Erfolg der Ebola-Impfung: Den Teufelskreis durchbrechen
Gewalt und Gerüchte, kaum Infrastruktur und Ad-hoc-Allianzen: Während einer Epidemie einen Impfstoff zu erproben, ist eine enorme Herausforderung. Ein Fonds für Impfstoffentwicklung und klare Regeln könnten beim nächsten Mal helfen, schneller zu reagieren. Ein Kommentar.
Fatou hatte Fieber. Außerdem erbrach sich das sechsjährige Mädchen. Das waren schlechte Zeichen, denn Fatou hatte – wie die ganze Familie – am Begräbnis ihres Onkels teilgenommen. Er war an Ebola gestorben. Nun wollten Einsatzkräfte das Mädchen vorsorglich zur nächsten Behandlungsstation bringen. Die Großmutter war verzweifelt. „Ihr werdet sie in Stücke schneiden“, schrie sie. „Hilfe, sie wollen meine Enkelin töten!“ Aufgebrachte Nachbarn schirmten beide ab, die Situation wurde brenzlig. Die Helfer zogen sich zurück. Zu oft waren sie in Forécariah, einem Bezirk Guineas, angegriffen worden.
Die Reaktion der Großmutter habe nichts mit Rückständigkeit zu tun, schreiben zwei amerikanische Ärzte im „New England Journal of Medicine“. Angesichts der Geschichte Guineas, geprägt von 24 Jahren Diktatur und anschließender Militärregierung, sei das Misstrauen rational. So lange Ebola in bestimmten Gemeinden keine Apokalypse verursacht hatte, verließen die Menschen sich auf Traditionen und Familienbande. Warum sollten sie Fremden vertrauen, die sich nur für Ebola interessierten und nicht für andere Leiden, die ebenfalls den Tod bringen?
Und nun stelle man sich vor, irgendwelche Leute wollen nicht nur Kranke abholen, sondern allen Kontaktpersonen eine Spritze geben. Eine Spritze, von der niemand weiß, ob sie wirkt. Vielleicht hat ein Nachbar die Pamphlete von Impfskeptikern gelesen oder zumindest Gerüchte gehört und erzählt seine Version weiter. Welche Erfolgsaussichten räumen Sie dem Versuch ein, unter diesen Umständen eine experimentelle Impfung zu testen? Mal abgesehen von den logistischen Herausforderungen, in einem der ärmsten Länder der Welt eine klinische Studie zu organisieren und für den Impfstoff eine Kühlkette von Minus 80 Grad Celsius sicher zu stellen – bis in weit abgelegene Gebiete?
Ein zusätzliches Werkzeug, das Ansteckungsketten unterbricht
Doch es hat funktioniert. Erstmals gelang der Nachweis, dass eine Ebola-Impfung Menschen vor dem Virus schützen kann, zu 100 Prozent (wir berichteten). Das zeigen die Daten, die Forscher seit März in Guinea gesammelt haben. Sobald ein Kranker identifiziert war, wurden alle erwachsenen Kontaktpersonen ringsum ermittelt und gefragt, ob sie an der Studie teilnehmen wollten. 48 dieser „Ringe“ bekamen die Spritze sofort. Zehn Tage später wurde keiner der Geimpften mehr krank. In den 42 Ringen, die erst drei Wochen später immunisiert wurden, gab es 16 Infektionen. Es steht also 0:16 für die Impfung. Ein vorläufiger, aber großartiger Erfolg.
Wie lange der Schutz anhält, ist unbekannt. Die Impfung ist ohnehin als Werkzeug konzipiert, das Ansteckungsketten im Ausbruch schnell unterbricht. In Westafrika könnte sie helfen, die Ebola-Epidemie zu beenden, die seit Dezember 2013 fast 27 900 Menschen krank gemacht und etwa 11 300 getötet hat. Die Studie geht weiter, bis es keine neuen Fälle mehr gibt. Künftig sollen auch Jugendliche und eventuell Schulkinder geimpft werden.
Das alles war nur möglich, weil sich im Herbst 2014 ungewöhnliche Ad-hoc-Allianzen bildeten. Weil Forscher, Zulassungsbehörden, Industrie, Stiftungen, Nichtregierungsorganisationen, Staaten und WHO sich über alle Differenzen hinweg zusammenrauften und in wenigen Monaten schafften, was sonst Jahre dauert. Auch deutsche Forscher waren dabei. Für sie gab es in dieser Zeit weder Dienstschluss noch Feiertage.
Die ersten Tests am Menschen begannen, als Tote am Straßenrand lagen
Trotz allem kommt der Erfolg ein Jahr zu spät. Es gab bisher keine Regeln für Forschung während eines Ausbruchs. Die WHO bereitet erst jetzt eine Blaupause vor, die ethische und rechtliche Klippen berücksichtigt. Es gab sieben (!) Impfstoffe, die Affen vor Ebola schützen – aber die Immunreaktion und Sicherheit beim Menschen hatte niemand untersucht. Die ersten Tests begannen, als in Liberia Tote am Straßenrand lagen. Die Studien in Westafrika konnten nicht sofort beginnen.
Um nicht wieder unvorbereitet in eine Krise zu stolpern, fordern Forscher nun einen Fonds für die Impfstoffentwicklung. Er soll die Lücke zwischen Grundlagenforschung und Zulassung überbrücken. Die WHO könnte eine Liste von Erregern zusammenstellen, gegen die ein neuer oder ein verbesserter Impfstoff benötigt wird. Davon würden alle profitieren. „Es gibt keine Entschuldigung, bei anderen Seuchen träge zu sein“, sagt Jeremy Farrar, der Direktor des britischen Wellcome Trust.
Eine weitere Lehre aus Ebola: Man kann eine Seuche nicht besiegen, wenn man die Menschen vor Ort nicht versteht und ihr Misstrauen nicht ernst nimmt. Daran ändert auch eine Impfung nichts.
Fatous Großmutter beruhigte sich übrigens, als sie sah, wie freundlich die Helfer mit dem Kind umgingen. Das Mädchen kam in ein Behandlungszentrum, konnte bald entlassen werden. Sie hatte kein Ebola.
Jana Schlütter