausaufenthalte mit einem M-DR-Erreger infiziert hatten. Oder auch während eines Gefängnisaufenthaltes. Eine verhängnisvolle Rolle spielen Unterbrechungen der – langwierigen und nebenwirkungsreichen – Behandlungen. Oft entziehen sich dann die Bakterien durch geringfügige Veränderungen dem Aktionsradius der gewählten Mittel.
Unterschiedliche Herkunft, unterschiedliche Mikroben
Die Forscher zeigen weiterhin, dass es in puncto Empfindlichkeit gegen bestimmte Antibiotika auch innerhalb der osteuropäischen Herkunftsregionen erhebliche Unterschiede gibt. Die Proben der 14 Patienten, die aus Tschetschenien stammten, zeigten jedenfalls charakteristische Muster. Ein Konsensuspapier des Tuberkulose-Netzwerks zur Behandlung von M-DR-Tuberkulose empfiehlt, solche regionalen Resistenzmuster bei der Therapieplanung zu berücksichtigen.
Die Tuberkulose-Spezialisten von der Lungenklinik Heckeshorn am Helios-Klinikum Emil von Behring arbeiten dafür eng mit ihren Kollegen aus dem Otto-Wagner-Spital in Wien zusammen, die ebenfalls zahlreiche Patienten aus Osteuropa behandeln. Das hat Einfluss auf die Therapie unmittelbar nach der Aufnahme der Patienten, aber auch auf die Wahl der Mittel, die Mikrobiologe Mauch im Labor für die Resistenztests auswählt. Es erhöht die Chance, dass auf seinen Platten „nichts wächst“ – und den Patienten wirksam geholfen werden kann.