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„I am in.“ Forscher und Studierende starten viele Kampagnen gegen den Brexit.
© AFP

EU-Votum in Großbritannien: Die Angst der Unis vor dem Brexit

Die britischen Hochschulen kämpfen vehement gegen einen Brexit. Sie fürchten massive finanzielle Nachteile, sollte das Land aus der EU austreten. Ein Austritt könnte aber auch deutsche Studierende treffen.

Stephen Hawking, der berühmte britische Astrophysiker, bezieht gerne dezidiert politisch Position. Unlängst trat er im Frühstücksfernsehen des Senders ITV auf, um seinen Landsleuten in Sachen Brexit ins Gewissen zu reden. „Die Zeiten sind vorbei, in denen wir alleine gegen die Welt bestehen konnten“, mahnte Hawking. Nicht nur für die Sicherheit und die Wirtschaft des Landes, auch für die Wissenschaft wäre ein Austritt aus der EU ein „Desaster“. Großbritannien würde von Ideen von außen abgeschnitten, das Land seine Innovationskraft verlieren. Das Szenario, das Hawking aufmachte, klang umso dystopischer, als dass er sich bekanntermaßen einer computerisierten Stimme bedient, um mit der Außenwelt zu kommunizieren.

In gut einer Woche entscheiden die Briten, ob sie aus der Europäischen Union austreten. Während das Land in der Frage gespalten scheint, ist man sich an den Hochschulen überwiegend einig: Wie Stephen Hawking trommeln praktisch alle Größen der britischen Wissenschaft für einen Verbleib des Landes in der EU. Die Vice-Chancellors – also die Rektoren – der über hundert britischen Hochschulen haben fast geschlossen in einem offenen Brief in der „Sunday Times“ die „überlebenswichtige Rolle der EU bei der Unterstützung unserer Weltklasse-Unis“ beschworen. 150 Mitglieder der Royal Society veröffentlichten einen ähnlichen Appell.

Der Dachverband „Universites UK“ startete unmittelbar nach Verkündung des Referendums eine Kampagne pro EU. Dutzende Initiativen folgten. „An den Unis findet man fast nur Leute, die für die EU oder zumindest neutral sind“, sagt der Politikwissenschaftler Peter Carmichael von der Uni Belfast, der unlängst in Berlin über das Referendum sprach. Auch Jo Johnson, der Minister für die Universitäten, wirbt für einen Verbleib – pikanterweise ist er der Bruder von Boris Johnson, dem wortmächtigen Brexit-Befürworter.

Acht Milliarden Euro warben britische Unis von der EU ein

Die Unis treiben handfeste finanzielle Gründe um: Großbritannien ist nach Deutschland das Land, das am meisten Forschungsmittel von der EU einwirbt. Acht Milliarden Euro waren es von 2006 bis 2015. Das ist überproportional viel im Vergleich zu dem, was die Briten in den EU-Forschungsetat einzahlen. Die Unis sind auf die EU-Mittel umso mehr angewiesen, als der Staat seine Zuschüsse in den vergangenen Jahren radikal gekürzt hat und auch die Wirtschaft im Verhältnis sehr viel weniger für Forschung und Entwicklung aufwendet als in Deutschland. „Die britische Wissenschaft hat eine starke Abhängigkeit von den EU-Zuschüssen entwickelt“, stellt eine neue Studie des Thinktanks „Digital Science“ fest (hier geht es zur ganzen Studie). Demnach sind ganze Fächer in ihrer Existenz bedroht, sollten mit einem EU-Austritt auch die EU-Mittel wegfallen. Die Nanotechnologie und die Biomedizin etwa beziehen 60 Prozent ihrer Drittmittel aus Brüssel.

Nun würden bei einem Votum für den Brexit die Zahlungen der EU nicht auf einmal gestoppt. Die Verträge zwischen Großbritannien und der EU müssten vielmehr in der Wissenschaft wie in allen Bereichen neu verhandelt werden – wobei unklar ist, was herauskommen könnte. Wird es ein Abkommen ähnlich wie mit Israel, der Schweiz und Norwegen? Die erhalten ebenfalls Geld aus EU-Forschungsprogrammen. Darauf verweisen Brexit-Befürworter. Sie argumentieren, die Unis würden auch ohne EU-Mitgliedschaft finanziell von Brüssel profitieren. In ihren Augen betreiben die Unis Panikmache – oder gar von Brüssel eingekaufte Propaganda, wie die Pro-Brexit-Gruppe „Business for Britain“ unterstellte: „Von der EU bezahlte Forscher sind genauso befangen wie Islamwissenschaftler, die von Riad finanziert werden.“

Bei einem Brexit könnte Forschernetzwerke zerstört werden

Derzeit überweist die EU zehn Prozent ihres Forschungsetats nach Großbritannien. Zu glauben, die EU würde diesen großen Anteil auch einem Nicht-Mitglied zugutekommen lassen, halten wiederum an den Unis viele für naiv. Außerdem gehe es um mehr als Finanzen: Wissenschaft sei global, ein EU-Austritt als Zeichen eines Isolationswillen kontraproduktiv. „Man bangt um die vielen Netzwerke, die Wissenschaftler aufgebaut haben“, sagt der Politikwissenschaftler Carmichael.

Und so blicken auch deutsche Hochschulen nervös nach Großbritannien. Sie unterhalten unzählige Partnerschaften mit britischen Unis. Die EU fördert rund tausend Projekte, an denen beide Länder gemeinsam beteiligt sind, 5,3 Milliarden Euro werden dafür zwischen 2014 und 2020 überwiesen. Horst Hippler, Präsident der deutschen Hochschulrektorenkonferenz, hält einen Brexit denn auch für „verheerend“. Allein die längere Phase der Unsicherheit, die darauf folgen würde, schade der Zusammenarbeit.

Die Deutschen sind beliebt an britischen Unis

Die Deutschen sind beliebt an britischen Unis, mit 5200 Forschern stellen sie die größte internationale Gruppe. Bisher können sie ohne große bürokratische Hürden einen Job annehmen, die Personenfreizügigkeit in der EU garantiert das. Sollte jedoch nach einem Brexit jeder EU-Forscher eine Arbeitserlaubnis beantragen müssen, wäre das ein „administratives Horrorszenario“, sagt Georg Krawietz, Leiter des DAAD-Büros in London: „Darauf sind die britischen Institutionen überhaupt nicht eingestellt.“ Schon jetzt berichten britische Unis über EU-Forscher, die derzeit Stellenangebote ablehnen. Sie befürchten eine jahrelange Ungewissheit über ihren Aufenthaltsstatus, sollte sich Großbritannien für einen EU-Austritt entscheiden.

Und was ist mit den Studierenden? Mehr als 18 000 junge Deutsche sind an einer britischen Uni eingeschrieben: 4400 im Rahmen des Erasmus-Austauschprogramms der EU, 13 700 absolvieren ihr gesamtes Studium dort. Insbesondere letztere könnte ein Brexit treffen. Bisher zahlen sie dieselben Studiengebühren wie Briten: In der Regel 9000 Pfund (11 500 Euro) im Jahr. Als EU-Bürger haben sie immerhin Anspruch auf einen Gebührenkredit. Nicht-EU-Bürger haben diesen Anspruch nicht, und das Studium ist für sie noch einmal teurer. Laut Krawietz liegen die Gebühren in den Geisteswissenschaften um 25 Prozent höher, in den Naturwissenschaften um 50 Prozent, in der Medizin um 80 Prozent. Würden deutsche Studierende wie Nicht-EU-Bürger behandelt, „spitzt sich die Frage, ob man sich ein Studium in Großbritannien leisten kann, für Deutsche noch einmal zu“, sagt Krawietz.

Was wird aus dem Erasmus-Programm?

DAAD-Präsidentin Margret Wintermantel hat gewarnt, auch das Erasmus-Programm müsse neu verhandelt werden. Bislang gewährt es einen reibungslosen und gebührenfreien Austausch. Ob sich bei neuen Verträgen für Studierende wirklich Entscheidendes ändern würde, ist schwer vorherzusagen. Schließlich ist die Teilnahme eines Landes nicht per se an eine EU-Mitgliedschaft gebunden, Island, die Türkei und Norwegen gehören ebenfalls zu den 33 Erasmus-Ländern.

Dass die EU gleichwohl sehr genau darauf achtet, wie sich Rahmenbedingungen bei ihren Nicht-EU-Partnern entwickeln, zeigte im Jahr 2014 das Beispiel der Schweiz. Nachdem die Schweizer einer Volksinitiative gegen „Masseneinwanderung“ zugestimmt hatten und die Schweiz daraufhin ein Protokoll zur Erweiterung der Personenfreizügigkeit mit der EU nicht unterschreiben konnte, durfte sie zwar weiter an den EU-Forschungsprogrammen partizipieren. Aus Erasmus aber schloss die Europäische Kommission das Land aus. Die Schweiz musste daraufhin aus eigenen Mitteln ein Austauschprogramm analog zu Erasmus aufbauen. Der bürokratische Aufwand für die Re-Organisation war für die Hochschulen enorm. Und auch wenn der Austausch weiter funktioniert – die Zahl der Austauschstudierenden ging dennoch zurück.

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