Berlins Fachhochschulen: „Der Nachholbedarf bei der Finanzierung ist enorm“
Uwe Bettig, Rektor der Alice-Salomon-Hochschule, fordert deutlich mehr Geld für die Berliner Fachhochschulen. Es fehle an Räumen und Personal.
Herr Bettig, die Studierendenzahlen an den Berliner Fachhochschulen sind in zehn Jahren um 40 Prozent gestiegen. Das Personal in der Lehre und der Verwaltung ist aber nicht mitgewachsen, auch nicht die Räumlichkeiten. Wie unterfinanziert sind Berlins Fachhochschulen?
Der Nachholbedarf ist enorm. Ein Großteil der gewachsenen Aufgaben in der Lehre wird von Lehrbeauftragten übernommen. Dadurch ist der Anteil der hauptamtlich Lehrenden – also der professoralen Lehre – massiv gesunken. Wir streben hier wieder einen Anteil von 75 Prozent professoraler Lehre an. Dies erfordert eine entsprechende Aufstockung der Grundfinanzierung. Es ist außerdem notwendig, um endlich auch den Berliner Fachhochschulen unabhängig von kurzfristigen Drittmittelprojekten die Beschäftigung von wissenschaftlichen Mitarbeiter_innen zu ermöglichen. Auch Fachhochschulen brauchen heute einen Mittelbau für Lehr-, Forschungs- und Entwicklungsaufgaben. Auch die Verwaltung sowie die Infrastruktur sind nicht annähernd in diesen Dimensionen mitgewachsen. So ist zum Beispiel das Gebäude der ASH Berlin für 1200 Studierende errichtet worden, heute, nach geringen baulichen Erweiterungen, studieren dort 3500 Studierende.
Die Verhandlungen für die neuen Hochschulverträge für die Zeit nach 2017 beginnen. Berlins Wissenschaftssenatorin Sandra Scheeres hat bereits angekündigt, es werde „wieder Steigerungen“ geben. Wie groß sind Ihre Hoffnungen?
Wir konkurrieren sicher mit dem Wohnungsbau oder den Schulen, die ja auch großen Bedarf haben, wollen in den Verhandlungen aber erreichen, dass die beschriebene Unterfinanzierung beseitigt wird und weitere Aufwüchse an Studienplätzen voll finanziert werden. Das heißt im Klartext, dass die Grundfinanzierung die Kernaufgaben Lehre, Forschung und auch Weiterbildung sowie die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung abdeckt. Die Hochschulen sollten nicht zunehmend auf Drittmittel angewiesen sein, die ja nicht nachhaltig zur Verfügung stehen.
Die Fachhochschulen stützen sich in der Lehre besonders stark auf prekär beschäftigte Lehrbeauftragte. Erwarten Sie, dass die neue Berliner Regierung hier gesetzliche Regelungen schafft?
Ich denke, dass in der kommenden Legislaturperiode gerade die Personalsituation der unterschiedlichen Mitgliedergruppen und vor allem der befristet und mit Honorarverträgen im Wissenschaftsbetrieb Beschäftigten im Fokus der politischen Akteure stehen wird und stehen muss. Wer Daueraufgaben wahrnimmt, sollte fest angestellt werden können.
Im Berliner Koalitionsvertrag wurde vor fünf Jahren festgehalten, die Möglichkeiten zur Promotion für FH-Absolventen müssten gestärkt werden. Wie hat sich die Lage seitdem entwickelt?
Hier hat sich in den letzten Jahren fast nichts getan, was wir sehr bedauern. Da andere Bundesländer hier weit fortgeschritten sind, bedeutet dies konkret einen Wettbewerbsnachteil für die Berliner Fachhochschulen. Gerade in den Fächern der Sozialen Arbeit, Gesundheit und Erziehung (SAGE), die die ASH Berlin vertritt, besteht ein großer Bedarf, komplexe soziale Fragen mit Promotionen zu untersuchen. Diese Fächer sind aber an den Universitäten kaum oder nicht vertreten, während es gleichzeitig an den Fachhochschulen hinreichend viele Absolvent_innen gibt, die das Zeug zur Promotion haben und motiviert sind. Für diese gibt es zu viele Barrieren. Nicht zuletzt ist das fehlende Promotionsrecht gerade in diesen Fächern auch eine Barriere bei der Nachwuchsgewinnung für Professuren an Fachhochschulen.
Wie weit soll Berlin gehen? In Hessen gibt es für forschungsstarke FHs das Promotionsrecht. Baden-Württemberg gibt FH-Verbünden das Promotionsrecht auf Zeit.
Kurzfristig sollten die Fachhochschulen in den Fächern, in denen die Universitäten nicht promovieren, das Promotionsrecht erhalten. Diese Sicht wird mittlerweile in Teilen auch politisch geteilt. Mittelfristig sollten die Fachhochschulen für alle forschungsstarken Fächer und Fakultäten das Promotionsrecht erhalten. Der Widerstand der Universitäten ist ja weniger inhaltlich begründet als vielmehr von Statusdenken geprägt.
Sollen die Fachhochschulen mittelfristig überhaupt Universitätsrang erhalten, so wie Großbritannien es bei den Polytechnics in den Neunzigern gemacht hat?
Ich halte die Marke „Fachhochschule“ respektive „Hochschule für angewandte Wissenschaften“ für sehr wertvoll. Wir sind ja sehr erfolgreich am Markt und bilden den Nachwuchs für die regionale Wirtschaft und soziale Organisationen aus. Unabhängig von Namen sollten die Fachhochschulen in ihren Beiträgen zur Wissenschaftsentwicklung anerkannt, gewürdigt und gestärkt werden. Schon allein aus gesellschaftlichem Interesse an sozialen und technischen Innovationen, die oft genug aus der Untersuchung von Fehlerquellen oder Entwicklungsbedarfen im sozialen Zusammenleben entstehen.
Die angewandte Forschung gehört seit über zwanzig Jahren offiziell zum Auftrag der Fachhochschulen. Wie gestaltet sich das Forschen aber bei einer Lehrverpflichtung von 18 Semesterwochenstunden und ohne wissenschaftliche Mitarbeiter?
Das ist in der Tat ein massiver Wettbewerbsnachteil für Fachhochschulen. Wir konkurrieren mit den Universitäten um Fördermittel, aktuell zum Beispiel im Programm „Innovative Hochschule“ von Bund und Ländern. Wir haben aber völlig unterschiedliche Voraussetzungen. Ein Lehrdeputat von 18 SWS verhindert einen größeren Einsatz der FH-Professoren in der anwendungsorientierten Forschung. Gerade diese kommt aber direkt der regionalen Wirtschaft und den Verbänden zugute und schafft Arbeitsplätze. In den Hochschulvertragsverhandlungen wird sicher der fehlende Mittelbau der Fachhochschulen eine Rolle spielen. Es ist nicht nachvollziehbar, auf der einen Seite Forschung und Entwicklung in sozialen, pädagogischen und Gesundheitsfeldern zu verlangen, diese durch fehlende Rahmenbedingungen aber zu erschweren. Ganz generell verschenkt man die besondere wissenschaftliche Kompetenz der Fachhochschulen, zu technischen und gesellschaftlichen Innovationen beizutragen, wenn man deren Potenzial durch angemessene Ausstattung nicht zur Wirkung kommen lässt.
Der Wissenschaftsrat hat im Jahr 2010 flexible Lehrdeputate und auch FH-Professuren mit Schwerpunkt Forschung und nur neun Semesterwochenstunden Lehre empfohlen. Was sieht man davon an Berlins Fachhochschulen?
Die Möglichkeiten der individuellen Abminderung des Lehrdeputats sowie der Schaffung von Forschungsprofessuren sind sehr eingeschränkt. Wir erwarten hier auch in Berlin ein Umdenken – so wie es in anderen Bundesländern bereits geschehen ist. Langfristig sollte das Lehrdeputat sicher insgesamt abgesenkt werden, um Freiräume für Forschung zu schaffen.
Kleine und mittlere Unternehmen sind beim Forschen oft auf Fachhochschulen angewiesen. Sind Berlins FHs mit ihrer Infrastruktur so aufgestellt, dass hier alle Potenziale geschöpft werden können?
Ein sehr positives Beispiel ist hier das Institut für angewandte Forschung Berlin (IFAF). Hierüber werden eben solche Forschungsprojekte finanziert. Die Resonanz für diese Projekte ist hervorragend und die Forschungsergebnisse sind stark nachgefragt. Eine Ausweitung der dortigen Aktivitäten würde genau dieser Zielgruppe helfen, sodass wir uns für das IFAF eine bessere Finanzausstattung wünschen. Die Forschungsförderprogramme auf Bundesebene sind hier eher ein Problem, da diese nur unzureichend finanziell hinterlegt sind.
Wissenschaftssenatorin Scheeres hat Forschungssenatorin Yzer vorgeworfen, sie habe das IFAF „stiefmütterlich“ behandelt. Finden Sie das auch?
Frau Yzer und die Senatsverwaltung für Wirtschaft haben sich immerhin dafür eingesetzt, dass das IFAF nach einer dramatischen Kürzung der Mittel wieder auf den ursprünglichen Zwei-Millionen-Etat bauen kann. Aber leider wird das große Potenzial des IFAF in der Politik nur zögerlich zur Kenntnis genommen. Wir brauchen dort mehr Mittel und an den Hochschulen bessere Forschungsvoraussetzungen. Die finanzielle Ausstattung ist mit zwei Millionen Euro pro Jahr ja vergleichsweise bescheiden, denken wir im Vergleich an das Einsteinforum mit seinen rund zehn Millionen Etat. Die regionale Wirtschaft sowie die Verbände haben großes Interesse an den Projekten des IFAF, die immer zwischen zwei Hochschulen sowie Kooperationspartnern aus Wirtschaft und sozialen Organisationen laufen. Sicher ist es auch sinnvoll, das IFAF nach den Wahlen im September wieder in das Ressort Wissenschaft zu integrieren.
Die vier Berliner Fachhochschulen bewerben sich mit einem gemeinsamen Antrag um Mittel aus dem Bund-Länder-Programm „Innovative Hochschule“. Welche stimulierenden Effekte darf man sich auf Innovation und Transfer von diesem finanziell eher kleinen Programm erhoffen?
Wir verfolgen mit dem gemeinsamen Antrag das Ziel, die Leistungen der Hochschulen im Bereich der Forschung noch besser an Unternehmen, Verbände und die Gesellschaft zu transferieren. Neben Lehre und Forschung wird auch das gesellschaftliche Engagement der Hochschulen eine Rolle spielen. Hier sind die Fachhochschulen ja Vorreiter, so zum Beispiel bei der Integration von Menschen mit Fluchterfahrung in ein Studium oder in berufliche Weiterbildung sowie bei der Inklusion in unsere Sozial-, Kita- Schulbildungs- und Gesundheitssysteme.
Die Fragen stellte Anja Kühne. - Uwe Bettig ist seit 2014 Rektor der Alice-Salomon-Hochschule Berlin. Er ist Professor für Management und Betriebswirtschaft in gesundheitlichen und sozialen Einrichtungen