Am Rand des Sonnensystems: Voyager-Sonden erkunden die Grenzen unseres Sonnensystems
Seit 35 Jahren rasen die beiden Voyager-Sonden durchs Sonnensystem. Als erste Zeugen der Menschheit stehen sie nun kurz davor, es zu verlassen. Was sie an der Grenze zum Kosmos finden, überrascht Forscher schon jetzt.
Die Erde ist bereits zu einem unscheinbaren, blassblauen Pünktchen geworden, kaum auszumachen neben der ebenfalls winzigen Sonne, die aber immer noch heller leuchtet als die anderen, viel weiter entfernten Sterne. 15 Milliarden Kilometer sind die US-Raumsonden Voyager 1 und Voyager 2 von der Erde entfernt, weiter als irgendein anderes von Menschen gemachtes Objekt. Und jeden Tag entfernen sie sich mit einer Geschwindigkeit von rund 60 000 Kilometern pro Stunde weiter von ihrem Heimatplaneten.
Auf dem blassblauen Pünktchen lauschen die Forscher der Nasa den immer schwächer werdenden Signalen der fernen Weltraumreisenden und warten auf ein historisches Ereignis: Als erste Botschafter der Menschheit sollen die Sonden unser Sonnensystem verlassen. Rund 17 Stunden benötigen die Funksignale von Voyager 1, um die großen Antennen des „Deep Space Network“ der Nasa zu erreichen. Die Signale der Voyager 2 sind 14 Stunden unterwegs. Doch die Informationen, die sie dabei senden, sind nicht so eindeutig, wie Forscher gehofft hatten – und sie ändern die Vorstellungen der Wissenschaftler über die Grenzen des Sonnensystems.
Die Reise der beiden Raumfahrt-Oldtimer begann 1977 und sollte ursprünglich nur zu den beiden Riesenplaneten Jupiter und Saturn führen. Schon Mitte der 1960er Jahre hatten bei der Nasa Planungen für Missionen zu den äußeren Planeten des Sonnensystems begonnen, die eine günstige Stellung der Himmelskörper Ende der 1970er Jahre ausnutzen sollten. Um auch im Falle einer katastrophalen Panne auf der sicheren Seite zu sein, ließ die amerikanische Raumfahrtbehörde gleich zwei nahezu baugleiche Sonden anfertigen. Die Nasa-Experten rechneten mit einer Lebensdauer der Voyagers von fünf Jahren – doch sie erwiesen sich als weitaus robuster und übertrafen alle Erwartungen.
Die Sonden lieferten fantastische Bilder. Planetenforscher konnten gewaltige Stürme in der Atmosphäre des Jupiter beobachten, entdeckten rätselhafte Strukturen in den Ringen des Saturn, fanden Hinweise auf einen tief unter dem kilometerdicken Eispanzer des Jupitermondes Europa verborgenen Ozean aus Wasser und vieles mehr.
Der gute Zustand der Sonden nach der erfolgreichen Erfüllung der primären Missionsziele weckte den Hunger nach mehr. Aus der Ferne wurden die Bordcomputer umprogrammiert. Die Planeten standen günstig – für Voyager 2 wurde aus der ursprünglichen Zwei-Planeten-Tour nun eine Reise zu gleich vier fernen Welten. Als erstes Raumfahrzeug erreichte sie 1986 den Uranus und dreieinhalb Jahre später den Neptun.
Voyager 1 folgte einem anderen Pfad. Kurzzeitig hatten die Nasa-Forscher überlegt, die Sonde durch einen engen Vorbeiflug an Saturn auf einen Kurs Richtung Pluto zu katapultieren. Schließlich entschieden sie sich jedoch für eine aus damaliger Sicht wissenschaftlich wertvollere und zudem weniger riskante Option: Im November 1980 passierte Voyager 1 Titan, den größten Mond Saturns. Die Anziehungskraft des Trabanten warf die Sonde dabei nach Norden unter einem Winkel von 35 Grad aus der Bahnebene der Planeten heraus – auch das ein Novum in der Raumfahrtgeschichte. Weitere Planeten waren damit für die Sonde nicht mehr zu erreichen.
Am 17. Februar 1998 überholte Voyager 1 dank ihrer höheren Geschwindigkeit die fünf Jahre ältere Jupitersonde Pionier 10 und ist seither das entfernteste, von Menschen geschaffene Objekt im Weltall. Die Sonde rast mit unvermittelter Geschwindigkeit ihrem neuen Ziel entgegen: der äußersten Grenze des Sonnensystems. Wo genau diese Grenze sich befindet, wissen die Forscher nicht. Doch sie haben Vorstellungen davon, was sich dort physikalisch abspielt – und entsprechende Erwartungen an die Anzeigen der Messinstrumente an Bord der Sonden.
Aus der heißen Atmosphäre unseres Zentralgestirns strömen ständig mit hoher Energie geladene Teilchen ins Weltall ab. Dieser Sonnenwind bewegt sich mit Überschallgeschwindigkeit nach außen, hüllt das ganze Sonnensystem in eine große Blase, die Heliosphäre, und schirmt es so vor dem interstellaren Gas ab. Irgendwann jedoch ist der Sonnenwind so stark verdünnt, dass er das interstellare Gas nicht länger zurückdrängen kann: Das Gas bremst die von der Sonne heranrasenden Teilchen ab. Ihre Geschwindigkeit fällt unter die Schallmauer und wie bei einem Flugzeug kommt es zu einem Überschallknall. „Termination-Schock“ nennen die Wissenschaftler diese Stoßwelle (siehe Grafik).
Ende 2004 war es endlich so weit: Die von Voyager 1 aus einer Entfernung von 14 Milliarden Kilometern – mehr als dem 93-fachen Abstand Erde–Sonne – gelieferten Messdaten zeigten plötzlich eine starke Zunahme der Teilchendichte des Sonnenwindes. Gleichzeitig stieg das Magnetfeld im Weltall um das Zweieinhalbfache an. Für die Wissenschaftler war dies der sehnsüchtig erwartete Beweis dafür, dass die Sonde die Stoßwelle durchquert hatte. Schon zwei Jahre lang hatten die Instrumente widersprüchliche Werte angezeigt, die immer wieder zu voreiligen Meldungen über ein Erreichen des Termination-Schocks geführt hatten.
Der Sonnenwind schwankt mit der Aktivität unseres Zentralgestirns – also mit der Häufigkeit von Sonnenflecken und -eruptionen – in einem elfjährigen Zyklus. Entsprechend kann sich die Stoßwelle nach innen oder nach außen bewegen. Schwankungen im Sonnenwind können außerdem dazu führen, dass die Grenzzone Wellen wirft und ausfranst. „Die Voyager-Daten zeigen, dass der Termination-Schock viel komplizierter ist, als wir uns vorgestellt haben“, sagt Nasa-Forscher Eric Christian.
Auch die Messungen der Schwestersonde zeigten die Unberechenbarkeit der solaren Grenzschicht. Am 31. August und am 1. September 2007 durchquerte Voyager 2 gleich mehrfach den Termination-Schock. Das Raumfahrzeug erreichte die Stoßwelle zudem 1,5 Milliarden Kilometer früher als Voyager 1. Die Heliosphäre ist, so folgerten die Forscher, nicht exakt kugelförmig, sondern asymmetrisch. Als Ursache für diese Asymmetrie kommt nach Ansicht der Wissenschaftler das lokale interstellare Magnetfeld infrage.
Auf die Forscher warteten noch weitere Überraschungen – sie hatten sich den äußeren Rand des Sonnensystems sehr viel einfacher vorgestellt. Jenseits des Termination-Schocks liegt die Heliosheath, die Sonnenhülle. In dieser Übergangszone, so das ursprüngliche Modell, vermischen sich Sonnenwind und interstellares Gas langsam, bis vom Sonnenwind schließlich nichts mehr zu spüren ist. Hier, an der sogenannten Heliopause, endet unser Sonnensystem dann endgültig.
Doch die Heliosheath ist keineswegs eine ruhige Zone, wie die Messungen der Sonden-Veteranen zeigen. Nicht nur, dass Voyager 1 und 2 ganz unterschiedliche Daten lieferten, sie stießen auch auf unerwartet abrupte Veränderungen im Strom der geladenen Teilchen. Eine mögliche Erklärung für dieses Phänomen sind 150 Millionen Kilometer große magnetische Blasen, von denen die Heliosheath einem Schweizer Käse gleich durchlöchert ist.
Vermutlich handelt es sich bei den magnetischen Blasen um abgelöste Teile des Sonnen-Magnetfeldes. „Das Magnetfeld unserer Sonne reicht bis an den Rand des Sonnensystems“, erklärt Merav Opher von der Boston University, „und da sich die Sonne dreht, verdrehen und verwickeln sich die Feldlinien.“ Dadurch können die Feldlinien schließlich abreißen und neue, geschlossene Formen – eben die magnetischen Blasen – bilden.
Seit 2012 warten die Wissenschaftler nun auf Hinweise darauf, dass sich Voyager 1 der Heliopause nähert und in den interstellaren Raum vorstößt. Die gemessene Verlangsamung des Sonnenwinds erwies sich als trügerisch. Computersimulationen zeigen, dass mit der Abbremsung eine seitliche Ablenkung der ursprünglich nach außen gerichteten Teilchenbewegung stattfinden sollte. Doch trickreiche Versuche, die seitliche Strömung mithilfe von Drehungen der Raumsonde nachzuweisen, blieben ohne Erfolg. „Wir schließen daher aus unseren Daten, dass Voyager 1 sich gegenwärtig nicht nahe der Heliopause befindet“, sagt Robert Decker von der Johns Hopkins University, „jedenfalls nicht in der Form, in der wir sie uns bislang vorstellen.“
Forscher hatten erwartet, dass an der äußersten Grenze des Sonnensystems, die Sonnenwindpartikel und das Magnetfeld unseres Sterns gleichzeitig verschwinden. Stattdessen berichteten Forscher im Juni dieses Jahres im Fachblatt „Science“ über eine von theoretischen Modellen nicht vorhergesagte Region: Hier spürt die Sonde noch das Magnetfeld der Sonne, zugleich registriert sie viel mehr Teilchen aus dem interstellaren Raum, die der Sonnenwind sonst abschirmt. „Die Beobachtungen zeigen also eher, dass Voyager 1 eine neue Region der Heliosphäre erreicht hat als das interstellare Medium“, sagt Edward Stone vom California Institute of Technology in Pasadena. Die Wissenschaftler hoffen, dass diese „Abreicherungszone“ nun die letzte Region vor der Heliopause, vor dem Übergang in das Gas zwischen den Sternen ist.
Bis spätestens 2015 sollten die Raumsonden endgültig den interstellaren Raum erreichen – und dort vielleicht auf neue Überraschungen stoßen. Die Forscher erhoffen sich von den Voyagers neue Erkenntnisse über das Magnetfeld und die kosmische Strahlung außerhalb unseres Sonnensystems. Bislang konnten die Astronomen solche Informationen nur indirekt aus dem Licht ferner Sterne ablesen, die beiden Sonden bieten erstmals die Möglichkeit von Messungen vor Ort.
Und die Schwestersonden erfreuen sich immer noch guter Gesundheit. Der Treibstoff für die Lagekontrolle könnte sogar noch für 40 Jahre reichen. Kritischer ist die Energieversorgung: Die radioaktiven Zerfallsbatterien liefern nach aktuellen Schätzungen noch bis zum Jahr 2025 ausreichend Energie. Zudem wird das ferne Wispern der beiden Raumsonden von Jahr zu Jahr leiser. Die heute auf der Erde eintreffenden Funksignale haben nur noch eine Energie von einem Zehnmillionstel eines Millionstel Watts.
Auch wenn diese schwachen Signale eines Tages ganz verlöschen, bleiben die Voyager-Sonden weiter unterwegs zu den Sternen. Mit an Bord: Bild- und Tondokumente, die vielleicht in ferner Zukunft irdischen – oder auch außerirdischen – Raumfahrern von der menschlichen Kultur am Ende des zweiten Jahrtausends berichten (siehe Kasten). Und eines Tages werden die Sonden schließlich sogar einem anderen Stern näher kommen als unserer Sonne. Doch das dauert nach Schätzungen der Nasa noch etwa 40 000 Jahre.
Rainer Kayser
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