Biotechnologie des späten Mittelalters: Der Stammbaum des Biers
Gerste, Hopfen, Wasser - daraus wird seit Jahrhunderten Bier gebraut. Aber erst ein Gen-Mix aus zwei Hefen machte Lagerbier zum Welterfolg.
Irgendwann im 15. Jahrhundert entdeckten bayerische Brauer, dass Bier viel besser schmeckt, wenn es den Winter über in Fässern lagert und reift. Heute sind 94 Prozent aller Biere weltweit solche Lagerbiere. Erst seit Kurzem weiß man: Nicht allein der Brauprozess, sondern besondere Hefestämme sorgen für den speziellen Lagergeschmack. Denn Lagerhefe ist ein Hybrid, eine Mischung aus den zwei Arten Bierhefe Saccharomyces cerevisiae und Saccharomyces eubayanus.
Emily Baker und Chris Hittinger von der Universität Wisconsin in Madison haben nun analysiert, wie diese Hybridstämme einst zustande gekommen sind. Mit Hilfe von Erbgutvergleichen mit Wildtypstämmen der beiden Hefen entdeckten sie, dass Lagerhefe vom Typ „Saaz“ und „Frohberg“, benannt nach deren Ursprungsorten in Tschechien und Bayern, in mehreren Kreuzungsschritten aus S. cerevisiae und S. eubayanus entstanden sein müssen.
„Diese unwahrscheinliche Heirat zweier Arten, die genetisch so unterschiedlich sind wie Mensch und Vogel, hat mindestens zwei Mal stattgefunden“, sagt Hittinger.
Mutanten im Braukessel
Offenbar waren diese Hefehybride von Anfang an besonders geeignet für das Brauen von Lagerbier. Im Laufe der Jahrhunderte passten sie sich darüber hinaus an die Bedingungen in den Braukesseln an. Vor allem Gene, die den Zucker- und Alkoholstoffwechsel beeinflussen, hätten sich dabei verändert, wie beispielsweise das Gen „Adr1“, schreiben die Forscher im Fachblatt „Molecular Biology and Evolution“. Es produziert normalerweise das Enzym Alkoholdehydrogenase, das Alkohol abbaut – ein eher unerwünschter Prozess beim Brauen von Bier. Inzwischen hat sich das Adr1-Gen in Lagerhefen so sehr verändert, dass die Funktion des Enzyms stark eingeschränkt ist. Andere Genmutationen ändern zum Beispiel die Geschwindigkeit, mit der der Hopfen während des Brauens fermentiert wird.
Unmittelbar nützlich für Brauereien sind die Forschungsergebnisse nicht. „Die Studie erklärt die Entstehung der Hefestämme", sagt Hittinger. Aber die Erbgutinformationen könnten genutzt werden, um neue Hefestämme zu entwickeln, indem andere Arten und Linien von Saccharomyces identifiziert werden, die bisher beim Brauen nicht verwendet werden. Denn S. eubayanus sei nur eine von vielen Hefearten, die Forscher in den letzten Jahren neu entdeckt haben. „Viele Hefearten sind von der Industrie bisher nicht untersucht worden, könnten aber benutzt werden, um neue Fermentationsstämme für Bier, Wein oder auch Biosprit zu produzieren. Denn jeder der Stämme habe ganz eigene Eigenschaften. „Manche produzieren mehr Aromakomponenten, während andere für einen frischeren Geschmack sorgen", sagt Hittinger. Außerdem eignen sich manche Hefesorten für die verschiedenen Brauprozeduren unterschiedlich gut. Im Fall des Lagerbiers ist aufgrund der Lagerung und Reifung des Biers in kühlen Kellern eine Hefe nötig, die kühle Temperaturen verträgt. „Die meisten S. cerevisiae Stämme versagen bei diesen Temperaturen, deshalb war eine Hybridisierung mit der an Kälte angepassten Art S. eubayanus ein entscheidender Vorteil."
Reinheitsgebot bleibt unberührt
Das Reinheitsgebot, das nur Wasser, Hopfen und Gerste zulässt, wird durch die Verwendung neuer Hefearten oder von Hybridhefen übrigens nicht verletzt. „Das Reinheitsgebot stammt aus dem 16. Jahrhundert, lange bevor Forscher wie Pasteur überhaupt entdeckten, dass Hefe für die Bierfermentation verantwortlich ist", sagt Hittinger. Die frühen Brauer haben Hefe also nicht wissentlich verwendet oder gekreuzt. Aber indem sie den Brau- und Reifeprozess veränderten, sorgten sie dafür, dass bestimmte Hefearten und Hefehybride wachsen konnten und selektierten so die Stämme, die heute weltweit verwendet werden.
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