Gastbeitrag zur Akademisierungs-Debatte: Auch die duale Ausbildung muss Aufstieg ermöglichen
Akademisierung und betriebliche Ausbildung müssen in Einklang gebracht werden, fordert unser Gastautor. Dabei könnten die Fachhochschulen eine wichtige Rolle spielen.
Ein immer größerer Anteil der jungen Menschen in Deutschland nimmt ein Studium auf. Die Zahl der Schulabgänger hingegen, die eine berufliche Ausbildung im dualen System beginnt, geht zurück. So weist der Bildungsbericht für das Jahr 2017 rund 515 000 Studienanfänger aus, während 490 000 Menschen eine duale berufliche Ausbildung begonnen haben. Allein in den letzten zehn Jahren hat die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen um 20 Prozent abgenommen. Das deutsche Bildungssystem befindet sich weiterhin in einem massiven Umbauprozess.
Die Interpretationen dieser Entwicklung gehen jedoch weit auseinander. Während die eine Seite einen Niedergang der beruflichen Ausbildung mit verheerenden Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Fachkräften für den Industriestandort Deutschland erkennt, ist die andere Seite davon überzeugt, dass die zunehmende Akademisierung den durch den Strukturwandel gestiegenen Anforderungen in Wirtschaft und Gesellschaft entspricht.
Duale Ausbildung verhinderte bislang hohe Jugendarbeitslosigkeit
Beide Lager in dieser kontrovers geführten Debatte haben gute Argumente. Natürlich wäre es fahrlässig, die duale berufliche Ausbildung, ein Markenzeichen des deutschen Bildungssystems, worum wir weltweit beneidet werden, schleichend aufzugeben. Zu Recht wird angeführt, dass dieser Bildungsweg dazu beiträgt, dass Deutschland von hoher Jugendarbeitslosigkeit verschont bleibt. Es ist aber auch zutreffend, dass die vielen Jungakademiker vom Arbeitsmarkt gut aufgenommen werden und hohe Einkommen erzielen – wenn auch nicht für alle Fächer gleichermaßen.
Die jungen Menschen, und besonders deren Eltern, stimmen seit vielen Jahren mit den Füßen ab. Der Trend zum Studium ist unter den gegebenen Voraussetzungen nicht reversibel. Will man ihn umkehren oder zumindest stoppen, führt kein Weg daran vorbei, die betriebliche Ausbildung attraktiver zu gestalten. Die von der Bundesregierung vorgeschlagene Stärkung der Berufsschulen ist ein guter Ansatz. „Azubis“ dürfen nicht in eine Sackgasse geraten. Es muss deutlicher werden, dass man sich durch eine Ausbildung die Chance auf ein (möglichst berufsbegleitendes) Studium nicht verbaut. Vor allem aber müssten private wie staatliche Arbeitgeber Menschen ohne Studienabschluss Karrieremöglichkeiten aufzeigen, auch durch die anspruchsvollen Aufstiegsfortbildungen. Die Wirklichkeit in den Betrieben und Behörden sieht allzu oft anders aus – schon mittlere Managementpositionen sind ohne Studienabschluss kaum mehr erreichbar.
Die berufliche Ausbildung würde auch davon profitieren, den vielen Studierenden, die mit dem Studium an sich unzufrieden sind, strukturierte Angebote zum Wechsel in die Ausbildung zu machen. Die Studienabbruchquote im Bachelorstudium beträgt 28 Prozent. Der Abbruch erfolgt im Durchschnitt nach ca. vier Semestern. Diese Menschen sollten früher für die berufliche Ausbildung gewonnen werden. Ein Studium zugunsten einer Ausbildung zu beenden, darf nicht als Scheitern stigmatisiert werden. Das Gegenteil ist der Fall.
"Lehre" oder Studium? Beides - im dualen Studium
Bei genauer Betrachtung erkennt man, dass die Diskussion rund um den „Akademisierungswahn“ verkürzt geführt wird. Es wird so getan, als gäbe es entweder die „Lehre“ oder das Studium, wobei mit Studium fast immer das universitäre, weitgehend theoriegeleitete Studium gemeint ist, was schon allein daran liegt, dass die meisten bildungspolitischen Kommentatoren kein anderes Studium kennen. Das Gebot der Stunde lautet, die Erfordernisse zunehmender Akademisierung und die positiven Erfahrungen aus der betrieblichen Ausbildung in Einklang zu bringen. Wenn immer mehr junge Menschen ein Studium anstreben, warum sollten wir dann das Erfolgsmerkmal der Integration des Lernorts Betrieb verspielen, statt es in das Studium zu integrieren?
Wir haben eine solche Studienform in Deutschland schon längst etabliert. Das Duale Studium vereint Wissenschaft und Praxis, die Studierenden wechseln zwischen Theorie- und Praxisphasen an den Hochschulen und den Ausbildungsbetrieben und können ihr Wissen unmittelbar praktisch erproben. Das Duale Studium hat 2016 mit fünf Prozent aller Studienanfänger einen neuen Höchststand erreicht, ein weiterer Ausbau sollte angestrebt werden.
Für Fachhochschulen ist Über-Akademisierung nicht festzustellen
Unser ausdifferenziertes Hochschulsystem verfügt neben den Universitäten auch über Fachhochschulen, an denen im Jahr 2016 bereits 41,8 Prozent aller Studienanfänger ihr Studium aufnahmen. Dieser Hochschultyp zeichnet sich durch das Angebot eines anwendungs- und berufsfeldorientierten Studiums aus, insbesondere in BWL, Ingenieurwissenschaften, Informatik und sozialer Arbeit/Gesundheit. Das Studium an einer FH ist aber nicht nur auf den Beruf hin ausgerichtet. Es bezieht auch Persönlichkeitsbildung, Befähigung zu wissenschaftsgeleitetem kritischem Denken und die Möglichkeit zu internationalen Studienaufenthalten mit ein.
Haben Sie Lust, jemanden kennenzulernen, der Fragen ganz anders beantwortet als Sie? Dann machen Sie mit bei „Deutschland spricht”. Mehr Infos zu der Aktion auch hier:
Die Fachhochschulen sind die wesentlichen Trägerinnen des Dualen Studiums. Sie kooperieren als Innovationspartner mit der Wirtschaft sowie mit den öffentlichen und gemeinnützigen Sektoren. Ihre Lehrenden verfügen neben der wissenschaftlichen Qualifikation auch über praktische Berufserfahrung. Eine die Bedürfnisse der Praxis ignorierende Über-Akademisierung ist für die FHs nicht festzustellen.
Zehn Prozent aller Studierenden sollten ins Duale Studium
Dennoch sind die Universitäten noch immer die Regelhochschulen. Sie benötigen gerade in den Massenfächern eine Entlastung, um sich wieder auf Theorie und Grundlagenforschung konzentrieren zu können. Wie jüngst auch von Oliver Günther und Hans-Henning von Grünberg im „Handelsblatt“ gefordert, müssen angesichts einer Studierendenquote von ca. 60 Prozent mehr Studienplätze als bisher berufsvorbereitend ausgerichtet sein.
Daraus leiten sich drei Vorschläge ab: Wie schon von verschiedenen Seiten gefordert, sollten zwei Drittel der Studierenden an Fachhochschulen und nur noch ein Drittel an Universitäten studieren. Ferner sollten Arbeitgeber, Hochschulen und Wissenschaftsministerien darauf hinwirken, dass mindestens zehn Prozent aller Studierenden ein Duales Studium aufnehmen. Die duale berufliche Ausbildung sollte gestärkt werden.
Der Autor ist Präsident der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und Sprecher der Berliner Fachhochschulen in der Landesrektorenkonferenz. Er ist ferner Vorsitzender des Fachhochschulverbundes UAS7. Mit seinem Beitrag reagiert Zaby auf Texte von Jan-Martin Wiarda und Julian Nida-Rümelin.
Andreas Zaby