Rendezvous nach 4,6 Milliarden Kilometern: Besuch beim Gott der Unterwelt
Neun Jahre nach dem Start nähert sich die Raumsonde „New Horizons“ ihrem Ziel: dem fernen Pluto.
Die Sonde „New Horizons“ war nur wenige Monate unterwegs, da kam ihr das Ziel abhanden. Am 19. Januar 2006 wurde sie gestartet, um den neunten und bis dato letzten unerforschten Planeten des Sonnensystems anzusteuern: Pluto. Doch im August desselben Jahres wurde dem Himmelskörper, der nach dem römischen Gott der Unterwelt benannt ist, der Planetenstatus aberkannt. „Zwergplanet“ heißt er nun – und ist für die Forscher nicht minder spannend. Am 14. Juli soll New Horizons als erste Raumsonde überhaupt Pluto erreichen. In diesen Tagen liefert sie bereits erste Bilder, allerdings noch aus großer Distanz.
4,76 Milliarden Kilometer auf dem Tacho
Bis zum Rendezvous wird die Sonde rund 4,76 Milliarden Kilometer hinter sich gebracht haben. „Es ist die längste Strecke, die je ein irdisches Raumfahrzeug bis zu seinem Ziel zurückgelegt hat“, sagt Alan Stern, der wissenschaftliche Leiter der Nasa-Mission. Geplant ist eine Passage: Mit einer Geschwindigkeit von fast 50 000 Kilometern pro Stunde rast New Horizons in einem Abstand von 9600 Kilometern an Pluto vorüber.
Die Begegnung ist nicht ohne Risiko. Denn der Weg der Sonde führt mitten durch die Umlaufbahnen der fünf bekannten Monde Plutos hindurch. Gut möglich, dass es dort weitere, bislang unbekannte kleine Trabanten gibt, oder gar Ringe aus Staub und Gesteinsbrocken. Ein Zusammenstoß selbst mit einem nur Millimeter großen Steinchen wäre bei der gewaltigen Geschwindigkeit fatal für die Sonde.
Ende Januar begann sie deshalb mit dem Spezialteleskop „Lorri“ (Long Range Reconnaissance Imager), das Plutosystem zu beobachten. Die grobpixeligen Aufnahmen zeigen, wie Pluto durch die Schwerkraft des umkreisenden Mondes „Charon“ im Weltraum hin- und hergebeutelt wird. Lorri soll exakte Positionsdaten des Zwergplaneten und seiner Monde liefern und etwaige weitere kleine Körper und Ringe in seiner Umgebung aufspüren.
Pluto ist eine weitgehend unbekannte Welt
Auf Basis dieser Daten können Stern und seine Kollegen dann die Steuerung der Sonde anpassen, um einerseits einen ungefährlichen Kurs durch das Plutosystem zu finden und andererseits New Horizons in die beste Position für die Beobachtung des Zwergplaneten und seiner Monde zu bringen. Bislang ist Pluto für die Astronomen eine weitgehend unbekannte Welt. „Wir wissen über ihn etwa so viel wie über den Mars vor 50 Jahren, vor den ersten Missionen zum roten Planeten“, sagt Stern. Selbst das Weltraumteleskop „Hubble“ liefert nur Bilder mit großen, verschwommenen Flecken auf der Oberfläche des Zwergplaneten. Vermutlich besteht er aus Gestein und Eis und hat eine dünne Atmosphäre aus Stickstoff. Nun hoffen die Forscher auf eine vollständige Kartierung des Himmelskörpers und auf Detailbilder mit einer Auflösung von bis zu 25 Metern.
Vom Planeten zum Zwergplaneten degradiert
Nach seiner Entdeckung durch den US-Astronomen Clyde Tombaugh im Jahr 1930 hielten die Forscher Pluto für den seit Jahrzehnten gesuchten neunten Planeten des Sonnensystems. Diesen Status behielt er bis 2006, obwohl er so gar nicht den Erwartungen der Himmelsforscher entsprach. Mit einem Durchmesser von 2300 Kilometern ist er viel kleiner als die anderen äußeren Planeten, kleiner sogar als der irdische Mond. Und seine Umlaufbahn weicht so stark von einer Kreisbahn ab, dass Pluto sich zeitweilig innerhalb der Bahn von Neptun bewegt.
Über tausend Pluto-ähnliche Himmelskörper im Kuipergürtel
Zudem ist Pluto nicht allein. Seit den 1990er Jahren entdecken Astronomen stetig weitere, ähnliche Himmelskörper jenseits der Neptunbahn. Einer davon, Eris, ist vermutlich sogar etwas größer als Pluto. Inzwischen haben Forscher über tausend Himmelskörper in dieser „Kuipergürtel“ genannten Region aufgespürt. Insgesamt vermuten sie dort sogar 100 000 Objekte, die größer als 100 Kilometer sind. Pluto ist also nur einer von vielen in dieser Zone. Daher verlor er am 24. August 2006 durch eine – bis heute umstrittene – Entscheidung der Internationalen Astronomischen Union seinen Status als Planet. Seither gilt er als Zwergplanet: einer neu geschaffenen Kategorie für kleine, runde Objekte, die ihre Bahn im Gegensatz zu richtigen Planeten nicht „bereinigt“ haben, sondern sie gemeinsam mit weiteren kleinen Objekten teilen.
Der Kuipergürtel ist ein Überbleibsel aus der Entstehungszeit des Sonnensystems. Das macht ihn und damit auch Pluto so interessant für die Forscher. Die kleinen eisigen Welten haben sich über die Jahrmilliarden wesentlich weniger verändert als die Objekte im inneren Sonnensystem. Vielleicht handelt es sich bei einigen von ihnen sogar um ganz ursprüngliche „Planetenbausteine“. „Wir besuchen mit New Horizons erstmals eine völlig neue Art von planetarischen Körpern“, erläutert Stern. „Und ich bin mir sicher, dass die Natur dort ein paar Überraschungen für uns auf Lager hat!“
Bereits ab Mai funkt die Sonde Bilder von Pluto zur Erde, die schärfer sind als die besten Hubble-Aufnahmen. Bei ihrem Vorbeiflug untersucht sie den Zwergplaneten außerdem mit einer ganzen Batterie von Instrumenten, die den Wissenschaftlern Informationen über die Zusammensetzung seiner Atmosphäre und seiner Oberfläche liefern.
Signale brauchen über vier Stunden zur Erde
Nur einen Teil der Bilder und Daten kann die Sonde während des Vorbeiflugs sofort zur Erde funken. Durch die große Entfernung beträgt die Übertragungsrate lediglich ein Kilobit pro Sekunde und die Signale brauchen viereinhalb Stunden bis zur Erde. Fast ein Jahr wird es dauern, bis alle Daten hier angekommen sind.
Umso wichtiger, dass New Horizons die Passage durch das Plutosystem unbeschadet übersteht, der Verlust der wertvollen Daten durch eine Kollision wäre ein Fiasko für die Forscher. Zudem hoffen sie auf mehr: Die Raumsonde hat genug Treibstoff an Bord, um weitere Objekte im Kuipergürtel anzufliegen. Als nächstes Ziel haben die Wissenschaftler einen erst im vergangenen Jahr mit dem Hubble-Teleskop entdeckten, 30 bis 45 Kilometer großen Brocken ausgewählt. Die Distanzen in dieser Region haben freilich andere Dimensionen: „Schon“ im Januar 2019 könnte New Horizons bei ihm sein.
Rainer Kayser