Megaprojekt Iter: Riesenreaktor in Nöten
Das Megaprojekt "Iter" soll beweisen, dass die Kernfusion machbar ist. Aber das Experiment wird immer teurer.
Bisher ist von dem Traum nur eine große ebene Fläche zu sehen. Im südfranzösischen Cadarache streckt sich die sandige Plattform, so groß wie 60 Fußballfelder, zum Horizont. Bald sollen hier zahlreiche Forschungsgebäude in den Himmel wachsen. In einem davon, dem Herzstück von „Iter“, wollen Forscher zeigen, dass die Energiequelle der Sonne auch auf der Erde genutzt werden kann. In dem Kernfusionsreaktor sollen die „schweren“ Wasserstoffatome Deuterium und Tritium zu Helium verschmelzen – und saubere Energie liefern. Ohne dass Öl oder Kohle benötigt werden, ohne dass klimaschädliches Kohlendioxid oder Millionen Jahre lang strahlende radioaktive Abfälle produziert werden.
Noch ist die Baugrube nicht ausgehoben, aber die beteiligten Nationen blicken bereits in einen tiefen Abgrund. Denn das Megaprojekt wird immer teurer: Fünf Milliarden Euro waren ursprünglich veranschlagt, inzwischen schätzt die EU-Kommission die Gesamtkosten auf 15 Milliarden. Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) kritisierte am Mittwoch bei einem Treffen mit ihren EU-Amtskollegen in Brüssel, eine derartige Kostensteigerung sei inakzeptabel. Es ist von Planungspannen und Missmanagement die Rede. Das teuerste Experiment der Menschheit steht auf der Kippe.
„Ein Teil der Kritik ist sicher berechtigt“, sagt Iter-Vizechef Norbert Holtkamp. So habe man bei der Kostenabschätzung 2001 manches einfach vergessen. Den weitaus größeren Teil der Zusatzkosten machten aber gestiegene Rohstoffpreise und ein verändertes Design aus. Außerdem sei es bei der Planung von Iter nie um Kosteneffizienz gegangen, sondern darum, in möglichst vielen Ländern das Know-how zu entwickeln.
Neben der EU sind an dem Megaprojekt Russland, China, Japan, Indien, Südkorea und die USA beteiligt. Anders als etwa beim Teilchenbeschleuniger Cern, wo die beteiligten Länder Geld an das Direktorium überweisen, das dann Projekte ausschreibt, liefern die Iter-Partner jeweils Teile einzelner Komponenten. Diese müssen am Ende alle zusammenpassen und problemlos miteinander kommunizieren, ein logistischer Albtraum, der außerdem zu teuren Redundanzen führt. „Wenn man das kosteneffizient machen will, dann macht man es anders“, sagt Holtkamp. Er vergleicht das Vorgehen mit dem Bau eines Autos: „Normalerweise würde man das so machen: Einer macht die Reifen, der andere den Motor, ein anderer die Chassis. Aber hier will jeder lernen, ein ganzes Auto zu bauen.“
Wo das zusätzliche Geld nun herkommen soll, ist unklar. Aus dem Bundesforschungsministerium heißt es, Deutschland werde keine Blankoschecks ausstellen. Aber die EU übernimmt laut Vertrag 45 Prozent der Kosten von Iter, die anderen Partner nur je neun Prozent. Ein Teil des Geldes könnte zwar aus dem Forschungsetat der EU kommen. Sollten die Zusatzkosten aber an die Mitgliedsstaaten weitergegeben werden, könnte das Deutschland im schlimmsten Fall noch einmal 900 Millionen Euro kosten.
Das Projekt kostet inzwischen dreimal so viel wie geplant
Grundsätzlich steht Schavan aber weiter hinter dem Projekt: „Mit der Fusionsforschung heute ist es wie mit dem Bau von Kathedralen früher, das dauert manchmal mehrere Generationen, dafür ist das Ergebnis umso imposanter“, sagte sie der Presseagentur dpa. Im Gegensatz zu Gotteshäusern soll Iter allerdings ein ganz irdisches Problem lösen: Die menschliche Sucht nach Energie.
„Der Energiebedarf steigt weltweit immer weiter an“, sagt Günter Hasinger vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching. Das liegt vor allem daran, dass die Entwicklungs- und Schwellenländer ihren Appetit für Energie gerade erst entdecken. Es gebe keine einzelne Technologie, die das Problem lösen könne, sagt Hasinger. Deshalb sei es wichtig, auch zu untersuchen, welchen Beitrag die Kernfusion leisten könne. Holtkamp sieht die reichen Länder in der Pflicht, CO2-freie Technologie zu entwickeln. „Das ist unser wirklicher Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel“, sagt er. Ob Deutschland sein CO2-Ziel bis 2025 erreiche, trage dagegen zur weltweiten CO2-Reduktion kaum bei.
Holtkamp steht damit nicht allein. Die Erforschung der Kernfusion boomt. Mit dem „Hiper“-Reaktor verfolgt die EU den Bau eines weiteren Großprojektes. In Deutschland soll 2014 der Fusionsreaktor Wendelstein 7-X in Greifswald fertig sein. Und vor kurzem hat der britische Forschungsrat empfohlen, ein eigenes Projekt anzuschieben. Das Potenzial der Fusionsenergie sei derart groß, dass das Vereinigte Königreich die Forschung vorantreiben solle, heißt es in dem Bericht.
Kritiker sehen in der Kernfusion allerdings einen Traum, der auf absehbare Zeit ein Traum bleiben wird. Die praktischen Hindernisse seien zu groß. „Nach allem, was man bisher weiß, ist das ein Schachmatt“, sagt Michael Dittmar, Teilchenphysiker an der Eidgenössisch-Technischen Hochschule in Zürich. So wird für die Reaktoren Tritium als Brennstoff benötigt. Der Stoff muss künstlich hergestellt werden. Das passiert etwa in Schwerwasserreaktoren in Kanada. „Wenn Sie aber die gesamte Tritiumproduktion weltweit bis 2025 zusammenzählen, dann kommen Sie auf etwa 27 Kilogramm“, sagt Dittmar. Ein Fusionsreaktor allein brauche 200 Kilogramm – pro Jahr.
Befürworter der Fusionsenergie wollen daher das Tritium im Reaktor selbst entstehen lassen. Eine dicke Schicht aus Lithium soll den Reaktor umgeben. Treffen die bei der Fusion frei gewordenen Neutronen auf Lithiumatome, so entstehen dabei Tritium und Helium. Wie genau so ein „Blanket-Modul“ aussehen würde, ist noch unklar. Es ist eines der Probleme, die in Cadarache untersucht und gelöst werden sollen. Erst einmal sieht es aber so aus, als müsse Iter ein größeres Problem lösen: In Zeiten von Euro- und Finanzkrise zusätzliches Geld für das teuerste Experiment der Welt zu finden.
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