Heimliche Verbreiter der Coronavirus-Seuche?: Die 20- bis 29-Jährigen sind am häufigsten infiziert
Junge Leute erkranken seltener als ältere an Covid-19. Doch Daten aus Südkorea zeigen: Sie könnten die Treiber der Pandemie sein, die Super-Spreader.
Die besten Informationen darüber, welche Bevölkerungsgruppe sich selbst (und andere) am häufigsten mit dem Sars-CoV-2-Virus ansteckt, stammen derzeit aus Südkorea. Und sie zeigen: 30 Prozent, also 2300 von allen 8100 Infektionen in dem Land betreffen 20- bis 29-Jährige – mehr als jede andere Altersgruppe. Zwar erkranken die Jungen bei weitem nicht so häufig wie ältere Menschen und in Südkorea starb nicht einer aus dieser Gruppe an Covid-19.
Doch offenbar tragen sie wesentlich zur Verbreitung des Virus bei – aufgrund ihrer häufigen sozialen Kontakte in Schulen, Unis, Arbeitsplätzen und Freizeitaktivitäten in Bars und Clubs. Sie könnten – ohne es zu wissen – die treibende Kraft der Pandemie sein.
Südkorea gilt als das Land, in dem am meisten Tests auf das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 durchgeführt werden: rund 4000 Tests pro Million Einwohner – vier Mal soviel wie in Italien, 156 Mal so viel wie in den USA. In Deutschland zählt niemand, wieviele Tests gemacht wurden.
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Während in anderen Ländern vor allem Erkrankte getestet werden, hat Südkorea die Testkapazitäten (bis zu 20000 Tests pro Tag) derart ausgebaut, dass auch viele symptomfreie Menschen, praktisch jeder, der einen Tests haben will, berücksichtigt wird. Sogar rund 50 Drive-thrus gibt es im Land, in denen man sich im Auto testen lassen kann, ohne auch nur aussteigen zu müssen.
Risikobereiter, cooler, rebellischer
Dadurch spiegeln die Zahlen den tatsächlichen Ausbreitungsverlauf der Viren wahrscheinlich wesentlich besser wieder als die Daten aus andere Ländern. Auf das massenhafte und frühe Testen und das frühe Erkennen von Erkrankten wird auch die vergleichsweise geringe Sterblichkeit in Südkorea – 0,7 Prozent im Vergleich zu sieben Prozent in Italien – durch Covid-19 zurückgeführt. Ein anderer Grund könnte sein, dass die Seuchenschutzbehörde Südkoreas, die KCDC, im Dezember gerade erst den Pandemiefall geprobt hatte – mit einem fiktiven Coronavirus.
Vergleiche zwischen Ländern mit unterschiedlichen Kulturen, politischen Systemen und Gesundheitsstrukturen gehen bei einer Pandemie immer mit Unsicherheiten einher. Doch dass junge Menschen etwa zehn Mal mehr soziale Kontakte haben als ältere Bevölkerungsteile, gilt dort wie hier. Gleichermaßen sind Junge risikobereiter und halten sich seltener an soziale Normen, etwa die derzeit von praktisch jeder staatlichen Institution empfohlene und angeordnete soziale Distanzierung.
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Wer Beispiele für spätpubertär rebellisches Verhalten sucht, braucht in Berlin nur zu den Spätis gehen, wo sich angesichts geschlossener Bars die besonders „Coolen“ der Stadt in kuscheligen Menschentrauben versammeln und fröhlich die Bierflaschen herumreichen – bevor sie gegen Morgen nach Hause fahren und sich von Mama oder Opa einen Kaffee machen lassen.
37 Prozent der Covid-19-Toten in Südkorea sind zwischen 70 und 80 Jahre alt
So richtig es oft ist, den Jungen ihren Spaß zu lassen und nicht jedes Testosteron- oder Östrogen-gesteuerte Verhalten ernst zu nehmen – dass diese Pandemie kein Spaß ist, müsste auch 20- bis 29-Jährigen bewusst werden, wenn sie auf die südkoreanischen Zahlen blicken: Von den 8100 Infizierten starben in der Altersgruppe der 70- bis 80-Jährigen 5,3 Prozent der Infizierten (28 von 525). Und von irgendwoher haben sie die Viren bekommen. Sind die Jungen in dieser Epidemie etwa wie die „Thyphus-Mary“, die zwischen 1900 und 1907 als Köchin in und um New York City arbeitete und der Reihe nach 51 Menschen in mehreren Familien mit dem Fleckfieber ansteckte, selbst aber nie krank wurde wegen einer zufälligen Immunität?
Dafür gibt es keine Belege oder Daten, das muss hier deutlich erwähnt werden. Ebenso, dass die hohen Infektionszahlen bei den 20- bis 29-Jährigen natürlich auch ein Mess-Artefakt sein könnten: Vielleicht war diese Gruppe aus irgendeinem Grund besonders testfreudig?
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Dennoch kann man sich auf Basis der bisherigen Daten, bei aller gebotenen Skepsis, vor Augen führen, dass auch das Verhalten der 20- bis 29-Jährigen für diese Pandemie relevante Folgen hat: Von einem Besuch im Club oder der kleinen privaten 25-Jahre-Geburtstagsparty mit 100 Gästen gehen (statistisch) etwa 30 Infizierte nach Hause in die Familien. Und am Ende erkranken dann oder sterben gar Großvater oder -mutter, die auf diesem Wege angesteckt wurde – direkt oder indirekt.
Frage ist, ob sich der rebellische Späti-Besuch dann noch so „cool“ anfühlt.
– Was die Sterberate in der Altersgruppe der 70- 80-Jährigen betrifft, ist uns in einer früheren Version des Textes leider ein Fehler unterlaufen, der inzwischen korrigiert ist. Wir bitten das zu entschuldigen.