Flüchtlinge in der Schule: "3000 zusätzliche Lehrer werden nicht reichen"
Brunhild Kurth, Präsidentin der Kultusministerkonferenz und Sachsens Kultusministerin (CDU), erklärt, wie die Länder den Zustrom bewältigen wollen.
Frau Kurth, allein in diesem Jahr werden voraussichtlich 400 000 Flüchtlingskinder nach Deutschland kommen. Über die Hälfte muss sofort einen Platz in der Schule bekommen. Warum ist von einem großen Masterplan der Kultusministerkonferenz noch nichts bekannt?
Gegenfrage: Kann man für so eine Ausnahmesituation überhaupt einen Masterplan haben? Natürlich beschäftigt uns das Thema Asyl enorm. Und natürlich werden wir darüber auch auf unserer Sitzung Anfang Oktober sprechen. Aber uns geht es um einen Austausch und nicht darum, den Ländern vorzuschreiben, was sie jetzt machen sollen. Das ist nicht Aufgabe der Kultusministerkonferenz.
Der Koalitionsausschuss der Bundesregierung hat vor wenigen Tagen Maßnahmen zur Bewältigung der Lage beschlossen. Bildung kam nicht vor. Hat die KMK versäumt, sich Gehör zu verschaffen?
Natürlich fällt auf, dass Bildung in dem Drei-Milliarden-Paket nicht vorkommt. Aber wir kommen nun in die Abstimmungsphase zur Aufteilung der Mittel in den Ländern, und da muss Schule viel abkriegen. Wie viel jedes Land aus dem Drei-Milliarden-Paket für die Schule ausgibt, hängt natürlich von den jeweiligen Notwendigkeiten ab.
Was verlangt die KMK weiter vom Bund?
Wir wollen zuerst, dass die Schule jetzt nicht außen vorbleibt. Dazu müssen wir mit dem Bund weitersprechen.
Der Zustrom von hunderttausenden Flüchtlingskindern ist eine nationale Herausforderung. Der DGB fordert darum, dass das Kooperationsverbot im Grundgesetz gekippt wird, damit der Bund den Ländern mit der Schule helfen kann. Schließen Sie sich dem an?
Wissen Sie, das Kooperationsverbot steht immer schnell auf der Tagesordnung. Aber es steht doch jetzt gar nicht an. Das wäre doch ein absoluter Nebenkriegsschauplatz, der nur ablenkt von den wirklichen Herausforderungen. Für neue Lehrerstellen sind die Länder zuständig. Mit neuen Lehrerstellen allein ist es aber nicht getan. Uns als KMK geht es um mehr, um Mittel für mehr Schulsozialarbeiter und Psychologen, die den traumatisierten Asylkindern helfen können, und um mehr Kapazitäten für die Lehrerausbildung an den Universitäten.
Nach Schätzungen gibt es einen kurzfristigen Bedarf von 10 000 bis 20 000 Lehrkräften, besonders mit einer Qualifikation in “Deutsch als Zweitsprache“. Lässt sich der Bedarf auch nur annähernd decken?
Im neuen Schuljahr sind bereits über 3000 zusätzliche Lehrkräfte eingestellt worden, aber das sind nur vorläufige Erhebungen. Das wird nicht ausreichen. Die Länder stehen vor einer Herausforderung, denn der Markt ist, gerade im Osten, weitgehend leer. In Sachsen haben wir immerhin noch 400 Gymnasiallehrer mit gesellschaftswissenschaftlicher Ausrichtung, die nach Fortbildungen in die Grundschule gehen können.
Hat die KMK einen Überblick, wie viele Lehrer in den Ländern im Überhang sind?
Erst in diesem Sommer hat die KMK eine Lehrerbedarfsprognose veröffentlicht. Danach gibt es in den westlichen Bundesländern ein jährliches Überangebot von rund 7.400 Lehrern, während es in den östlichen Bundesländern eine jährliche Unterdeckung von rund 1.600 Lehrern gibt. Aber ich habe Zweifel, ob diese Prognose angesichts der vielen Flüchtlingskinder heute noch trägt.
In Ihrem Land Sachsen schlägt den Flüchtlingen Feindseligkeit auch aus der Mitte der Gesellschaft entgegen. Angesichts von Pegida hat Gregor Gysi der sächsischen CDU schon im Januar Versäumnisse in der Demokratieerziehung vorgeworfen. Sie sahen damals keinen Anlass, etwas zu verändern. Bleiben Sie dabei?
Ich habe damals gesagt, ich bin dagegen, nun schnell die Stundentafel zu ändern und mehr Politik zu unterrichten. Aber wir sind durchaus im Gespräch mit den Lehrerinnen und Lehrern, dass wir die Demokratie in den Schulen noch stärker leben müssen als bislang. Es geht um ein Klima der Aufgeschlossenheit und der Interkulturalität, es geht darum, wie das Kollegium mit der Schülervertretung zusammenarbeitet. In jedem Fach kann Demokratieerziehung stattfinden. Aber Schule allein macht noch keine bessere Gesellschaft. Auch die Eltern und alle Partner in der Gesellschaft müssen etwas beitragen. Die Schule ist ein Spiegelbild der Gesellschaft, aber nicht ihr Reparaturbetrieb.
Die Fragen stellte Anja Kühne.