Schulabschluss in Zeiten von Corona: Abi ohne Australien-Trip
Nach der Schule kommt für viele Abiturienten ein Reisejahr - die Corona-Krise aber macht Auslandsaufenthalte schwierig. Folgt nun ein erhöhter Ansturm auf die Unis?
Die Zeit nach dem Abi klingt für viele nach Scooter fahren in Thailand oder Babysitten in Kanada. Abiturientinnen und Abiturienten mit finanziellem Rückhalt steht bisweilen eine ganze Reihe von Möglichkeiten offen. Neben Studium oder Ausbildung entscheiden sich viele zunächst für das sogenannte Gap Year. Ein Jahr, das zur Orientierung und Selbstfindung gedacht ist.
Yaara hat so ein Jahr gerade hinter sich. Nach dem Abitur an einem Berliner Gymnasium hatte sie Nachhilfe gegeben, Kinder betreut und vor allem Klavier und Geige gespielt. „Das war gut und ich habe das Jahr gebraucht, um mich zu orientieren, aber jetzt möchte ich doch wieder mehr Struktur in meinem Alltag haben und mit etwas richtig anfangen“, sagt sie. Mit der Organisation „Musiker ohne Grenzen“ wollte Yaara nach Guayaquil in Ecuador. Dort hätte sie Spanisch gelernt und Kindern Musikunterricht gegeben.
Doch das Coronavirus machte ihrem Plan einen Strich durch die Rechnung. „Ich habe erst gar nicht damit gerechnet, dass mein Auslandsjahr ausfallen könnte, aber in den letzten Wochen wurde ja dann doch schnell klar, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass die Reise zum geplanten Zeitpunkt stattfinden kann", sagt die 18-Jährige.
USA, Kanada und Australien sind die beliebtesten Länder
Wie Yaara gestalten viele Absolventinnen und Absolventen die Zeit zwischen Abitur und Ausbildung oder Studium mit einem Auslandsaufenthalt. Die Organisation AIFS bietet eine Vielzahl von Programmen an. Ob Praktikum, Work and Travel oder Au Pair – mit der Organisation lässt sich fast jede Auslandserfahrung buchen. Jährlich gehen etwa 5.000 junge Menschen mit AIFS aus dem deutschsprachigen Raum ins Ausland, etwa 70 Prozent von ihnen sind Abiturientinnen und Abiturienten. „Die USA, Kanada und Australien gehören immer noch zu den beliebtesten Ländern“, sagt Sybille Schmitz von AIFS.
Das Unternehmen wirtschaftet gewinnorientiert, erklärt aber, mit Überschüssen ausschließlich wohltätige Zwecke zu unterstützen. „Normalerweise sind im Mai bereits 70 bis 80 Prozent der Buchungen fürs Jahr eingegangen.“ Zwar ging der Trend auch davor schon zu späteren Buchungen und kurzfristigen Planungen, sagt Schmitz, die selbst ein Jahr als Au Pair in den USA verbracht hat. Doch in diesem Jahr sei die Nachfrage deutlich geringer. „Unsere große Herausforderung sind die Reisebeschränkungen. Im Moment haben wir 50 Prozent weniger Anmeldungen als in den vergangenen Jahren. Viele halten sich noch zurück und warten ab."
Wann man wieder reisen kann, ist unklar
AIFS hat seit Ausbruch der Pandemie etwa 1400 Teilnehmer zurückgeholt. Der Großteil habe sich allerdings dazu entschieden, im Ausland zu bleiben, sagt Schmitz. Bislang seien die geplanten Ausreisen hauptsächlich verschoben und die Aufenthalte verkürzt worden. Doch wann man wieder problemlos ins EU-Ausland reisen könne, sei aktuell völlig unklar. Obwohl die Bewerber wegen der Reisewarnung des Auswärtigen Amtes den Anspruch auf die vollständige Rückerstattung der Kosten haben, hätten sich erst sehr wenige entschieden, die Reise komplett zu stornieren, berichtet Schmitz.
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Bei dem Freiwilligendienst „weltwärts“ seien Ausreisen von Nord-Süd-Freiwilligen bis mindestens Oktober 2020 nicht möglich, sagt Adelheid Schultze von Engagement Global. Im vergangenen Jahr sind 4019 Freiwillige über „weltwärts“ ins Ausland gegangen, um in sozialen Projekten mitzuwirken. „Ob Ein- oder Ausreisen danach möglich sein werden, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorhergesagt werden.“
Auch wenn der Aufenthalt in Ecuador von der Organisation noch nicht final abgesagt wurde, rechnet Yaara nicht mehr mit einem Abflug am 19. Juli und hat deshalb andere Pläne geschmiedet: „Ich habe mich jetzt sehr kurzfristig dazu entschlossen, doch anzufangen zu studieren oder es zumindest zu versuchen.“ Nun will sie ein Musikstudium beginnen.
Die Unis bleiben gelassen
Könnten die ausgefallenen Auslandsaufenthalte nun zur Folge haben, dass sich viel mehr Schulabsolventen an den Unis bewerben, also eine viel größere Nachfrage auf Studienplätze entsteht? Laut Statistischem Bundesamt begannen 2018 43,3 Prozent aller Studienberechtigten im Jahr ihres Abschlusses ein Studium. Die Berliner Hochschulen TU, FU und HU machen sich darüber erst mal keine Sorgen. „Wir gehen nicht von größeren Bewerbungszahlen aus. Es gibt Argumente für mehr, aber auch für weniger Bewerbungen“, erklärt die TU Berlin.
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Momentan sei die Situation noch sehr unübersichtlich, viele Faktoren spielten eine Rolle, die sich immer wieder ändern könnten. An der Uni Potsdam etwa sorgt man sich weniger um die erhöhte Nachfrage, als vielmehr um die wegbleibenden internationalen Studierenden.
Yaara bleibt nur noch wenig Zeit, um sich auf die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule vorzubereiten, für die sie im Normalfall wohl ein halbes Jahr geübt hätte. „Jetzt sind es nur noch zwei Monate, die ich dafür Zeit habe und zwar deshalb, weil ich vor sechs Wochen nicht ansatzweise damit gerechnet habe, dass ich mein nächstes Jahr nicht in Ecuador verbringen werde“, sagt sie.
Die Organisation „Musiker ohne Grenzen“ versucht derweil eine Möglichkeit zu finden, das Projekt online weiterzuführen und den Kindern in Guayaquil virtuellen Musikunterricht zu ermöglichen. „Ich wurde auch gefragt, ob ich daran Interesse habe, aber da ich meine Pläne jetzt grundlegend ändern musste, habe ich dafür keine Zeit mehr“, sagt Yaara.