Studie zu Jugendlichen in Corona-Zeiten: Aufs Homeschooling reduziert, mit Nöten nicht wahrgenommen
Als Hilfeschrei werten Jugendforscher die hohe Beteiligung an einer Umfrage zum Leben in der Coronakrise. Sie werden nicht gehört, klagen die Jugendlichen.
Jugendliche in Deutschland sehen sich in der Corona-Pandemie auf ihre Rolle als Schülerinnen und Schüler im Homeschooling reduziert, in der sie funktionieren sollen. Mit ihren Sorgen und Nöten fühlen sie sich nicht wahrgenommen – weder von ihren Eltern, noch von der Politik.
Das sind zentrale Erkenntnisse aus der bundesweiten JuCo-Studie zu „Erfahrungen und Perspektiven von jungen Menschen während der Corona-Maßnahmen“.
Auch für junge Menschen sei es „sehr herausfordernd, ausschließlich digital Kontakt zu halten und den Lebensalltag neu zu strukturieren“. Für viele waren über Wochen die Kontakte zu Gleichaltrigen außerhalb der Familie vollständig bis stark eingeschränkt.
„Damit müssen sie sich arrangieren“, heißt es in der Studie, die am Donnerstag veröffentlicht wurde (vollständige Studie finden Sie hier). Und das gelingt bei weitem nicht allen gut.
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Die JuCo-Studie beruht auf einer Mitte bis Ende April durchgeführten Online-Befragung von gut 5000 Menschen im Alter von 15 bis 30 Jahren. Die größte Gruppe, die dem Aufruf des Forschungsverbundes „Kindheit – Jugend – Familie in der Corona-Zeit“ folgte, waren die bis zu 21-Jährigen – mit einem starken Schwerpunkt bei jungen Frauen (67 Prozent).
Der Altersdurchschnitt lag bei 18,8 Jahren, rund 60 Prozent sind Schülerinnen und Schüler, 17 Prozent Studierende, sieben Prozent in der Ausbildung und 8,5 Prozent erwerbstätig. Am Forschungsverbund beteiligt sind sozialpädagogische Institute an den Universitäten von Hildesheim und Frankfurt am Main.
„Politiker denken wie Kapitalisten“
Ziel des Forschungsteams um die Frankfurter Professorin für Kindheits- und Familienforschung Sabine Andresen war es, „Jugendliche und junge Erwachsene danach zu fragen, wie es ihnen geht und welche Botschaften sie haben“.
Eines der vielen bewegenden Statements, die Befragte im Freitext formulieren konnten: „Wir sollen lernen und lernen und lernen. Warum wird darüber diskutiert, die Sommerferien zu kürzen? Politiker denken wie Kapitalisten."
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Doch was fühlen die Jugendlichen in der Corona-Krise? Rund 80 Prozent der Befragten leben zusammen mit ihrer Familie, zehn Prozent mit einem Partner oder Partnerin und sieben Prozent in einer WG. Die „Zufriedenheit mit der Stimmung zu Hause“ ist mit einem Mittelwert von 6,6 auf einer Skala von eins bis zehn relativ hoch.
Gefragt wurde auch, wie zufrieden die Jugendlichen mit ihrer verbrachten Zeit sind. Der Wert für die Zeit mit Corona fällt mit 5,06 klar gegen die – retrospektiv betrachtete - Zeit vor Corona mit 7,37 ab.
Ein Viertel hat das Gefühl gar nicht gehört zu werden
Die Forschenden weisen auf Zeichen von Vereinsamung und Vernachlässigung hin: 12,7 Prozent vermissen jemanden, der sich immer um sie kümmert, und fast ebenso viele erhalten keine oder kaum Hilfe, wenn sie ein Problem haben. Knapp ein Viertel der Befragten gibt an, dass die eigenen Sorgen „gar nicht“ gehört werden, bei weiteren 22 Prozent ist das „eher nicht“ der Fall.
Können die jugendlichen Peers helfen? Offenbar reicht der virtuelle Austausch während der strengen Kontaktbeschränkungen vielen nicht: Mit einem Mittelwert von 4,95 liegt die Zufriedenheit mit den Kontakten zu Freunden und Freundinnen deutlich hinter denen im häuslichen Umfeld.
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An den digitalen Endgeräten soll die Kommunikation indes nicht scheitern. 99,2 Prozent geben an, ein eigenes Smartphone, einen Laptop oder einen anderen Computer zu besitzen. „Aber wenn alle Familienmitglieder zu Hause sind, ist das WLAN überladen und mein Computer hat keine gute Verbindung mehr“, heißt es in einem Statement.
Mit Skype oder anderen Diensten „gemeinsam zu lernen, ist nicht einfach, da man 100 Mal nachfragen muss oder 'ne Stunde braucht, bis man endlich ohne technische Schwierigkeiten 10 Minuten telefonieren kann“.
„Man vereinsamt regelrecht, obwohl die Familie da ist“
Deutlich wird außerdem die Sehnsucht der Jugendlichen nach ihrem normalen Alltag. Einer schreibt: „Von jetzt auf gleich nicht mehr raus zu dürfen und seine Freunde nicht mehr sehen können, ist eine Zumutung! Man vereinsamt regelrecht, obwohl die Familie da ist.“
Eine andere Stimme: „Was viele Jugendliche abfuckt, ist, dass man überhaupt nicht gehört wird, die Tagesschau spricht über Schüler, jedoch werden nur die Meinungen von Erwachsenen gezeigt, aber nicht von denjenigen, die es überhaupt betrifft (die Schüler).
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verstehen die hohe Teilnehmerzahl und die vielen Selbstauskünfte als ein Signal an Schulen, Organisationen der Kinder- und Jugendhilfe sowie an die Politik, „dass sie gehört werden, sich beteiligen und mitentscheiden wollen“. Dazu will das „JuCo“-Team selber beitragen – und verspricht, „mit verschiedenen Gruppen von Jugendlichen unsere Ergebnisse auch zu diskutieren“.