Ökologie des Südkontinents: Biologische Explosion an der Robben- und Pinguintoilette
Sehr wichtig ist das, was hinten rauskommt. Das haben Forscher nun auch in näherer und fernerer Umgebung antarktischer Tierkolonien eindrucksvoll nachgewiesen.
Offiziell hat es zwar bislang niemand ausgerufen, aber offenbar befinden wir uns im Frühjahr der Dungforschung. Erst vergangene Woche vermeldeten deutsche Geochemiker öffentlichkeitswirksam und über ein angesehenes Wissenschaftsmagazin, wie wichtig die Ausscheidungen von Flusspferden für Afrika sind. Jetzt zieht ein anderes Forscherteam nach. Es hat die Bedeutung von Pinguin- und Robbenkot für die Antarktis-Ökologie analysiert - und für hoch befunden. Die Hinterlassenschaften wirken sich dieser neuen Studie zufolge positiv auf die Artenvielfalt in der Umgebung aus. Vor allem Stickstoff verteile sich weit über die Grenzen der Tierkolonien hinaus und bilde die Lebensgrundlage unter anderem für Kleintiere wie etwa Insekten und Milben, schreiben niederländische Forscher in der Fachzeitschrift «Current Biology».
Tausende Meter mit dem dem Wind
Das Team um Stef Bokhorst von der Universität Amsterdam untersuchte drei Orte auf der Antarktischen Halbinsel. Die Halbinsel erstreckt sich weit nach Norden Richtung Südamerika und hat ein relativ mildes Klima - im Sommer werden sogar Plusgrade gemessen. Auf den untersuchten Flächen gibt es große Kolonien von Südlichen See-Elefanten (Mirounga leonina) und drei Arten von Pinguinen - Adeliepinguinen (Pygoscelis adeliae), Eselspinguinen (Pygoscelis papua) und Zügelpinguinen (Pygoscelis antarctica).
In der Umgebung der Kolonien, in denen pro Quadratkilometer bis zu 230 000 Pinguine und bis zu 25 000 Robben lebten, analysierten die Forscher Böden, Pflanzen und Tiere. Um besonders große Tierpopulationen fanden sie noch in Entfernungen von mehr als tausend Metern die positiven Effekte der Ausscheidungen und Stoffwechsel-Abfallprodukte von Pinguin und Robbe.
Vielfach mehr Kleintier- Biomasse als auf einer deutschen Wiese
In Moosen und Flechten identifizierte das Team dort im Vergleich zu benachbarten Arealen achtmal mehr wirbellose Tiere wie etwa Springschwänze (Collembola), Milben (Acari) und Fadenwürmer (Nematoda). «Man kann dort Millionen auf einem Quadratmeter finden», wird Erstautor Stef Bokhorst in einer Mitteilung der Zeitschrift zitiert. «Auf Grasland in den USA oder in Europa sind es nur 50 000 bis 100 000 pro Quadratmeter.»
Der Artenreichtum geht der Studie zufolge vor allem auf erhöhte Stickstoffkonzentrationen zurück. «Wir sehen, dass der Kot von Robben und Pinguinen teilweise als Ammoniak verdunstet», erläutert Bokhorst. «Das Ammoniak wird vom Wind ins Inland getragen, gelangt in den Boden und gibt den Stickstoff frei, den Lebewesen brauchen, um in dieser Landschaft zu überleben.» Insgesamt fanden die Forscher erhöhte Ammoniak-Werte in Arealen, die bis zu 240 Mal größer waren als die eigentlichen Kolonien.
Anders als Säugetiere scheiden Vögel Stickstoff nicht über flüssigen Urin, sondern als Harnstoff-Paste gemeinsam mit dem Kot aus.
Wasser von geringerer Bedeutung
Die Ergebnisse ermöglichen es den Forschern zufolge, Prognosen auch für andere Teile der Antarktischen Halbinsel zu erstellen. Über Satellitenbilder könne man Tierkolonien erfassen und daraus die Pflanzen- und Tiervielfalt in ihrer Nähe kalkulieren. Dies könnte, so die Wissenschaftler, eine Alternative bieten zur mühevollen Feldforschung in der unwirtlichen Region. Andere Faktoren wie etwa Temperatur oder Verfügbarkeit von Wasser waren weit weniger wichtig für den Artenreichtum als die Zahl der Tiere. (rif/dpa)