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Forscher müssen sich viel früher, schon wenn sie Ideen für Techniken wie „Gene Drive“ entwickeln, über mögliche Folgen austauschen, sagt Kevin Esvelt vom MIT.
© Thomas Koehler/ photothek/ Falling Walls Foundation

Falling Walls Konferenz 2018: Der Menschheit größte Hoffnung gegen Malaria

Die „Gene Drive“-Technik kann das Erbgut ganzer Arten verändern – ausrotten kann sie eine Spezias aber nicht.

Lange bevor Kevin Esvelt überhaupt irgendein Experiment dazu in seinem Labor am Massachusetts Institute of Technology in Boston durchgeführt hatte, wusste er schon, dass seine Idee das Potenzial hat, die Welt fundamental zu verändern – sowohl zum Guten, womöglich auch zum Schlechten.

Erstmals können Menschen ganze Arten gezielt genetisch verändern

Dabei war der Gedankengang im Grunde simpel: Wie wäre es, wenn man die Erbinformation für die Gen-Schere Crispr/Cas9 ins Genom von, zum Beispiel, Mücken einsetzen würde? Wenn sich diese Labor-Mücken mit freilebenden Mücken fortpflanzten, würde sich die Gen-Schere in der Population der Insekten rasch verbreiten – vor allem wenn man mit einem genetischen Trick dafür sorgt, dass immer alle Nachkommen das Gen-Scheren-Gen erben. In kürzester Zeit hätte man ein molekulares Werkzeug in einer ganzen Mücken-Population verteilt, mit dem man die Tiere entweder zeugungsunfähig oder auch immun gegen Krankheitserreger machen könnte: Malaria, Dengue-Fieber oder Zika-Viren würden nicht mehr auf den Menschen übertragen.

„Es gibt keine vergleichbare Technologie, die ähnlich mächtig ist“, sagte Esvelt dem Tagesspiegel anlässlich seiner Vorträge auf der Falling Walls und der Future Medicine Konferenz diese Woche in Berlin. „Gene Drive“ sei die beste Hoffnung, die die Menschheit derzeit im Kampfe gegen Malaria habe. „Wir könnten damit im Laufe einer Dekade 2,5 Millionen Menschenleben retten.“

Rückholsystem für Gene-Drives

Gleichzeitig weiß Esvelt aber auch um die Verantwortung, die Forscher wie er selbst mit dem Umgang mit einer Technik haben, die nicht nur einzelne Individuen, sondern ganze Arten verändern kann. Und die vor allem so einfach zugänglich ist, dass sie in jedem durchschnittlichen Gentechnik-Labor eingesetzt werden kann. „Sie ist sehr invasiv, kann viele Probleme lösen, aber auch viele Probleme verursachen“, das sei ihm sofort bewusst gewesen. Daher habe er erst dann mit anderen Forschern darüber gesprochen, als klar war, dass man auch Gegenmaßnahmen, „Anti-Gene-Drives“, entwickeln kann, mit denen die ursprünglichen Veränderungen in einer Art notfalls rückgängig gemacht oder gestoppt werden können. "Wir haben eine große moralische Veranwortung für die Konsequenzen der Techniken, die wir entwickeln, wir sind aber auch für die Konsequenzen verantwortlich, die aus der Ablehnung der Technik entstehen." Die Art und Weise, wie die Forschungsgemeinschaft die Gene Drive Technologie entwickle, sei womöglich wichtiger, als die Technologie selbst. "Viele Forscher verstehen nicht, dass es einfacher ist, biologische Systeme zu verändern, als kulturelle."

Keine andere technische Neuerung mache es so deutlich wie Gene Drives, dass man "die Art, wie wir forschen, verändern muss", sagt Esvelt. Obwohl er sich alle Mühe gemacht habe, andere Forscher davor zu warnen, Gene Drives ohne die nötigen Sicherheitsvorkehrungen – etwa gegen ein Entkommen veränderter Mücken aus dem Labor - zu entwickeln, sei diese Botschaft beispielsweise an einigen Fruchtfliegenforschern vorbeigegangen, die auf die gleiche Idee gekommen waren. „Selbst brillante Forscher mit den besten Absichten waren sich anfangs nicht aller Konsequenzen bewusst“, sagt Esvelt. Das Editieren einer ganzen Spezies sei damals, 2013, eben noch etwas Undenkbares gewesen. Die Forschung müsse daraus lernen und weniger geheimniskrämerisch werden. Nicht erst Resultate von Experimenten dürften begutachtet werden, sondern schon beim Planen von Experimenten müssten sich Forscher viel mehr austauschen. Das würde nicht nur Forschung beschleunigen, sondern die Forschungsgemeinschaft - und damit auch Gesellschaft und Umwelt - vor womöglich nicht wieder umkehrbaren Auswirkungen bewahren.

Das Ziel ist nicht, Arten auszurotten, sondern Krankheiten wie Malaria

Die Befürchtung allerdings, dass die Gene- Drive-Technik Mücken oder andere Arten komplett auslöschen könne, weißt Esvelt entschieden zurück. Den Begriff Ausrottung im Zusammenhang mit Gene Drive zu verwenden, grenze an „journalistisches Fehlverhalten“. Mathematische Modelle zeigen, dass die Technik dazu nicht in der Lage sei: Sobald das System eine Mückenpopulation in einer Region zum Zusammenbruch bringt, wird sie von unveränderten Mücken aus benachbarten Gegenden neu besiedelt. Es werde immer Regionen geben, in denen Mückenpopulationen bestehen bleiben, denn wenn eine Population lokal zusammenbricht, wird auch das Gene-Drive-Konstrukt nicht mehr weitergegeben. „Es wird keine Art je aussterben aufgrund einer Gene-Drive-Technik“, sagt Esvelt. „Das ist nicht das Ziel. Das Ziel ist, Malaria auszurotten.“

Esvelt ist skeptisch, ob das auch gelingen kann, wenn Mücken mit Gene-Drive-Konstrukten nur immun gegen den Befall von Parasiten wie dem Malariaerreger Plasmodium falciparum gemacht werden. Er zieht es vor, die Fortpflanzungsfähigkeit der Mücken mittels Gene Drive einzuschränken oder zu verhindern. Denn zum einen gibt es nur eine begrenzte Anzahl von Möglichkeiten, um dem Parasitenbefall vorzubeugen. Zum anderen würden die Erreger mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Wege finden, diese Maßnahmen zu umgehen.

Gesellschaft einbinden

Wie eine Technik wie Gene Drive im Einklang mit den Menschen einer Region, wo sie eingesetzt werden könnte, angewendet werden soll, testet Esvelt derzeit etwa in einem "Community"-Projekt auf der Insel Nantucket im US-Bundesstaat Massachusetts. Dabei werden die Bewohner von Anfang an in die Entscheidungen eingebunden, wie und ob bestimmte Mäuse mit Hilfe der Technik verändert werden sollen, damit eine Übertragung von Borreliose-Bakterien über Zecken verhindert wird. Ähnliche Projekte verfolgt das "Responsive Science Project" in Neuseeland mit einer Maori-Gemeinde.

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