Synthetische Biologie: Bier kommt auch ohne Hopfen aus
Erst Humulus lupulus gibt dem Gerstensaft das typische Aroma. Doch eine neue Hefesorte macht diese Zutat nun überflüssig.
Gerste, Hefe, Wasser und Hopfen - das sind nach dem Reinheitsgebot die einzigen Zutaten, aus denen ein ordentliches Bier gebraut werden darf. Den Unterschied im Geschmack der unzähligen verschiedenen Biersorten macht vor allem der Hopfen aus, der dem alkoholischen Getränk je nach Sorte eine bittere, manchmal auch fruchtige oder zitronige Note verleiht. Jetzt verkünden Biotechnologen vom Lawrence Berkeley National Laboratory und der Universität von Kalifornien in Berkeley im Fachblatt „Nature Communications“, eine Hefevariante gezüchtet zu haben, die den Hopfengeschmack gleich mitliefert – und den aufwändigen, teuren und durchaus auch die Umwelt strapazierenden Anbau der Schlingpflanze überflüssig machen könnte.
Ein Drittel der weltweiten Hopfenproduktion kommt aus Deutschland
Beim Brauen von Bier werden – kurz gesagt – die Zuckerbestandteile eines Extrakts aus Gerste (die Stammwürze) von Hefepilzen in Ethanol-Alkohol und andere Bestandteile umgewandelt. Je nachdem wie „hopfig“ die Biersorte werden soll, wird kurz vor, während oder auch noch nach diesem Fermentationsprozess Hopfen hinzugegeben. Etwa bei „Craft Beer“-Sorten wie dem Pale Ale wird sogar noch nach der Gärung, wenn das Jungbier abgekühlt ist, Hopfen dazu „gestopft“, wodurch vor allem die fruchtigen Aspekte des Geschmacks übertragen werden, die Bitterstoffe sich wegen der fehlenden Wärme aber nicht mehr lösen.
Dass Bier pro Liter mit etwa ein bis vier Gramm der Schlingpflanzen-Dolden versetzt wird, hat aber nicht allein geschmackliche Gründe. Auch für die Festigkeit der „Blume“, also der Schaumkrone im Glas, soll die Zutat wichtig sein. Außerdem erhöhen dessen Bitterstoffe auch die Haltbarkeit des Biers.
Etwa ein Drittel der weltweiten Hopfenproduktion und mehr als zwei Drittel der deutschen stammen aus dem bayerischen Hallertau, einem Landstrich bei Freising, wo der aufwändige Anbau schon seit dem 8. Jahrhundert nachgewiesen ist. Pro Hektar müssen über hundert etwa sieben Meter hohe Holzmasten in den Boden eingelassen werden. An denen wird ein Netz befestigt, woran die Schlingpflanzen von März bis etwa September emporwachsen. Zusätzlich zur Kletterhilfe verbrauchen die Pflanzen viel Wasser. 100 Milliarden Liter pro Jahr sind es allein auf den Anbauflächen in den USA. Das kostet dort fast 10 000 Dollar pro Hektar und Jahr.
Terpene aus den Hopfen-Dolden geben dem Bier Geschmack
Geerntet werden im Herbst die doldenartigen Blüten der Pflanze. Sie enthalten das Lupulin oder „Hopfenmehl“, in dem eine komplexe Mischung ätherischer Öle und Terpene für den charakteristischen Geschmack sorgen – darunter etwa Myrcen, Humulen, Caryphyllen und Farnesen, aber vor allem Geraniol und Linalool. Diese beiden Terpene, so ergaben Verkostungs-Tests, machen den Großteil des typischen Hopfengeschmacks aus. Wenn also jene beiden Aromen während des Brauprozesses von der Bierhefe Saccharomyces cerevisiae selbst produziert werden könnten, dann wäre zumindest ein Großteil der Hopfenproduktion überflüssig.
Eben das probierte ein Forscherteam um Jay Keasling, der sich auf „Synthetische Biologie“ spezialisiert hat. Er hatte schon in der Vergangenheit Bakterien und Hefezellen mit völlig neuen Stoffwechselwegen ausgestattet, etwa damit sie das Malaria-Medikament Artemisinin oder Biosprit produzieren. Keasling nennt das „Stoffwechsel-Engineering“.
Dabei werden Gene wie Maschinen an einem Fließband hintereinander geschaltet, so dass am Ende das gewünschte Produkt entsteht. Diese Gene tragen die Codes für Enzyme, mit deren Hilfe die Zellen Terpene wie Linalool und Geraniol herstellen können. Es gibt sie in vielen Pflanzen, denn Terpene und andere Bitterstoffe dienen oft als Abwehrmechanismen gegen Parasiten. Doch nicht immer funktionieren diese Gene noch, wenn sie ins Erbgut einer anderen Art übertragen werden, insbesondere in einen relativ entfernt verwandten Pilz wie die Hefe. Mit den Enzym-Genen aus Basilikum und Pfefferminze klappte es aber: Keasling brachte die Hefe dazu, Linalool und Geraniol zu produzieren.
40 Testpersonen schmeckten keinen Unterschied
Damit allein gaben sich die Forscher aber nicht zufrieden, sondern testeten die neuartige Hefe in Zusammenarbeit mit der kalifornischen Brauerei Lagunitas in Petaluma in einem regulären, klassischen Brauprozess für ein „American Ale“. 40 Mitarbeiter der Firma verkosteten die Biere, ohne dass sie oder Keaslings Forscherteam wussten, welche von den gentechnisch veränderten Hefen stammte.
Einen Unterschied zu Bier, das mit herkömmlicher Hefe gebraut war, konnten die Testpersonen nicht schmecken. Allerdings bemerkten sie verschiedene Intensitäten im Hopfen-Aroma, je nachdem, ob Keaslings Hefe-Stämme viel oder wenig Aromastoffe produziert hatten. Vor allem könne der kommerzielle Vorteil darin liegen, Bier mit den neuen, „verhopften“ Hefestämmen zu brauen: Damit könne der Gehalt an Hopfen-Aroma „präziser kontrolliert“ werden, als das mit Hopfen vom Feld möglich sei. Denn deren Gehalt an Linalool und Geraniol hängt von den Umwelt- und Wuchsbedingungen ab.
„Spannend“ findet die neuen Hefestämme Christine Lang, Mikrobiologin und Gründerin der Berliner Biotech-Firma Organobalance. „Man versucht der Hefe ja schon seit langem alles mögliche beizubringen, vor allem was den Stoffwechsel der Terpene betrifft, die sowohl als Duft- und Aromastoffe als auch als Arzneimittel interessant sind.“
Wirkstoffe wie Artemisinin oder das Chemotherapeutikum Taxol stammen ursprünglich aus den natürlichen Terpen-Stoffwechseln des Beifuß beziehungsweise der Eibe. Nicht umsonst war die norwegische Pharmafirma Novo Nordisk neben Keaslings Unternehmen Amyris an der Forschung beteiligt. Auch im Bereich der Parfümproduktion könnten Keaslings Hefen hilfreich sein: Geraniol ist ein wichtiger Bestandteil von Parfüms. „Lohnen würde es sich auch, Moschus-ähnliche Gerüche auf diese Weise zu reproduzieren, die sich schwer gewinnen lassen.“
In Europa wäre die Zulassung der Spezial-Hefe wohl kaum möglich
Dass die Hefestämme nun die Bierproduktion auf den Kopf stellen werden, glaubt Lang eher nicht – insbesondere nicht in Deutschland. Zwar dürfte ein solches Getränk hierzulande auch dann noch Bier genannt werden wenn kein Hopfen mehr beigemengt wird, seit EU-Gesetze das Reinheitsgebot aufheben. „Aber ein Hefestamm, der Gene anderer Arten enthält, würde in Europa nicht ohne weiteres zugelassen“, sagt Lang. „Ganz davon abgesehen, dass das Biertrinker vermutlich gar nicht wollen.“
Die Menge an Hopfen, die dem Gärprozess zugeführt werden muss, ließe sich mit Keaslings Hefen allerdings durchaus reduzieren, meint Thomas Becker vom Lehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie der TU München in Weihenstephan. Für wirklich sinnvoll hält er es allerdings nicht, weil die meisten Brauereien in den vergangenen Jahren gerade mit besonders aromatischen Hopfensorten experimentieren, um ihre Biersorten unverwechselbar zu machen. „Besser wäre es, jene etwa 25 Stoffe biotechnologisch in Mikroben zu produzieren, die durch den Gärprozess entstehen“, sagt Becker. „Da lässt sich unglaublich viel Geld sparen.“ Wenn auch, erneut, nicht in Deutschland.
Außerdem: Ein Interview mit dem Berliner Biotechnologen Ulf Stahl, langjähriger Leiter des Institut für Gärungswesen der Technischen Universität Berlin.