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Pluripotente Stammzelle. Alexander Meissner gefällt, dass die Max-Planck-Gesellschaft explizit zur Grundlagenforschung steht.
© imago/Science Photo Library

Genomforschung: „Berlin steckt in den Startlöchern“

Der Spitzenbiologe Alexander Meissner wechselt vom Broad-Institute in Cambridge ans Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik in Berlin-Dahlem.

Es ist ein Paradies für Spitzenforscher: Am Broad-Institute in Cambridge (USA) betreiben über 1000 Forscher von Harvard University und Massachusetts Institute of Technology Genomforschung auf höchstem Niveau, ausgestattet mit 800 Millionen Dollar von der Stifterfamilie Broad. Alexander Meissner (41) erforscht dort seit 2008, wie Erbgut reguliert und programmiert wird, also welche Gene ein- oder abgeschaltet werden müssen, damit aus einer Stammzelle eine spezialisierte Körperzelle wird.

Jetzt hat Meissner das Bostoner Biotop der Lebenswissenschaften verlassen, um eine Direktorenposition für Genomregulation am Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik in Berlin-Dahlem anzutreten.

Professor Meissner, Sie hatten am Broad-Institute in Cambridge Forschungsmöglichkeiten, von denen so mancher Forscher nur träumen kann. Warum haben Sie das aufgegeben?

Eigentlich gab es keinen einzigen Grund wegzugehen. Wir hatten ein schönes Haus in Cambridge gefunden, die Kinder hätten bald auf gute Schulen in der Nähe gehen können. Und auch die Finanzierungssituation für meine Forschung stimmte. Gerade erst wurden zwei neue Projekte bewilligt, weshalb ich die nächsten fünf Jahre Gastprofessor an der Harvard Universität bleiben und dort ein Labor weiterführen werde. Die Frage war aber, was man in seinem Leben noch erreichen und verändern will. Die Bedingungen für Forschung und auch für Biotech-Startups sind in Boston bereits perfekt ausgelegt, in Berlin hingegen... also entweder steckt Berlin in den Startlöchern oder es ist eingeschlafen. Und ich hoffe natürlich, dass es in den Startlöchern steckt.

Was macht Sie da so sicher?

Forscher aus Deutschland, durchaus auch aus Berlin, sind drüben sehr gern gesehen in den besten Labors. Sie sind gut ausgebildet und kreativ. Aber es gibt nicht genug Positionen, auf denen Forscher so gute Bedingungen haben, dass sie international konkurrenzfähig arbeiten könnten. Man muss Anreize schaffen, damit die besten Postdocs auch hierher kommen. Dafür sehe ich genug Potenzial. Das hat den Standort Berlin für mich so interessant gemacht, auch und gerade weil er noch nicht voll ausgereift ist.

Warum Berlin, warum nicht München?

Zum einen hat das mit der privaten Situation zu tun. Ich bin Berliner, meine Familie und die Familie meiner Frau lebt großteils in Berlin. Zum anderen bietet das Max-Planck-Institut für molekulare Genetik die Chance eines echten Neuanfangs. Die nächste Direktoren-Berufung steht bevor, und bald wird die nächste Position frei. Das heißt, innerhalb kürzester Zeit, kann man drei Viertel des Instituts neu gestalten und etwas neues aufbauen...

... ein Berliner Broad-Institut?

Eher ein „Boutique-Broad“, das flexibler ist als das Vorbild. Das Broad-Institut ist riesig geworden, und eine große Maschinerie kann auf neue Entwicklungen nicht immer so schnell reagieren wie nötig.

Kann man denn mit Instituten wie dem Broad ernsthaft konkurrieren?

Wir haben den Vorteil, dass es inzwischen nicht mehr hunderte von DNS-Sequenziermaschinen braucht, die ein Genomforschungsinstitut vor zehn Jahren noch unbedingt brauchte. Wir können zwar nicht das Erbgut von 50 000 Krebspatienten sequenzieren, um etwas über die Krankheit zu lernen. Aber wir schaffen 500 und können das Experiment dabei viel flexibler gestalten. Mit unserem Sequenzierer hier können wir schneller und günstiger sequenzieren als am Broad.

Maschinen kann man kaufen, ein Umfeld wie in Boston nicht.

Das ist richtig, aber in Berlin tut sich wirklich einiges, zum Beispiel wird über das Berlin Institut of Health (BIH) international geredet...

... obwohl es am BIH zurzeit nicht gerade gut läuft, seit bekannt ist, dass der Vorstandsvorsitzende Erwin Böttinger nach Potsdam wechseln will?

Sagen wir es so: Wir sind hier in Dahlem gut genug positioniert, um konkurrenzfähige Spitzenforschung machen zu können. Aber es wäre hilfreich, wenn sich international herumspräche, dass in Berlin Gutes initiiert wird. Ob das nun immer so geschickt angegangen wird oder nicht, das lassen wir mal außen vor.

Alexander Meissner hat an der Technischen Universität Berlin Medizinische Biotechnologie studiert, machte 2006 seinen Doktor am Whitehead Institute in Cambridge, Massachusetts, und arbeitete seitdem am Broad Institute von Harvard University und Massachusetts Institute of Technology.
Alexander Meissner hat an der Technischen Universität Berlin Medizinische Biotechnologie studiert, machte 2006 seinen Doktor am Whitehead Institute in Cambridge, Massachusetts, und arbeitete seitdem am Broad Institute von Harvard University und Massachusetts Institute of Technology.
© MPIMG Berlin-Dahlem

Mit welchen Problemen hat der Forschungsstandort Berlin zu kämpfen?

Vor allem die Sprache ist eine Hürde. Das macht es Forschern aus anderen Ländern im Alltag nicht unbedingt einfach. Und dann sind da so Kleinigkeiten in der Verwaltung. Zum Beispiel ist es mir gelungen, Yechiel Elkabetz von der Tel Aviv Universität nach Berlin zu holen, obwohl er kein Wort deutsch spricht. Damit haben wir eine wichtige Achse in ein Land aufgebaut, das erstklassige Forscher ausbildet. Allerdings wurde ihm der Arbeitsvertrag dann in Deutsch vorgelegt. Das ist ja aber nur eine Kleinigkeit und wird sicher nicht wieder vorkommen.

Für die Entdeckung der Reprogrammierung von Haut- in Stammzellen hat es bereits einen Nobelpreis gegeben. Versteht man inzwischen, was bei diesem Vorgang eigentlich passiert?
Wir verstehen ganz gut, welche Gene im Erbgut ein- und ausgeschaltet sein müssen, damit eine Hautzelle eine Hautzelle und eine Stammzelle eine Stammzelle bleibt. Was man aber noch nicht versteht, ist, wie man von einem Zustand zum anderen kommt. Das ist nicht nur eine Frage der Reprogrammierung, sondern auch wie Gene überhaupt ein- oder ausgeschaltet werden. Deshalb haben wir unsere Abteilung auch „Genomregulierung“ genannt. Reprogrammierung ist ein gutes Modell, um das zu untersuchen, aber es ist Teil einer grundsätzlicheren Frage: Wie werden nicht nur einzelne Genschalter, sondern ganze Programme gesteuert, die Zellen mit dem immer gleichen Erbgut mal eine Herzzelle, mal eine Leberzelle werden lassen. Wenn man die Regeln verstanden hat, sollten wir Zellen in alle Richtungen entwickeln können.

Wie anwendungsorientiert ist Ihre Forschung?

Natürlich trägt alles, was wir hier tun, auch zum Verständnis von zellulären Prozessen bei, die bei der Entstehung oder Therapie von Krankheiten, wie etwa Krebs, eine Rolle spielen. Aber anders als in den USA, wo ich in jeden Forschungsantrag reinschreiben musste, welche Krankheit man am Ende damit heilen will, muss ich das hier nicht betonen. Die Max-Planck-Gesellschaft legt Wert darauf, Grundlagenforschung zu finanzieren. Die Anknüpfungspunkte für die Diagnostik von Krebs- oder anderen Erkrankungen oder mögliche Ansatzpunkte für Therapien ergeben sich dennoch. Denn die wirklich spannenden, überraschenden Erkenntnisse kann man nun mal nicht vorausplanen – sonst wären sie ja nicht überraschend.

Sie sind in Berlin aufgewachsen. Sind Sie in Boston reprogrammiert worden?

Ich kenne Berlin noch, aber es fühlt sich anders an. Nach 16 Jahren drüben, wo man immer ein Stück weit Einwanderer geblieben ist, kommt man jetzt hierher zurück, aber meine Kinder sprechen Englisch, und man fühlt sich wieder … anders. Auch wissenschaftlich hat man sich verändert. Reprogrammiert ist kein schlechter Begriff dafür. Das Denken hat sich geändert. In den USA forscht man anders als hier. Ich war lange genug dort, um genug davon mitzubringen, aber noch nicht so weit weg, dass ich das System hier nicht mehr verstehen würde. In den USA läuft nicht alles besser als in Deutschland, beide Länder machen verschiedene Sachen richtig und falsch.

Ein Beispiel?

Wenn man hier eine Idee vorstellt, dann ist die Antwort immer: Ok, hier ist das Problem mit deiner Idee. In den USA heißt es: Ok, lass uns daran arbeiten. Dort wird eben die Idee als solche und nicht als fertiger Plan begriffen. In Deutschland werden gute Ideen mitunter im Keim erstickt, weil sie natürlich noch nicht perfekt und ausgearbeitet waren. In den USA hingegen wird vielleicht zu viel Energie verschwendet, wenn die Kritik an einer Idee erst zu spät auf den Tisch kommt und man schon zu viel Arbeit hineingesteckt hat.

Sascha Karberg

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