Ländermonitor frühkindliche Bildung: Ausbau der Krippen stagniert
Das Betreuungsverhältnis für die unter Dreijährigen hat sich laut Bertelsmann-Stiftung seit 2015 nicht verbessert. Die Berliner Senatorin nennt andere Zahlen.
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hat sich am Dienstag für länderspezifische Vereinbarungen zur Qualitätsverbesserung in den Kitas ausgesprochen. Diese sollten mit dem milliardenschweren Gute-Kita-Gesetz der großen Koalition erreicht werden, sagte Giffey nach einem Besuch der SPD-Fraktion im Brandenburger Landtag. Zuvor hatte die Bertelsmann-Stiftung in ihrem neuen Ländermonitor frühkindliche Bildungssysteme erneut eine eher kritische Bilanz gezogen. Der Krippenausbau stagniere, moniert Stiftungs-Vorstand Jörg Dräger. Zudem drohe das Ost-West-Gefälle bei der Kita-Qualität durch das Bundesprogramm noch verstärkt zu werden.
Gemessen am Personalschlüssel habe sich die Qualität von Kitas zwar im bundesweiten Mittel verbessert, heißt es im Ländermonitor. War im Krippenbereich 2012 noch eine pädagogische Fachkraft für 4,8 Kinder zuständig, sind es aktuell 4,3 Kinder (Stand März 2017). Bei den über Dreijährigen verbesserte sich der Betreuungsschlüssel im Bundesschnitt von einer Fachkraft für 9,8 Kinder auf 9,1. Doch gerade bei den Krippen stagniere die Ausbaudynamik seit zwei Jahren, kritisiert Dräger. Seit 2015 habe sich der Personalschlüssel in elf Bundesländern nicht weiter verbessert (zum vollständigen aktuellen Ländermonitor geht es hier).
Gute-Kita-Gesetz ohne bundeseinheitliche Standards
Die Ost-West-Unterschiede bestehen in allen Altersgruppen. In Ostdeutschland, wo traditionell deutlich mehr Kinder in der Krippe betreut werden, ist eine Vollzeit-Krippenfachkraft rechnerisch für sechs unter Dreijährige und eine Kitaerzieherin für 11,9 Kinder zuständig. Im Westen sind es bei den Kleinsten 3,6, bei den Größeren 8,4. Die Bertelsmann-Stiftung empfiehlt für die Krippen einen „kindgerechten“ Betreuungsschlüssel von eins zu drei und für Kitas von eins zu 7,5.
Genau da müsste das Gute-Kita-Gesetz ansetzen, auf das sich Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag geeinigt haben. Schließlich sollen die 5,5 Milliarden vom Bund bis 2022 nicht nur in die Qualität der frühkindlichen Erziehung fließen, sondern auch „gleichwertige Lebensverhältnisse“ herstellen. Das löse der Gesetzentwurf aber nicht ein, sagt Dräger. Das Geld werde über das Finanzausgleichsgesetz verteilt und nicht berücksichtigt werde die Zahl der betreuten Kinder. So würden Länder mit vielen Kindern in Krippen und Kitas benachteiligt. Zudem definiere das Gute-Kita-Gesetz keine bundeseinheitlichen Standards für die Ausstattung der Einrichtungen.
Zielen müssten solche Standards auch darauf, die Bedingungen für die Kitaleitung zu verbessern, fordert Dräger. Elf Prozent der Kitas geben an, keine Zeit für Leitungsaufgaben zu haben; 2014 waren es allerdings noch 17 Prozent. Stattdessen richteten viele Länder den Fokus auf die Beitragsfreiheit. Für Dräger ist das „ein falsches Signal“. Sinnvoll sei sie für Familien unterhalb der Armutsrisikogrenze, darüber hinaus gingen Befreiungen zulasten der Qualität.
Bertelsmann: zusätzlich 8,7 Milliarden Euro im Jahr nötig
Kritisch sieht der Bertelsmann-Vorstand auch die Höhe der in Aussicht gestellten Bundesmittel. Jährlich rund zwei Milliarden Euro reichten bei weitem nicht aus, „um einen qualitativ hochwertigen Ausbau der Kitas zu stemmen“. Dazu wären jährlich 8,7 Milliarden Euro nötig. Dass das Programm nur bis 2022 laufen solle, könnte zudem dazu führen, dass die Länder „die Mittel eher in kurzfristige Maßnahmen investieren“.
Entsprechende Nachbesserungen forderte auch Grünen-Chefin Annalena Baerbock. "Es braucht bundesweit einheitliche Qualitätsstandards und eine dauerhafte Beteiligung des Bundes an der Finanzierung der frühkindlichen Bildung." Marlis Tepe, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, forderte ein „Bundes-Kita-Qualitätsgesetz“. Bundesfamilienministerin Giffey betonte in Potsdam, der Bund wolle „nachhaltig und dauerhaft“ in die frühkindliche Bildung investieren.
Für Berlin hat die Bertelsmann-Stiftung einen zusätzlichen Bedarf von jährlich 526 Millionen Euro für 11.732 Fachkräfte errechnet. Kritisiert wird in Berlin insbesondere der „seit Jahren unverändert ungünstige“ Personalschlüssel in den Krippen. Zum Stichtag 1. März 2014 kämen ebenso wie 2017 5,9 ganztags betreute Kleinkinder auf eine Krippenfachkraft. Damit bilde Berlin mit Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern bundesweit die Schlussgruppe. In den Kitas ist die Entwicklung Bertelsmann zufolge etwas besser: 2014 betreute eine Fachkraft 8,8 Kinder, 2017 waren es 8,6.
Streit um Berliner Zahlen: Politische Ziele statt Empirie?
Gleichzeitig ist Berlin seit 1. August bundesweit das erste Land mit kompletter Gebührenfreiheit von der Krippe bis zum letzten Kitajahr. Sieben Millionen Euro im Jahr wird es den Senat kosten, das zu kompensieren. Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD) betont die „spürbare finanzielle Entlastung“ für viele Eltern. Die oppositionelle FDP sähe das Geld lieber für eine Qualitätsverbesserung in den Kitas eingesetzt. Doch Scheeres kündigte an, den Betreuungsschlüssel in den Krippen ab August auf 1:4 für unter Zweijährige und auf 1:5 für Zwei- bis Dreijährige zu senken. Bisher hätten die Werte jeweils um 0,25 höher gelegen.
Damit nennt Scheeres deutlich günstigere Werte als die Bertelsmann-Stiftung. Schon im vergangenen Jahr hatte sie Bertelsmann vorgeworfen, mit veralteten Zahlen zu arbeiten. Aus der Stiftung heißt es dazu, die Zahlen zum 1. März 2017 stammten vom Statistischen Bundesamt und beruhten auf den tatsächlichen Betreuungsschlüsseln, die jede Kita an ihr Statistisches Landesamt meldet. Bei den von Scheeres genannten Werten könnte es sich um noch nicht erreichte „politische Zielsetzungen“ handeln. Eine Scheeres-Sprecherin hielt dem am Dienstag entgegen, Berlin habe "seit 2016 drei Mal den Betreuungsschlüssel bei den unter Dreijährigen verbessert" - und das trotz der angespannten Fachkräftesituation.
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