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Röntgenbild eines Tuberkulosekranken.
© REUTERS

Multiresistenzen: Tuberkulose bleibt gefährlich

Auch in westeuropäischen Großstädten gibt es nach wie vor Tuberkulose. Obdachlose, Drogensüchtige und Migranten sind besonders betroffen

In den 1940er Jahren war der Optimismus groß. Die Tuberkulose werde bald eine Fußnote in der Geschichte sein, glaubten die Ärzte. Schließlich hielten sie endlich wirksame Medikamente in den Händen. In Tuberkulosekontrolle wurde bald ebenso wenig investiert wie in die Erforschung der Krankheit. Doch die Weiße Pest blieb. Selbst in der EU und im Europäischen Wirtschaftsraum bedroht sie nach wie vor die Armen, die Ausgrenzten und die Migranten. 68 423 Patienten erkrankten hier 2012 an Tuberkulose, 4220 davon in Deutschland. Das berichten das Europäische Zentrum für die Kontrolle und Prävention von Krankheiten (ECDC) in Stockholm und das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin. In Westeuropa sind vor allem die Großstädte betroffen, allen voran London.

„Wir alle träumen davon, Tuberkulose auszurotten. Leider ist das nicht so einfach“, sagt ECDC-Direktor Marc Sprenger. Auf eine effektive Impfung müsse man noch etwa zehn Jahre warten. Es fehlen einfache Schnelltests, die sich ärmere Staaten leisten können, und bessere Medikamente. „Eine zweiwöchige Therapie wäre ein großer Fortschritt“, sagt Sprenger. Die Realität sieht anders aus. Selbst wenn der Erreger noch auf die Standardmedikamente reagiert, zieht sich die Behandlung mindestens sechs Monate hin und hat viele Nebenwirkungen. Nur jeder Zweite ist danach geheilt.

Bei den multiresistenten Varianten ist die Lage noch ernster. Die Patienten bekommen bis zu zwei Jahre hochdosierte Antibiotika, lediglich bei einem Drittel ist die anstrengende Behandlung erfolgreich. Wie weitverbreitet die Resistenzen sind, wissen auch die ECDC-Experten nicht genau. Sie kennen von etwa der Hälfte der Patienten in den Ländern der EU und im europäischen Wirtschaftsraum die Therapiegeschichte. 580 Menschen haben sich hier 2012 nachweislich neu mit multiresistenter Tuberkulose angesteckt. Mit den bereits Erkrankten gab es insgesamt 530 Fälle in Rumänien, 271 in Litauen, 106 in Lettland, 81 in Großbritannien und 74 in Italien. In Deutschland wurden 65 Tuberkulosekranke gezählt, bei denen die Standardmedikamente nicht mehr anschlugen.

Erstmals seit 40 Jahren gibt es zwei neue Mittel

Für sie gibt es nun einen Hoffnungsschimmer: Erstmals seit 40 Jahren wurden zwei neue Mittel – Bedaquilin und Delamanid – in Europa für die Zulassung empfohlen. Die neue Kombinationstherapie ist den Menschen vorbehalten, die keine andere Option mehr haben. „Wir müssen damit extrem vorsichtig umgehen“, sagt Sprenger. Denn früher oder später wird auch diese Waffe stumpf.

Die Resistenzen könne man ohnehin nicht allein durch neue Wirkstoffe eindämmen, betont Marieke van der Werf, die Leiterin des Tuberkulose-Programms beim ECDC. Wichtig sei vor allem, dass alle Patienten – unabhängig von ihrer Krankenversicherung oder ihrem Aufenthaltsstatus – kostenlos behandelt werden. „Man muss sie ohne Wenn und Aber dabei unterstützen, die Therapie durchzuhalten und abzuschließen“, sagt sie. Manche europäische Städte haben mobile Tuberkulose-Einheiten, die zum Beispiel zu den Obdachlosen oder Drogenabhängigen fahren. Dazu kommen Angebote wie kostenlose Mahlzeiten, Unterkünfte und andere Hilfen, etwa für psychisch kranke Tuberkulosepatienten. Wichtig sei auch, dass bei Gaststudenten oder Migranten nicht nur mit der Therapie begonnen wird. Wenn sie in ihre Heimat zurückkehren, müssen sie dort an ein entsprechendes Krankenhaus oder Zentrum überwiesen werden.

Auch in Deutschland steigt der Anteil multiresistenter Tuberkulose. Im Moment liegt er bei 2,3 Prozent. „Die gemeinsamen Anstrengungen in der frühen Erkennung und Prävention müssen intensiviert werden“, sagt RKI-Präsident Reinhard Burger. Der öffentliche Gesundheitsdienst brauche dafür ausreichende Ressourcen.

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