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Starthilfe. Die künstliche Befruchtung ist längst Routine - doch nur eine von vier Frauen wird nach dem Einsetzen des Embryos tatsächlich schwanger.
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Experimente zur Fortpflanzung: Das ethische Problem mit dem Embryo im Glas

Befruchtung ohne Sex, Schwangerschaft ohne Mutter. Aldous Huxleys Vision von der Fortpflanzung ist zumindest teilweise Wirklichkeit geworden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jana Schlütter

Im Citybrüter und Konditionierungscenter London führt der Direktor einem Pulk Studenten vor, was technisch möglich ist. Sie schauen Laborkräften in weißen Overalls zu, die auf der Fertilisationsstation Ei- und Samenzellen verschmelzen lassen. Sie besichtigen die Füllstation mit ihren Inkubatoren. Schließlich bestaunen sie im Untergeschoss endlose Reihen von Glasballons in rotem Licht. In den „Flaschen“, künstlichen Gebärmuttern, entwickeln sich menschliche Embryonen und Föten.

Befruchtung ohne Sex, Schwangerschaft ohne Mutter. Aldous Huxleys Vision von der Zukunft der Reproduktionsmedizin, die er 1932 in seinem Roman „Schöne Neue Welt“ beschrieben hat, ist zumindest teilweise Wirklichkeit geworden. Eine Nachricht aus der Wissenschaft beschwört nun sogar die Fantasie von der gläsernen Gebärmutter erneut herauf: Britischen und amerikanischen Forschern ist es gelungen, menschliche Embryonen bis zu einem Alter von fast zwei Wochen in der Petrischale wachsen zu lassen. Eigentlich muss sich der Embryo spätestens am siebten Tag in die Gebärmutter einnisten, um zu überleben. Im Labor gab es damit bisher eine unüberwindbar erscheinende Hürde. Doch die Forscherteams haben die Zellen nun dazu gebracht, ein Gel als Ersatz zu akzeptieren und dort zu gedeihen.

Es geht um Paare, die ungewollt kinderlos bleiben

Also Maschine statt Mama? Wie wäre das: Heranreifen in einem kontrollierbaren Kunstorgan, ohne dass der Wein, den die Mutter trinkt, oder die Zigaretten, die der Vater raucht, dem Embryo schaden? Nein, davon sind wir sehr weit entfernt. Die Embryonen waren zwar in den ersten 13 Tagen erstaunlich genügsam – und selbstständig. Früher oder später aber brauchen sie mütterliche Hilfe. Wie der Mix aus Hormonen und Nährstoffen genau zusammengesetzt sein muss und wie die molekulare Kommunikation im Detail funktioniert, weiß heute niemand.

Um eine künstliche Gebärmutter geht es den Forschern auch gar nicht, sagen sie. Sie wollen die allerersten Stadien menschlicher Entwicklung besser verstehen, um Paaren zu helfen, die ungewollt kinderlos bleiben – weil die Frau eine Fehlgeburt nach der anderen hat oder sich die Schwangerschaft trotz künstlicher Befruchtung einfach nicht einstellen will. Da kann der Wunsch zur schmerzenden Wunde werden.

Die 14-Tage-Regel ist ein mühsam ausgehandelter Kompromiss

In Deutschland mag es undenkbar sein, mit menschlichen Embryonen zu experimentieren. In anderen Ländern findet man das nicht per se verwerflich. Die Embryonen sind bei Kinderwunschbehandlungen übrig geblieben, die Betroffenen haben sie ausdrücklich der Forschung gespendet. Allerdings gibt es für die Experimente eine international anerkannte Grenze: Wenn seit der Befruchtung 14 Tage vergangen sind oder sich der „Primitivstreifen“ zeigt, ist Schluss. Der „Primitivstreifen“ ist eine klar erkennbare Gruppe von Zellen, aus denen der Körper wird. Er hat damit ein Anfang und ein Ende. Jetzt ist entschieden, ob sich ein einzelnes Wesen oder mehrere Kinder bilden.

Diese Grenze gilt seit mehr als 35 Jahren. Hunderte Fachgesellschaften haben damals ihr Votum abgegeben, es wurde öffentlich debattiert und gestritten. Die 14-Tage-Regel ist ein mühsam ausgehandelter Kompromiss, der in Gesetzen und Richtlinien für die Wissenschaft festgeschrieben ist. Viele Laien akzeptieren ihn, da der Embryo in der Zeit noch als Zellhaufen gelten kann. Den Forschern fiel das Versprechen leicht, solange sie die Grenze nicht einmal annähernd erreichten. Das ist jetzt anders. Möglicherweise hätten die Embryonen ein paar Tage länger überlebt, mehr einzigartige Daten geliefert. Und schon rufen die ersten danach, die Regel zu überdenken.

Über den moralischen Status des Embryos gibt es keine Einigkeit

Das wirkt zynisch und untergräbt die Glaubwürdigkeit der Wissenschaftler. Schließlich geht es um die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt man es verantworten kann, einen menschlichen Embryo für die Forschung zu töten. Bis zur Bildung des Neuralrohrs und damit des Nervensystems? Bis er Schmerz empfindet? Bis er Augen und Finger hat? Was wäre die neue Grenze? Oder will man wieder über den moralischen Status des Embryos diskutieren? Da wird es keine Einigung geben, nicht einmal unter den Weltreligionen.

Wo die Ansichten kontrovers und die Übergänge fließend sind, sind klare Vorgaben umso sinnvoller. Die 14-Tage-Regel sollte schon deshalb Bestand haben, weil sie unter anderem für Grundlagenforscher gilt, die das Erbgut menschlicher Embryonen manipulieren wollen. Dieses Vorhaben lotet ohnehin aus, was die Weltgemeinschaft als kleinsten gemeinsamen Nenner akzeptiert. Es sollte zumindest sicher sein, dass die genveränderten Embryonen nach spätestens 14 Tagen abgetötet werden und nicht etwa einer Frau eingesetzt werden.

Wissensdurst in allen Ehren. Aber rote Linien sind dafür da, dass man sie nicht überschreitet. Man darf nicht eine nach der nächsten verwischen, sobald der technische Fortschritt neue Möglichkeiten eröffnet. Sonst enden wir wirklich irgendwann in Huxlyes dystopischer Zukunftsvision.

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