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Berliner Luft ist im Frühling voller Birkenpollen, die Allergikern schwer zusetzen. Der Polleninformationsdienst warnt vor besonders hohen Konzentrationen dieser und anderer Blütenpollen in der Atemluft. Hilfreich ist das nicht immer.
© AFP/Philippe Huguen

Heuschnupfen: Angriff der Pollen auf die Schleimhäute

Pollenprognosen sollen Heuschnupfen-Betroffenen helfen, Symptome in den Griff zu bekommen. Doch es gibt kaum genug Messstationen in Deutschland. Wie gut sind also die Vorhersagen?

Während das Hochdruckgebiet „Ludwiga“ am Wochenende den Frühling brachte, hatte die Pollenprognose „Florian“ schlechte Nachrichten für Heuschnupfen-Betroffene (seit Anfang des Jahres tragen die wöchentlichen Vorhersagen des Deutschen Polleninformationsdienstes PID Namen). „Birke schon in den Startlöchern“, kündigt „Florian“ an. Bald fliegen also wieder Billionen Birkenpollen durch die Luft. Sie sind der häufigste Auslöser für eine Allergie.

Die Prognosen greifen nicht nur Birke und die sechs anderen Pollenarten auf, die im Pollenflug-Gefahrenindex des Deutschen Wetterdienstes genannt werden, sondern noch weitere Arten, auf die Heuschnupfengeplagte reagieren. Damit wollen sie Allergiker besser unterstützen. Denn Vorhersagen helfen den Betroffenen, Symptome gezielt zu bekämpfen, indem sie Medikamente richtig dosieren oder einfach das Fenster im Schlafzimmer geschlossen lassen. „Die sorgfältige Messung der Pollenbelastung und verlässliche Vorhersagen erleichtern den Betroffenen den Umgang mit der Erkrankung“, sagt der Allergologe Torsten Zuberbier von der Berliner Uniklinik Charité.

Pollenvorhersagen kombinieren aktuelle Messwerte von Pollen in der Luft mit den Blühzeiten der Pflanzen und dem Wetter. Meteorologen leiten daraus die Belastung für die kommenden Tage ab. Zu Beginn der Pollenflugsaison im Februar hatte die Europäische Stiftung für Allergieforschung vor ungenauen Vorhersagen gewarnt.

Der Körper kennzeichnet Pollen als harmlos

Dem PID stehen aktuell in ganz Deutschland 37 Pollenfallen zur Verfügung, die sie auswerten. Im Norden sind sie gut verteilt. Südlicher sieht es eher mau aus. Einige Bundesländer wie Rheinland-Pfalz oder Sachsen-Anhalt müssen sogar ohne Fallen auskommen. Denn für den Dienst, der eigentlich eine Stiftung ist, gibt es keine finanzielle Unterstützung von Bund oder Ländern. Laufende Kosten werden über den Verkauf der Messdaten und Spenden gedeckt. Indem sie Namen für ihre eigene Prognosen vergeben, hoffen sie nicht nur auf ein wenig mehr Einnahmen, sondern auch auf mehr Bekanntheit.

Bei einer Allergie reagiert das Immunsystem auf Stoffe, die vom Körper als feindlich gespeichert wurden, im Grunde aber harmlos sind. Verursacher des Heuschnupfens ist der Blütenstaub, also die Pollen bestimmter Pflanzen. „Der Pollen enthält wasserlösliche Proteine, die bei Kontakt mit den Schleimhäuten freigesetzt werden“, sagt Zuberbier. „Im Falle einer Allergie reagiert das Immunsystem auf die eigentlich harmlosen Proteine mit der Bildung von Antikörpern, dem Immunglobulin E.“ Auslöser vieler Symptome ist der Entzündungsbotenstoff Histamin. Es weitet die Blutgefäße, die Bindehaut rötet sich, Nasenschleimhäute schwellen an. Wie stark die Betroffenen unter den Symptomen leiden, hängt von der Pollenkonzentration in der Luft ab.

Mindestens einmal in der Woche versuchen die ehrenamtlichen Mitarbeiter des PID die Fallen auszuzählen, um möglichst genaue Daten zu bekommen. Die Pollenfalle saugt die Luft konstant an und transportiert die enthaltenen Teilchen auf einen Klebestreifen, der sich jeden Tag weiterbewegt. Spezielle Filter verhindern, dass zu große und zu kleine Objekte aus der Luft mit angesaugt werden.

Immer mehr Ältere bekommen Heuschnupfen

Die Auswertung mit dem Mikroskop ist pure Handarbeit. „Die Analyse ist sehr zeitaufwendig und kann schon einmal bis zu drei Stunden dauern, um die Pollendaten eines einzigen Tages zu erheben“, sagt Matthias Werchan vom Polleninformationsdienst. Denn die Pollenstreifen werden unter das Mikroskop gelegt und dort wird jedes Pollenkorn einzeln analysiert und ausgezählt. „Wir hoffen, dass dieses Jahr noch zwei Fallen hinzukommen“, sagt Werchan. Die Aufteilung der Messstationen über die Bundesländer findet der Landschaftsökologe nicht optimal. „Eigentlich müsste man nach biogeographischen Regionen aufteilen“, sagt er. Doch im Moment ist der PID froh, wenn er über die Runden kommt.

Rund zwölf Millionen Menschen leiden laut Robert-Koch-Institut an Heuschnupfen. „Bemerkbar macht sich der Heuschnupfen typischerweise schon im Kindes und Jugendalter“, sagt Zuberbier. „Inzwischen bekommen auch immer mehr Menschen jenseits der 50 erstmalig eine Pollenallergie.“

Woran das liegen könnte, sei wissenschaftlich noch nicht abschließend erforscht. Auffällig sei aber, dass ältere Menschen, die plötzlich Heuschnupfen bekämen, vorher öfter schon unter anderen Allergien litten, etwa gegen Hausstaubmilben.

Neben den bald fliegenden Birkenpollen wirken auch die Flühblüher Hasel, Erle und Esche sowie die im Sommer fliegenden Gräserpollen stark allergen. Im Spätsommer kommen Beifuß und Ambrosia hinzu. Die Reaktionen der Betroffenen sind sehr individuell. Bei manchen genügen bereits wenige Pollenkörner, um eine heftige Reaktion auszulösen. „Sechs Roggen-Pollenkörner pro Quadratmeter Luft reichen beispielsweise, um bei sensibilisierten Menschen eine allergische Reaktion zu provozieren“, sagt Zuberbier. „Dabei muss man sich vor Augen halten, dass eine einzige Roggenähre mehrere Millionen Pollenkörner abgibt.“

Noch vor einiger Zeit hätten Ärzte den Heuschnupfen als saisonalen allergischen Schnupfen bezeichnet, sagt Zuberbier. „Davon ist man inzwischen abgekommen, da viele Menschen auf die Pollen mehrerer Blütenpflanzen reagieren und nicht nur im Frühling oder Sommer sondern fast ganzjährig unter Beschwerden leiden.“

Pollenflug dauert länger

Ähnliches berichtet auch Thomas Dümmel von der Freien Universität Berlin. Dort betreibt er im Institut für Meteorologie eine Pollenfalle und erstellt gemeinsam mit dem Wetterdienst Meteogroup eine eigene Prognose für Berlin. „Ist es ein milder Winter, finden wir oft schon im Dezember wieder erste Pollen, kurz nachdem die Saison gerade vorbei war“, sagt Dümmel. „Und seit einigen Jahren ist die Birkenblüte um zehn bis 14 Tage verfrüht.“ Zwischen den Temperaturanstiegen und der Blühzeit bestehe ein sehr deutlicher Zusammenhang. Und der Pollenflug beginne früher, ende aber kaum früher. Somit leiden Allergiker über einen längeren Zeitraum.

Um die Effekte des Klimawandels langfristig dokumentieren zu können, hat Bayern ein neues Projekt gestartet. Das Bundesland bekommt weltweit erstmalig ein umfassend messendes, elektronisches Polleninformationsnetzwerk, ePIN genannt. Mit acht automatisch betriebenen Messstationen sollen die Pollenkonzentrationen im ganzen Bundesland ermittelt werden und direkt bekannt gegeben werden. Bisher hat der PID zwei Fallen betrieben. In diesem Jahr soll das Netz gebaut werden, ab 2018 wird gemessen und getestet. Ab 2019 sollen die Daten dann allen zur Verfügung stehen. Der Polleninformationsdienst plant das Projekt mit manuellen Vergleichsmessungen zu begleiten, sagt Werchan. So ließe sich testen, wie exakt die automatischen Geräte auszählen.

Deutschlandweit gibt es keine Pläne, die Pollenzählungen zu automatisieren. Bis dahin zählen die Ehrenamtlichen weiter ihre Fallen aus – jedes Pollenkorn einzeln.

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