Molekularbiologie: Wie überträgt die Zecke Krankheiten?
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert den Aufbau einer Nachwuchsgruppe, die genau dieser Frage nachgehen will.
Das Image des gemeinen Holzbocks Ixodus ricinus, der häufigsten Zeckenart in Europa, ist nicht sonderlich gut. Um zu wachsen und für Nachwuchs sorgen zu können, braucht die Zecke im Laufe ihres Lebens drei Blutmahlzeiten: als Larve, als Nymphe und als Erwachsene. Dabei ist sie keineswegs wählerisch.
„Während andere Arten sehr wirtsspezifisch sind, stillt Ixodus ricinus ihren Hunger an hunderten Spezies. Darunter sind neben vielen Säugetieren, inklusive dem Menschen, auch diverse Vogelarten und Reptilien“, sagt Ard Nijhof, Tiermediziner am Institut für Parasitologie und Tropenveterinärmedizin der Freien Universität Berlin.
Ixodus ricinus kommt also in Kontakt mit einer großen Vielfalt an Blutarten, Bakterien und Viren. War ein Wirt infiziert, kann die Zecke mit ihrem Speichel dessen Krankheitserreger auf ihre nächste „Futterquelle“ übertragen. Entsprechend vielfältig sind deshalb auch die Erreger, die durch einen Zeckenstich übertragen werden können: Rund 200 Krankheitskeime wurden bisher identifiziert. Die Auslöser von Lyme-Borreliose und Frühsommermeningitis (FSME) sind beim Menschen nur die bekanntesten. Aber wie gelangen die mit dem Blut aufgenommenen Mikroben eigentlich in den Speichel der Zecken?
Die Erreger müssen sich in der Zecke häuslich einrichten
Ard Nijhof wurden kürzlich vom Bundesministerium für Bildung und Forschung 1,2 Millionen Euro zur Bildung einer Nachwuchsgruppe bewilligt, um unter anderem genau dieser Frage nachzugehen. Das Team will untersuchen, welche Zeckengene an der Übertragung der Erreger beteiligt sind. Die Forscher folgen molekularbiologisch einer kleinen Odyssee, die im Darm der Zecke beginnt. Denn hier landet zunächst die Blutmahlzeit, die beispielsweise mit Borrelia burgdorferi infiziert ist, dem Erreger der Lyme–Borreliose.
Bis die satte Zecke erneut Blut saugen muss, können nun Monate vergehen. Die Erreger müssen sich also in der Zecke häuslich einrichten, um bis dahin zu überleben – und das, ohne ihren Wirt zu sehr zu schädigen. Das erfordert geschickte Anpassung. So klein Zecken auch sind: Sie verfügen über eine eigene Welt von Mikroorganismen, ein Mikrobiom im Darm. Gegen die müssen die Erreger sich zunächst behaupten. Dann verankern sie sich über ein spezielles Oberflächenprotein an der Darmwand und dringen in diese ein, während die konzentrierte Nahrung in den Darmzellen verdaut wird. Und sie vermehren sich dort. Beginnt die Zecke eines Tages erneut zu saugen – ein Prozess, der zwei bis sieben Tage andauern kann – migrieren die Borrelien durch die Darmwand, um in die Speicheldrüsen zu gelangen.
Dabei müssen sie die Immunabwehr der Zecke austricksen. „Eine ganze Reihe von Interaktionen mit Zeckenproteinen sind für diesen Migrationsprozess erforderlich“, vermutet Nijhof.
Forscher hoffen, Gene zu finden, die bei Erfindung neuer Impfstoffe helfen
Wie die Erreger die Speicheldrüsen finden, ist bisher völlig unklar. Einmal dort angelangt, sondern die nun infizierten Speicheldrüsen ein Protein mit dem wissenschaftlichen Namen Salp15 ab, das an ein Oberflächenprotein der Borrelien bindet. „Für die Krankheitserreger ist Salp15 wie ein Tarnumhang, in den sie sich einhüllen. Gelangen sie nun mit dem Speichel in den Blutkreislauf des nächsten Wirts – zum Beispiel eines Menschen – sind sie für dessen Immunabwehr weitgehend unsichtbar“, erklärt Nijhof.
Sein Team will bei Ixodus ricinus die Gene identifizieren, die für all diese Prozesse verantwortlich sind. „Wir hoffen, Gene zu finden, die ein gutes Ziel für Antikörper abgeben, um Impfstoffe entwickeln zu können.“
Das Genom von Ixodes scapularis, der nordamerikanischen Schwester von Ixodus ricinus, wurde kürzlich sequenziert. Deren rund 20 000 Gene liefern den Bauplan für ebenso viele Proteine. „Wir wissen bereits, dass sehr viele davon einzigartig sind: Etwa 20 Prozent kommen nur bei Zecken vor“, sagt Nijhof. „Die Funktion der meisten davon kennen wir bisher nicht.“ Die Genschere CRISPR/Cas, die derzeit in der Forschung Furore macht, bietet die Möglichkeit, gezielt einzelne Gene im Erbgut auszuschalten und so deren Funktion zu ermitteln.
Bei Mücken etwa hat sich diese Technologie bereits etabliert, die Nachwuchsgruppe versucht, sie nun auch bei Zecken anzuwenden. Sollte die Forschung bei Ixodus ricinus zum Erfolg führen und es den Wissenschaftlern irgendwann gelingen, den Blutsaugern ihren Schrecken als Krankheitsüberträger zu nehmen, dürfte auch das Image des gemeinen Holzbocks ein wenig gewinnen.
Catarina Pietschmann