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Die Luftverschmutzung durch Autoabgase steht im Fokus der Diskussion. Feinstaub spielt dabei offenbar eine weitaus größere Rolle als Stickoxide.
© Franziska Kraufmann/dpa

Forscher-Gutachten: Bundesweite Strategie gegen Feinstaub sinnvoller als Fahrverbote

Ein Expertengremium der Leopoldina-Akademie fordert eine "nachhaltige Verkehrswende". Die Forscher halten Feinstaub für deutlich gefährlicher als Stickoxide.

Wie man zu Dieter Köhler auch stehen mag: Letztendlich haben die umstrittenen Äußerungen des Lungenarztes zu Stickoxiden und Feinstaub eine sinnvolle Debatte angestoßen. Diese hat nun ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Im Januar hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina gebeten, das Thema wissenschaftlich zu prüfen und eine Stellungnahme zu erarbeiten. Am Dienstag stellten die Forscher ihre Ergebnisse in Berlin vor.

In ihrer 50-seitigen Stellungnahme ("Saubere Luft ‒ Stickstoffoxide und Feinstaub in der Atemluft: Grundlagen und Empfehlungen") fordern sie zusätzliche Anstrengungen, um die Konzentration von Schadstoffen in der Luft weiter zu reduzieren. Von kurzfristigen oder kleinräumigen Maßnahmen wie Fahrverboten seien keine wesentlichen Entlastungen zu erwarten. Deshalb plädieren die 20 Wissenschaftler der Arbeitsgruppe für eine bundesweite ressortübergreifende Strategie zur Luftreinhaltung.

"Feinstaub ist das viel größere Problem"

Dabei solle der Fokus allerdings mehr auf dem Feinstaub als auf Stickoxiden liegen. "Feinstaub ist ganz sicher das viel größere Problem", sagte Martin Lohse. Der Akademie-Vizepräsident und Wissenschaftliche Vorstand des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin ist Sprecher der Arbeitsgruppe. Feinstaub sei deutlich gesundheitsschädlicher als Stickoxide und seine Entstehung komplexer. "Feinstaub kann aus dem Verkehr, aus Energieerzeugung, Industrie und vielen weiteren Quellen entstehen – und auch aus Stickstoffdioxid", sagte Lohse.

V.l.n.r.: Jos Lelieveld, Atmosphärenchemiker, Manfred Hennecke, Materialwissenschaftler, und Martin Lohse, Pharmakologe und Vize-Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, stellen vor der Bundespressekonferenz die Stellungnahme zum Thema Luftschadstoffe vor.
V.l.n.r.: Jos Lelieveld, Atmosphärenchemiker, Manfred Hennecke, Materialwissenschaftler, und Martin Lohse, Pharmakologe und Vize-Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, stellen vor der Bundespressekonferenz die Stellungnahme zum Thema Luftschadstoffe vor.
© Wolfgang Kumm/dpa

Er betonte, dass man die gegenwärtige Diskussion "vom Kopf auf die Füße" stellen müsse: Bisher sei es in der öffentlichen Diskussion vor allem um Stickoxide gegangen, auch weil bei diesen der geltende Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft in deutschen Innenstädten regelmäßig überschritten werde. Das Hauptproblem bei der Luftverschmutzung seien die Stickoxide jedoch keinesfalls, sie kämen erst auf Rang drei. Vor ihnen rangiere aus gesundheitlicher Sicht der Feinstaub und im Hinblick auf die globale Erwärmung das Treibhausgas Kohlendioxid. Deutschland hat sich verpflichtet, den Ausstoß von Treibhausgasen um 38 Prozent bis 2030 zu reduzieren. "Das ist mit konventionellem Vorgehen nicht zu schaffen", sagte Lohse. Deshalb brauche man eine nachhaltige Verkehrswende mit emissionsarmen Fahrzeugen. Das würde auch die Menge an Feinstaub und Stickstoffdioxid in der Luft reduzieren. Lokale Fahrverbote hingegen seien nicht geeignet, um die benötigten Langzeiteffekte zu generieren. Solange der Verkehr dadurch nur auf andere Strecken ausweiche, sei gar nichts gewonnen. Speziell Feinstaub verbreite sich rasch auf einem großen Gebiet, wie man es an den Smog-Glocken über großen Städten beobachten könne, so Lohse.

Es gibt keine untere Grenze der Ungefährlichkeit

Die Wissenschaftler stellten außerdem klar, dass es keine untere Grenze gebe, ab der Stickstoffdioxid oder Feinstaub ungefährlich wären. "Eine einfache Grenzziehung zwischen gefährlich und ungefährlich in der Umgebungsluft ist nicht möglich", sagte Manfred Hennecke, ehemaliger Präsident der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), der ebenfalls Mitglied der Leopoldina-Arbeitsgruppe war. Deshalb müsse die Politik beim Setzen der Grenzwerte zwischen Gesundheitsschutz und Kosten abwägen.

Hennecke verteidigte die gegenwärtigen Luftschadstoffmessungen, plädierte jedoch dafür, europaweit vergleichbare Aufstellungsbedingungen sowie Messtechniken anzuwenden. So sollten auch neue Methoden entwickelt werden, welche die chemische Zusammensetzung des Feinstaubs analysieren können. In der Regel werde der Feinstaub derzeit nur gewogen. Und für den Ultrafeinstaub in der Größenordnung von etwa 100 Nanometern Durchmesser gebe es bisher gar keine Möglichkeiten der Messung.

Für Stickstoffdioxid gibt es diese Möglichkeit. Der Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel gilt in der EU seit 2008. Im vergangenen Jahr sei er bundesweit an fast 50 Stellen überschritten worden, so Hennecke. Für Feinstaub gilt ein weniger strenger Wert von 25 Mikrogramm pro Kubikmeter. Dieser werde in Deutschland so gut wie flächendeckend eingehalten. Das bedeute aber nicht, dass die bestehende Feinstaubbelastung kein Problem sei.

Die gesundheitlichen Folgen könnten größer sein als gedacht

"Aus neuen Studien geht hervor, dass besonders Feinstaub mehr Gesundheitsrisiken mit sich bringt als bisher gedacht", sagte Jos Lelieveld, Direktor des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz. Neben bekannten Auswirkungen auf das Herz- Kreislaufsystem sowie die Lunge in Form der chronischen Lungenerkrankung COPD und Lungenkrebs bringen Forscher Feinstaub nun auch mit weiteren Leiden wie Diabetes, Bluthochdruck und Demenz in Verbindung. "Die verbesserte Datenlage zeigt, dass sowohl bei geringen als auch bei höheren Konzentrationen die gesundheitlichen Konsequenzen größer sein könnten als bisher gedacht", sagte Lelieveld. Die Erkenntnisse beruhten auf neuen Langzeitstudien, die in den USA und China durchgeführt wurden.

Aus diesem Grund sei es klug, den Grenzwert in Europa und Deutschland weiter zu senken, riet Lelieveld. Dabei sollte man sich an den Richtwerten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) orientieren. Für Feinstaub sehe diese aktuell einen Wert von zehn Mikrogramm pro Kubikmeter Luft vor. In Staaten, in denen schon solche oder noch strengere Grenzwerte gelten, mache sich dies auch in einer geringeren Gesundheitsbelastung bemerkbar, sagte Lelieveld.

Auf Dieter Köhler angesprochen, entgegnete Martin Lohse, der Lungenarzt habe zwar "den Finger in die Wunde gelegt", indem er darauf hinwies, dass – isoliert betrachtet – die gesundheitlichen Effekte von Stickstoffdioxid noch nicht gut belegt seien. "Wenn man aber das ganze Bild betrachtet, inklusive der Tatsache, dass sich Stickstoffdioxid mit anderen Gasen zu Feinstaub umwandeln kann, ist es richtig, die Grenzwerte auch für Stickstoffdioxid niedrig zu halten."

Die Feinstaubemissionen aus Autoabgasen nehmen in Deutschland seit Jahren ab. Andere relevante Quellen sind Abrieb von Reifen und Bremsen sowie Holzfeuerung. Außerdem entsteht Feinstaub auch in der Landwirtschaft. Besonders gefährlich für die Gesundheit sind dabei die kleinsten Feinstaubteilchen mit einem Durchmesser von weniger als 2,5 Mikrometer (PM 2,5). Sie gelangen besonders tief in die Atemwege und gelten als Hauptursache für Atemwegs- und Herzkreislauf-Erkrankungen.
Die Feinstaubemissionen aus Autoabgasen nehmen in Deutschland seit Jahren ab. Andere relevante Quellen sind Abrieb von Reifen und Bremsen sowie Holzfeuerung. Außerdem entsteht Feinstaub auch in der Landwirtschaft. Besonders gefährlich für die Gesundheit sind dabei die kleinsten Feinstaubteilchen mit einem Durchmesser von weniger als 2,5 Mikrometer (PM 2,5). Sie gelangen besonders tief in die Atemwege und gelten als Hauptursache für Atemwegs- und Herzkreislauf-Erkrankungen.
© Tagesspiegel/Böttcher; Umweltbundesamt

Die Leopoldina-Arbeitsgruppe empfiehlt eine deutliche Reduktion der Luftschadstoffe, die nur mit einer nachhaltigen Verkehrswende zu erreichen sei. Allerdings betonte Lohse, dass nicht nur "das, was aus dem Auspuff kommt", eine Quelle von Luftschadstoffen sei (siehe Grafik). Denn die Menge an Feinstaub aus Auspuffgasen habe sich aufgrund des technischen Fortschritts und der Regulierung durch Abgasnormen in den letzten Jahrzehnten deutlich verringert. Heutzutage spiele beim Feinstaub der Abrieb von Bremsen und Reifen eine wichtige Rolle, genau so wie Holzöfen, deren Zahl aufgrund staatlicher Förderung in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat. "Wir müssen eine Vielzahl an Schadstoffquellen betrachten. Das wird mühsam und ist nur mit einem integrierten Konzept zu machen", sagte Lohse.

"Klarer Handlungsauftrag an die Bundesregierung"

Zusätzlich sei weitere Forschung nötig, um zu verstehen, wie Luftschadstoffe entstehen, erfasst und analysiert werden können. Außerdem müsse man dringend erforschen, welche Auswirkungen Ultrafeinstaub auf die Gesundheit hat. Mit der Stellungnahme habe die Akademie den Kenntnisstand in Sachen Luftschadstoffe vorgelegt, so Lohse. Nun sei die Politik am Zug.

Für Bettina Hoffmann, Sprecherin für Umweltpolitik der Grünen, ist der Bericht ein klarer Handlungsauftrag an die Bundesregierung. "Andreas Scheuer kann sich nun nicht mehr länger hinter pseudo-wissenschaftlichen Thesen verstecken", sagte sie dem Tagesspiegel. Die Fakten seien klar, die Bundesregierung müsse diese jetzt zur Grundlage einer konsequenten Luftreinhaltepolitik machen.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sieht sich durch die Stellungnahme der Wissenschaftler in seiner Strategie bestätigt. Sie zeige ganz klar, dass streckenbezogene Fahrverbote der falsche Weg sind, so Scheuer. "Wir haben mit unserem zwei Milliarden Euro schweren Paket für saubere Luft ein wirksames und  breites Maßnahmenbündel aufgelegt: von der Umrüstung von Diesel-Bussen, schweren Kommunalfahrzeugen, Handwerker- und Lieferfahrzeugen sowie Taxen bis hin zur Digitalisierung, dem Ausbau der Elektromobilität und des ÖPNV." Jetzt gelte es, weitere wichtige Schritte für Umwelt und Klima anzugehen.

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