Großbritannien und das EU-Referendum: Britische Unis kämpfen für Europa
Sorry, wir sind europäisch: Die britischen Universitäten kämpfen für den Verbleib Großbritanniens in der EU. Sie fürchten, bei einem Austritt viel Geld zu verlieren.
„Wir sind international. Aber zuallererst sind wir europäisch“: Aus Großbritannien hört man solche Aussagen nicht allzu oft. Doch nach dem Wahlsieg von David Cameron und dem nahenden Referendum über die EU-Mitgliedschaft gehen jetzt die britischen Hochschulen mit genau diesem Statement an die Öffentlichkeit – und kündigen eine große Werbekampagne zugunsten der EU an. „Wir sind glücklich, zum europäischen Netzwerk zu gehören“, heißt es in einer Erklärung von „Universities UK“, dem Dachverband der Hochschulen.
"Harte Beweise und fesselnde Geschichten für die EU"
Als „Teil eines größeren Ganzen“ seien die Hochschulen viel besser gewappnet, die Herausforderungen für die Welt zu erforschen, „als wenn wir auf uns alleine gestellt sind“. Darum würden die Hochschulen alles tun, um die Briten davon zu überzeugen, in der EU zu bleiben. „Wir werden in den kommenden Wochen und Monaten landesweit werben: mit harten Beweisen und fesselnden Geschichten, warum die Mitgliedschaft in der Europäischen Union so wichtig ist und einen positiven Einfluss auf die britische Bevölkerung, unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft und unsere Hochschulen hat.“
Es ist nicht das erste Mal, dass die britischen Hochschulen mit Liebesbekundungen zugunsten der auf der Insel ansonsten so wenig geschätzten Europäischen Union in Erscheinung treten. Bereits im vergangenen Jahr veröffentlichten Professoren und Rektoren in der „Times“ einen offenen Brief, in dem sie vor den Folgen eines EU-Austritts warnten.
Die EU-Begeisterung hat finanzielle Gründe
Die EU-Begeisterung der Unis hat handfeste finanzielle Gründe. Zwar herrscht in der britischen Öffentlichkeit, ähnlich wie in der deutschen, oft die Meinung vor, das Land überweise zu viel Geld an die EU, ohne selbst davon zu profitieren. Doch die Unis sehen das umgekehrt – schließlich schneiden sie bei der EU-Forschungsförderung überdurchschnittlich gut ab. Allein im Jahr 2013 haben die britischen Unis mehr als eine Milliarde Pfund (1,4 Milliarden Euro) aus Brüssel erhalten, heißt es auf der Webseite von „Universities UK“. Geld, auf das die Unis ungern verzichten – nicht zuletzt, weil die britische Regierung die eigenen Zuschüsse für die Hochschulen in den vergangenen Jahren extrem gekürzt hat.
125000 Erasmus-Studierende im Land
Die Unis führen weitere Zahlen an: 125 000 Studierende kommen pro Jahr mit dem Erasmus-Programm ins Land. Diese generierten für die Wirtschaft einen Umsatz von 2,2 Milliarden Pfund und sicherten 19 000 Jobs. Wer mit internationalen Co-Autoren publiziere, werde öfter zitiert: „65 Prozent unserer Top-Forschungspartner kommen aus der EU.“
Und so haben sich mehr Pro-EU-Forschergruppen gebildet. Direkt nach dem Wahlsieg der Tories vor knapp zwei Wochen gründete sich „Scientists for EU“, das auf Facebook schon fast 4000 „Likes“ hat. Dort wollen Wissenschaftler erzählen, wie die EU ihr Forscherleben positiv verändert hat. So schreibt eine Physikerin aus Nottingham: „Ohne die EU-Stipendien hätte ich gar nicht Wissenschaftlerin werden können.“ Im „Guardian“ schrieb Matthew Freeman, Zellbiologe aus Oxford, dank der EU-Mittel sei sein Labor ein „wunderbarer polyglotter Schmelztopf“: „Und das, obwohl wir Briten im Labor uns wegen unserer mangelhaften Fremdsprachenkenntnis schämen müssten.“ Freeman verwies auf die Nobelpreisträger Andre Geim und Konstantin Novolesov, die an der Uni Manchester forschen: „Die haben von der EU in den vergangenen zehn Jahren alleine eine Milliarde Euro bekommen.“
Jo Johnson wird Wissenschaftsstaatsekretär
Nun ist fraglich, ob die britischen Unis mit einem Austritt des Landes wirklich die Förderung verlieren. Die EU-Skeptiker kontern mit dem Beispiel der Schweiz. Diese gehöre als Nicht-EU-Mitglied trotzdem zum europäischen Forschungsraum; die Schweizer Unis waren bei der EU-Förderung bislang sehr erfolgreich. So dürften auch die britischen Unis nicht ausgeschlossen werden, sagen EU-Skeptiker. Die Pro-EU-Fraktion hält dagegen, dass gerade die Schweiz ein schlechtes Beispiel sei. Unlängst erst habe es Beschränkungen für die Schweiz bei einem Teil von „Horizon 2020“, dem neuen Forschungsprogramm der EU, gegeben. Solche Unwägbarkeiten könnten sich die britischen Unis nicht leisten.
Offenbar als Reaktion auf die Befürchtungen der Unis haben die Tories Jo Johnson zum Wissenschaftsstaatssekretär gemacht. Der Bruder des Londoner Bürgermeisters gilt als EU-Befürworter. Allerdings darf Johnson anders als sein Vorgänger nicht an Kabinettssitzungen teilnehmen, was die Unis erzürnt, wie „Nature“ berichtet. Sie befürchten weitere Kürzungen, schließlich will die Regierung insgesamt 30 Milliarden Pfund sparen. Dann könnten die Studiengebühren weiter steigen. Deren Höchstgrenze liegt derzeit bei 9000 Pfund im Jahr, was 12 400 Euro entspricht.
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