Immer mehr Grippe-Infektionen in Deutschland: Beginnende Grippewelle hat schon 32 Todesopfer gefordert
Die Saison begann schon im Oktober, doch jetzt sind binnen einer Woche über 4000 Grippefälle gemeldet worden – darunter 15 Ausbrüche in Kindergärten.
Husten, Schnupfen, Heiserkeit: Wer bisher in diesem Winter mit solchen Symptomen das Bett hütete, fühlte sich vielleicht vergrippt, litt aber wahrscheinlich an einer harmlosen Erkältung. Vorrangig solche Erreger kursierten jedenfalls.
Aber seit dem Jahreswechsel finden Experten in Proben von Patienten zunehmend echte Grippeviren, die Zahl bestätigter Fälle steigt. Offiziell hat die Grippewelle in Deutschland nun begonnen, wie aus einem aktuellen Bericht des Robert Koch-Instituts (RKI) in Berlin hervorgeht.
„Die Welle wird sich noch etliche Wochen hinziehen“, sagte RKI-Expertin Silke Buda der Deutschen Presse-Agentur. Sich noch impfen zu lassen, sei möglich. Empfohlen wird die Impfung unter anderem Menschen ab 60, chronisch Kranken, Schwangeren sowie Ärzten oder Pflegekräften. „Man sollte sich jetzt aber sputen: Bis der Schutz aufgebaut ist, dauert es bis zu 14 Tage“, sagte Buda. Laut Paul-Ehrlich-Institut wurden mehr als 21 Millionen Impfdosen freigegeben.
Bisher „nachweislich 32 Todesfälle“ in Folge einer Grippeinfektion
Seit Saisonbeginn im Oktober 2019 sind bundesweit 13.350 durch Laboranalysen bestätigte Fälle gemeldet worden, davon 4439 in der vergangenen Woche. Bisher starben daran nachweislich 32 Menschen. Mehr als 3500 Patienten wurden wegen Grippe im Krankenhaus behandelt. Gemeldet wurden zudem zum Beispiel 15 Ausbrüche in Kindergärten.
Diese Zahlen zeigen nur einen Ausschnitt des tatsächlichen Geschehens: Nach RKI-Schätzungen werden im Verlauf von Grippewellen 5 bis 20 Prozent der Bevölkerung angesteckt. Mehrere Zehntausend Tote bei heftigen Wellen werden angenommen – meist sind Senioren betroffen, die das höchste Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben. Die Schwere der Welle schwankt von Jahr zu Jahr. Im vergangenen Winter wertete das RKI den Verlauf als moderat.
Das Wetter kann die Übertragung nach RKI-Einschätzung indirekt beeinflussen. Bei sehr kaltem Wetter hielten sich Menschen länger in geschlossenen Räumen auf und trockene Heizungsluft könne die Schleimhäute der Atemwege unter Umständen infektionsanfälliger machen.
Auch könnten die Tröpfchen, die von Kranken ausgehustet werden, bei Kälte länger in trockener Raumluft schweben und damit über etwas größere Distanzen auf die Atemschleimhäute anderer Menschen gelangen. „Für die Schwere einer Grippewelle und die Zahl der Erkrankungen sind aber andere Faktoren sicher wichtiger, zum Beispiel die Immunität in der Bevölkerung durch vorausgegangene Grippewellen“, betonte Buda.
Vorhersage, welcher Impfstoff zu produzieren ist, waren in drei von zehn Jahren „komplett falsch“
Die Oberflächenstrukturen von Influenzaviren ändern sich von Jahr zu Jahr, wie der Direktor der Klinik für Pneumologie der Medizinischen Hochschule Hannover, Tobias Welte, erläutert. Für das Immunsystem bedeutet das wechselnde Herausforderungen. Auch der Impfstoff muss jährlich an die veränderten Strukturen angepasst werden – Monate vor Saisonbeginn gemäß Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Ein Piks alle zehn Jahre wie bei manch anderer Impfung ist bei Influenza daher nicht möglich.
Wiederholt war jedoch der Schutz, den die Impfung bot, nicht optimal. „In den vergangenen zehn Jahren lagen die WHO-Empfehlungen in mindestens drei Jahren komplett falsch“, sagte Welte. Während die Herstellung von Millionen Impfdosen läuft, wandeln sich die Erreger weiter. So kann es kommen, dass der Impfstoff nicht mehr passt.
Bei älteren Menschen kommt hinzu, dass das Immunsystem oft nicht mehr so fit ist und die Impfung daher nur schwächeren Schutz bietet. Das RKI verwies allerdings immer wieder darauf, dass angesichts der Häufigkeit der Grippe immer noch zahlreiche Fälle mit der Impfung verhindert werden, sie gelte als wichtigste Schutzmaßnahme.
Ein Impfstoff gegen alle Influenza-Varianten bleibt vorerst „ein großer Traum“
Wissenschaftler verfolgen international schon länger die Idee, andere, effizientere Ansätze zu finden: zum Beispiel einen Universalimpfstoff gegen alle Grippeerreger. Die Vorstellung sei „ein großer Traum“, für dessen Erfüllung aber noch viel Arbeit nötig sei, sagte Welte.
Solche Impfstoffe, die etwa gegen weniger variable Kernstrukturen des Virus gerichtet sind, befänden sich in frühen Entwicklungsphasen, etwa im Tiermodell. Bis zur Zulassung für den Einsatz am Menschen vergingen ab dann mindestens noch zehn, eher 15 Jahre, so der Experte. Gegebenenfalls könne die Politik das Verfahren beschleunigen, solle eine geeignete Substanz gefunden sein.
Eine echte Grippe beginnt oft plötzlich. Zu typischen Symptomen zählen Fieber, Husten, Halsschmerzen, Schnupfen, Glieder- und Kopfschmerzen sowie ein allgemeines Krankheitsgefühl. Neben milden Verläufen sind auch Komplikationen möglich, etwa mit Lungenentzündung.
In Berlin Hunderte erkrankt
In Berlin wurden allein in der vergangenen Woche 238 Influenza-Fälle gezählt, so der am Donnerstag veröffentlichte Wochenbericht des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso). In der Woche zuvor waren es demnach 173 nachgewiesene Grippepatienten. Seit Saisonbeginn im vergangenen Herbst zählte das Lageso 715 Influenza-Fälle. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl sind bisher Spandau, Pankow und Mitte besonders betroffen.
Die gemeldeten Fälle zeigen nur einen Ausschnitt des tatsächlichen Geschehens: Nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts (RKI) werden im Verlauf von Grippewellen fünf bis 20 Prozent der Bevölkerung angesteckt - weit mehr als registriert werden. (dpa)