Computer und Quantenrechner: Das Kopf-an-Kopf-Rennen
Quantencomputer werden bald praxistauglich. Firmen wie Google und IBM, aber auch China und die EU investieren in die potenzielle Wundertechnologie. Die Rechner könnten in überirdischem Tempo Verschlüsselungen knacken.
Google schließt eine waghalsige Wette ab: Der experimentierfreudige Technikvorreiter behauptet, in wenigen Monaten einen praxistauglichen Quantencomputer zu haben. Ein solcher Rechner soll dank der bizarren Gesetze der Quantenphysik binnen Sekunden Aufgaben lösen, für die ein herkömmlicher Computer Äonen bräuchte. China holt mit vielen Fördermilliarden rasch auf. Auch die EU investiert Millionen in die neue Technik. Im Wochentakt posaunen Forscher in aller Welt Trippelschritte auf dem Weg zum Quantencomputer heraus. Es herrscht eine gespannte Aufmerksamkeit.
Dabei ist unklar, bei welchen Anwendungen ein Quantencomputer überlegen sein wird: Es könnten enttäuschend wenige sein. Und ob er überhaupt wie erwartet funktioniert. Dennoch zeigt sich der Quantenphysiker Martin Plenio von der Universität Ulm überzeugt: „Es wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen herkömmlichen Computern und Quantenrechnern geben, doch am Ende wird der Quantencomputer weit voraus sein.“ Experten rechnen schon bald mit ersten einsatzfähigen Geräten für einige spezielle Forschungsanwendungen. Einen in vielen Belangen überlegenen Quantenrechner erwarten Physiker – je nach Grad ihres Optimismus – in einem bis in mehreren Jahrzehnten. Einige sagen: Nie. Der Wunsch nach einer Art Über-Rechner wächst mit jeder Verdopplung der weltweiten Datenmenge alle zwei Jahre. Der Quantencomputer verspricht, mit der enormen Vervielfachung von Bits und Bytes Schritt halten zu können. Denn er soll die Rechenkraft ins Unermessliche verbessern.
Die Schwäche des herkömmlichen Rechners ist seine Art, Daten zu speichern. Er verwendet dafür sogenannte Bits. Ein einzelnes Bit kann die Information „ja“ oder „nein“ aufnehmen, im Informatikerdeutsch: „0“ oder „1“. Verkörpert wird ein Bit etwa durch einen Strom, der fließt (1) oder nicht fließt (0). Die beiden Werte kann das Bit nur abwechselnd einnehmen, weshalb der klassische Computer einen Rechenschritt nach dem anderen ausführt. Schnell ist er, weil er Ströme binnen Nanosekunden an- und abschaltet. Er ist sozusagen ein Spezialist für Sprints.
Durch blitzschnelles Ausprobieren viele Kombinationen knacken
Die Gesetze der Quantenphysik hingegen heben den Zwang zum Eins-nach- dem-anderen auf. Kleinste Teilchen wie Atome oder Elektronen führen Gegensätzliches simultan aus: sich rechts und links herumdrehen – oder zeitgleich hier und dort sein. Ein einzelnes Teilchen speichert somit „0“ und „1“ auf einmal. Physiker nennen das ein Quantenbit, kurz Qubit. Mit jedem zusätzlichen Qubit verdoppelt sich die Speicherkapazität. Zwei Qubits speichern vier Werte simultan, drei Qubits acht Werte und so weiter. Mit nur 300 Qubits lassen sich im gleichen Moment mehr Zahlen halten, als es Atome im Universum gibt. Daher kann ein Quantencomputer jede beliebig große Datenmenge verarbeiten – und das sogar gleichzeitig.
Auf diese Weise ist es ihm auch möglich, derzeit gängige Verschlüsselungen durch blitzschnelles Ausprobieren vieler Kombinationen zu knacken. Um Onlinebanking, digitale Signaturen oder Bitcoins zu hacken, bräuchte es indessen einen Quantencomputer mit tausenden Qubits. Daten, die länger als zehn Jahre unter Verschluss bleiben müssen, sollten schon möglichst bald mit neuen, „quantensicheren“ Verschlüsselungen geschützt werden, warnt Michele Mosca von der Universität im kanadischen Waterloo, der am Quantenrechner forscht. Neben militärischen Geheimnissen können das alltägliche Daten sein, etwa digitale Grundbucheinträge.
Aber schon ein viel kleinerer Quantencomputer mit mindestens 50 Qubits könnten bestimmte Aufgaben schneller lösen als der größte, existierende Supercomputer. Chemische Verbindungen, die aus mehr als 50 Atomen aufgebaut sind, können wegen ihrer komplexen Physik von herkömmlichen Supercomputern nicht simuliert werden. Relativ kleine Quantencomputer hingegen könnten es. Sie sollen daher etwa die Wirkstoffforschung oder das Design von funktionellen Materialien voranbringen, wie die Blaupause für einen „Supraleiter“ liefern, der Strom bei Raumtemperatur verlustfrei leitet. Die Quantencomputer von IBM und Google sind mit ihren 50 beziehungsweise 72 Qubits an dieser Schwelle. Dennoch beanspruchen die Firmen noch keine „Quanten-Überlegenheit“. Denn diese bloße Anzahl an Qubits sagt noch wenig über die Leistungsfähigkeit eines Quantencomputers.
Um Daten nicht nur zu speichern, sondern parallel zu verarbeiten, müssen die Qubits verknüpft werden. Wenn sie miteinander in Wechselwirkung treten – etwa indem sich eine Vibration durch eine Kette von Kalzium-Ionen fortpflanzt, wie dies bei einem Quantencomputer an der Uni Innsbruck der Fall ist – verschmelzen sie zu einer Einheit. „Verschränkung“ nennen Physiker das. „Nur mit Gruppen mehrerer verschränkter Qubits kann ein Quantencomputer effektiv arbeiten“, sagt Martin Plenio.
Viele Qubits erhöhen die Anfälligkeit
Der Innsbrucker Quantencomputer mit seinen 20 Qubits, den ein Team um den Physiker Rainer Blatt gebaut hat, ist der größte, der diese Forderung erfüllt. Plenios Ulmer Team stellte die Methodik dafür bereit. Googles Entwicklerteam um John Martinis von der University of California in Santa Barbara prüft derzeit, ob sein Gerät dies auch kann. Falls ja, wäre die „Quanten-Überlegenheit“ erreicht.
Doch eben nur für sehr spezifische Anwendungen in der Forschung. Ein universell einsetzbarer Quantencomputer mit tausenden Qubits bleibt vorerst Science-Fiction. Denn Qubits verlieren nach Sekundenbruchteilen durch kleinste Umwelteinflüsse ihre magischen Fähigkeiten und werden zu normalen Bits. Dafür reicht schon ein Zusammenprall mit einem Luftmolekül. Daher arbeiten Qubits im Vakuum bei tiefsten Temperaturen. Das Problem: Der Ausbau auf viele Qubits erhöht die Anfälligkeit. Zwar lassen sich die Störungen korrigieren. Doch dafür müssen jedem Qubit viele zusätzliche Korrektur-Qubits beigestellt werden. „Ein universeller Quantencomputer müsste daher wohl Millionen von Qubits umfassen“, sagt Plenio.
Google & Co. kratzen also an der Oberfläche des wirklich überlegenen Quantencomputings. Doch selbst wenn es gelingt, derart große Quantensysteme zu beherrschen, könnten es nur wenige Aufgaben sein, die ein solches Rechenmonster wirklich schneller erledigen kann. Denn Qubits müssen regelrecht orchestriert werden, um am Ende ein sinnvolles Ergebnis auszuspucken statt nur eine Zufallszahl. Solche „Partituren“, Quanten-Algorithmen genannt, gibt es bislang nur für wenige Aufgaben, wie eben das Knacken bestimmter Verschlüsselungen. Physiker entwickeln derzeit Quanten-Algorithmen für die Erkennung verborgener Muster in großen Datenmengen. Muster wie den komplexen Zusammenhang von Genmutationen und Krankheiten wie Krebs. Quantenrechner sollen also Daten in Wissen verwandeln. Was das Interesse von Google an der potenziellen Wundermaschine erklärt.