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Interview: „Iter ist viel komplexer als ein Flughafen“

Physiker Walter Kasparek über den Bau des Fusionsreaktors, Herausforderungen für die Forscher – und die üblichen Verzögerungen.

In Südfrankreich entsteht derzeit der internationale Fusionsreaktor Iter. Wie weit sind die Bauarbeiten fortgeschritten?

Neben dem Hauptquartier von Iter sind auch schon eine Fabrikationshalle für Magnetspulen und das Fundament des Reaktors fertig. Ich war vor einem Jahr selbst vor Ort auf einem Meeting.

Wie war Ihr Eindruck von der Anlage?

Das Gelände ist riesengroß. Ich war sehr beeindruckt. Zu der Zeit meines Besuchs wurden gerade hunderte Stoßdämpfer auf das Fundament gebaut. Auf sie wird die Bodenplatte des Reaktorgebäudes gesetzt. Das macht den Reaktor erdbebensicher.

Wann soll der Reaktor fertig sein?

Laut Zeitplan soll der wissenschaftliche Teil des Experiments 2020 beginnen. Ab dann wird der Iter mit Wasserstoff und Deuterium betrieben. In dieser ersten Phase geht es vor allem darum, die Physik des Reaktors zu verstehen und den Betrieb zu optimieren.

Wann geht der eigentliche Betrieb los, mit dem überprüft werden soll, ob die Kernfusion als Energiequelle taugt?

Ab 2027 kommen Deuterium und Tritium zum Einsatz, also schwere Wasserstoffisotope. Damit beträgt die thermische Fusionsleistung bis zu 500 Megawatt. Strom soll Iter aber noch nicht liefern, das ist Aufgabe eines Demonstrationskraftwerks, das später folgen soll.

Mehrere deutsche Großprojekte sind wegen großer Verspätung in die Schlagzeilen geraten, etwa der neue Berliner Flughafen. Wird Iter im Zeitplan bleiben?

Iter ist viel komplexer als ein Flughafen oder Bahnhof. Wir betreten in ganz vielen Bereichen Neuland. Dabei stößt man immer wieder auf Probleme, die gelöst werden müssen. Das kostet Zeit und Geld.

Teurer ist Iter bereits geworden. Statt ursprünglich 5 Milliarden Euro rechnet man aktuell mit 15 Milliarden. Bleibt es dabei?

Das ist schwer zu sagen. Ein Problem ist, dass viele Gruppen an ein und derselben Komponente arbeiten. Jeder findet etwas, was man noch einbauen oder verbessern könnte. Manche schießen dabei übers Ziel hinaus. Das kann zu steigenden Kosten führen.

Was steuert Ihre Gruppe an der Universität Stuttgart zu dem Projekt bei?

Um die für die Kernfusion nötigen Temperaturen zu erzeugen, braucht man externe Heizmechanismen. Eine Möglichkeit ist, sehr hochfrequente Mikrowellenstrahlung in den Reaktor einzustrahlen. Wir entwickeln und optimieren Antennen, die man dazu braucht.

Wie muss man sich das konkret vorstellen?

Wir berechnen zum Beispiel die optimale Form der Leiter und Reflektoren für die Heizantennen. Insgesamt sollen im Dauerbetrieb Mikrowellen mit einer Leistung von 20 Megawatt und bei 170 Gigahertz abgestrahlt werden. Das ist keine Standardtechnik, so etwas wird nur für Fusionsexperimente gebaut.

Wer arbeitet sonst noch an der Mikrowellenheizung?

In den meisten Ländern, die Fusionsforschung betreiben, gibt es auch Entwicklungen zur Mikrowellenheizung. Wir sind Teil eines europäischen Konsortiums. Wir arbeiten eng mit dem Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching/Greifswald zusammen, aber auch mit Forschungsinstituten in Mailand und Lausanne. Die mechanische Konstruktion der Antennen findet vorwiegend am Karlsruher Institut für Technologie statt.

Dort werden die Antennen gebaut?

Nein, so ein Antennensystem ist fünf Meter lang und wiegt viele Tonnen, das ist nichts, was ein Forschungsinstitut fertigt. Das übernehmen Industriepartner.

Wie viele solcher Antennen braucht Iter?

Insgesamt wird es fünf Antennenmodule mit 48 Einzelantennen geben, die in der EU und Japan gebaut werden. Diese werden von 27 Mikrowellensendern gespeist, die aus Japan, Russland, Europa und Indien kommen. Die Leitungen zwischen Sendern und Antennen werden in den USA gefertigt.

Ist das nicht ein Problem, wenn so viele Gruppen an einem System mitarbeiten?

Alle Komponenten müssen am Ende reibungslos zusammenarbeiten. Auf den Meetings wird daher intensiv über die Schnittstellen diskutiert. Dabei kommt es auch mal zu Reibungen.

Wieso setzt Iter auf diesen Wettbewerb zwischen Gruppen, die rund um den Globus verteilt sind?

Iter ist ein internationales Projekt. Es ist politisch gewollt, dass alle beteiligten Länder ein Stück vom Kuchen abbekommen und in jedem Mitgliedsland möglichst viel Know-how entsteht. Auch die Industrien der Länder sollen davon profitieren. Das führt aber auch dazu, dass der Bau am Ende komplexer und teurer wird.

Erwarten Sie, dass Iter am Ende stabil läuft?

In einem extrem heißen Gas – einem Plasma – bilden sich Instabilitäten. Sie können dazu führen, dass die Fusionsreaktion erlischt. Wie das verhindert werden kann, testen wir mit verschiedenen Fusionsexperimenten, etwa „Jet“ oder „Asdex Upgrade“. Iter ist natürlich größer, was die Sache etwas schwieriger macht. Aber ich glaube trotzdem, dass wir keine sehr großen Überraschungen erwarten müssen.

WALTER KASPAREK ist Fusionsforscher an der Universität Stuttgart. Mit seiner Gruppe „Mikrowellentechnologie“ ist er an den Vorarbeiten für den Fusionsreaktor Iter beteiligt.

Robert Gast

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