EU-Forschungsförderung: Eine Milliarde für die Quantenphysik
Die EU fördert schnelle Computer und abhörsichere Kommunikation. Schon in zehn Jahren könnte so ein „Quanten-Internet“ entstehen.
Was einst die Atome waren, sind seit gut einem Jahrhundert die Quanten: unteilbare Teilchen. Doch Quanten sind keine Partikel, wie wir sie uns vorstellen. Sie haben sonderbare Fähigkeiten. Sie können etwa gleichzeitig an mehreren Orten und in mehreren Zuständen sein. Physiker träumen seit Langem davon, diese Fähigkeiten in neuen Anwendungen zu nutzen – etwa in kleineren Sensoren und schnelleren Computern. Die EU-Kommission fördert nun die Entwicklung von Quantentechnologien über einen Zeitraum von zehn Jahren mit einer Milliarde Euro. Das ist eine deutliche Steigerung gegenüber den 550 Millionen Euro, die sie in den vergangenen 20 Jahren in diesen Forschungsbereich investiert hat. Die Ankündigung von EU-Kommissar Günther Oettinger aus dem Jahr 2016 wird damit in die Tat umgesetzt.
"Wir wollen die besten Ideen"
Zwei Milliardenprojekte der EU laufen bereits: Sie werden „Flaggschiffprojekte“ genannt und sind der Modellierung des Gehirns im Computer und dem neuartigen Material Graphen gewidmet. Das Flaggschiffprojekt Quantentechnologien soll in einem Jahr mit der Forschung beginnen. Bis zum 20. Februar können sich Institute und Unternehmen um eine erste Tranche von 130 Millionen Euro bewerben.
Ein Lenkungskreis unter der Leitung des ehemaligen Präsidenten der Humboldt-Universität Berlin und der Helmholtz-Gemeinschaft, Jürgen Mlynek, hat dafür Ende vergangenen Jahres die Verfahrensregeln festgelegt. Im Unterschied zu den bisherigen Flaggschiffprojekten darf sich jeder bewerben. Man sei nicht nur an den Ideen der Partner interessiert, die sich bereits im Projekt engagieren, sagt Tommaso Calarco von der Universität Ulm, der das Projekt mit initiiert hat. „Wir wollen die besten Ideen.“ Ausgewählt werde nach wissenschaftlicher Exzellenz und inwieweit das Vorhaben das Leben der Menschen verändern könne.
In zehn Jahren könnte das "Quanten-Internet" stehen
Ein Beispiel wäre die abhörsichere Quantenkommunikation: Botschaften so zu verschlüsseln, dass sie auch mit den besten Computern nicht geknackt werden können, hätte unschätzbare Vorteile. Das Prinzip funktioniert bereits im Labor, und auch eine Verbindung über einen Satelliten wurde schon hergestellt. Aber nötig wäre ein neues weltumspannendes Kommunikationsnetzwerk. In drei Jahren könnte man die dafür nötigen Bauteile entwickeln, heißt es in einem Papier des Flaggschiffprojekts, und sie in weiteren drei Jahren zur Marktreife bringen. In zehn Jahren, so die Vision, könnte ein „Quanten-Internet“ entstehen.
Die Prognosen seien nicht übertrieben, versichert Calarco. „Unsere Abschätzungen werden von der ganzen Fachgemeinschaft getragen. Wir liegen damit auf der sicheren Seite.“ Um die ethischen und gesellschaftlichen Fragen, die sich aus der neuen Technologie ergeben, werde man sich ebenfalls kümmern. Eine Forschergruppe habe bereits die Arbeit aufgenommen und werde auch Verbraucherschützer und andere zivilgesellschaftliche Gruppen einbeziehen. Denn die abhörsichere Kommunikation bietet nicht nur Chancen: Für Ermittlungsbehörden wäre sie zum Beispiel eine unüberwindbare Hürde. Das Flaggschiffprojekt soll sich daher von Beginn an mit der Kontrolle und Regulierung der Technologie befassen.
Schnellere Rechner
Zu den Zielen des Flaggschiffprojekts gehört auch, einen Quantencomputer zu entwickeln, der in zehn Jahren alle herkömmlichen Rechner, die mit 0 und 1 operieren, in den Schatten stellt. Quantencomputer können gewissermaßen auch mit allen Zahlen zwischen 0 und 1 arbeiten und viele Rechnungen gleichzeitig ausführen. Möglicherweise werden die europäischen Quantenphysiker aber schon bald von der US-amerikanischen Konkurrenz überflügelt: IBM, Intel und Google arbeiten an Quantencomputern, die kurz davorstehen sollen, herkömmliche Rechner zu überflügeln. Von Google hatte man schon Ende 2017 eine entsprechende Präsentation erwartet, die allerdings verschoben wurde. Einen solchen Fortschritt könne er nicht ausschließen, sagt Calarco. „Wenn Firmen wie Google und IBM jeweils einige hundert Millionen Dollar in die Entwicklung investieren, kann das die Entwicklung beschleunigen.“ Der Wettbewerb belebe das Geschäft, allerdings müsse man auch kooperieren. „Beides ist notwendig für einen gesunden Fortschritt.“
Noch sind transatlantische Kooperationen schwierig. Auf Flaggschiffprojekte können sich nur europäische Institute und Firmen bewerben. Doch die EU setzt auf Zusammenarbeit. Die Kommissarin für digitale Wirtschaft, Mariya Gabriel, habe Calarco kürzlich aufgefordert, Initiativen mit den USA vorzubereiten. Gespräche mit einem Wissenschaftsberater Donald Trumps gebe es schon. Erwogen werde eine gemeinsame Ausschreibung.
Wie man sowohl mit- als auch gegeneinander arbeiten kann, ist also noch offen. Für Quantenphysiker, die es gewohnt sind, dass die Dinge in mehreren Zuständen gleichzeitig existieren können, ist das kein Widerspruch.
Alexander Mäder