Willkommensklassen für Flüchtlinge in Berlin: Senat sucht Sprachlehrer - und wird fündig
Angela Merkel pries am Donnerstag Berlins Willkommensklassen als "Zukunftsmodell". Lehrer für diese Klassen wurden am Mittwoch in Charlottenburg gecastet - wir waren dabei.
Bloß keine Zeit verlieren: Wer sich an diesem Mittwoch in Charlottenburg beim Casting für Lehrer in Willkommensklassen einfindet, bekommt erstmal einen eilig zugeschnittenen Zettel in die Hand gedrückt: Drei Fragen stehen darauf, zu denen sich die Bewerber schon mal Antworten überlegen können. Die sollen sie dann schnell abspulen, wenn sie dran sind. Und der Nächste bitte.
Auch Thomas Wichmann, 59, läuft mit so einem Zettel herum. "Welche Qualifikationen bringen Sie mit? Welche Motivation? Können Sie Erfahrungen mit Kriegs- und Krisenkindern einbringen?", lauten die drei Fragen, auf die er sich vorbereiten soll. Wichmann hat einen Magister in Japanisch, Deutsch als Fremdsprache und Religionswissenschaften. Zurzeit unterrichtet er Syrer mit Studentenstatus an einer privaten Sprachschule. Es ist nicht seine erste Bewerbung bei der Bildungsverwaltung, die ja immer mal wieder Quereinsteiger für den normalen Schuldienst sucht.
Aus 480 Lerngruppen können schnell 600 werden
Wer, so wie Wichmann, bei seinen bisherigen Bewerbungen leer ausging, hat zurzeit Chancen, bei den Willkommensklassen genommen zu werden: Wegen der hohen Flüchtlingszahlen muss der Senat Vorsorge treffen. Sobald all jene Kinder, die in den vergangenen Tagen neu ankamen, registriert und auf Wohnheime verteilt sind, müssen ihnen Schulen angeboten werden: Aus den bisher rund 480 Lerngruppen mit 5000 Schülern können schnell 600 Gruppen mit 6000 Kindern werden. Oder noch mehr.
Auch Editha Lemke gehört zu den Interessenten, die sich nicht das erste Mal beworben haben. Jetzt hat sie sich erneut gemeldet und ist unter den 19 Bewerbern, die am Mittwoch der Einladung der Bildungsverwaltung gefolgt sind. Die 34-Jährige hat Linguistik mit einer Spezialisierung auf Deutsch als Fremdsprache studiert, sechs Jahre lang in Brasilien gelebt und in Bolivien Waisenkinder alphabetisiert. Auch sie arbeitet jetzt an einer privaten Sprachenschule und unterrichtete bis vor kurzem Akademiker aus Syrien, die den Kursus vom Jobcenter finanziert bekommen.
„Sprachenschulen zahlen schlecht“
„Sprachenschulen zahlen schlecht“, sagt Marlene Bergermeier, 36. Sie hat an der Humboldt-Universität ebenfalls Linguistik und Deutsch als Fremdsprache studiert und wäre ebenfalls froh, wenn sie an eine allgemeinbildende Schule wechseln könnte. Mal sehen, ob es klappt.
Es sei eine „nackte Katastrophe“, wie etliche private Sprachenschulen ihre Lehrer honorieren, bestätigt die zuständige Erziehungsgewerkschaft GEW auf Anfrage. Daher sei es nicht verwunderlich, dass von dort viele Bewerber kämen, denn die Bildungsverwaltung bietet je nach Voraussetzungen rund 3000 Euro brutto im Monat, während die Lehrer an den Sprachschulen von Stundenlöhnen um die 15 Euro berichten – ohne Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Allerdings moniert die GEW, dass die Schulbehörde nur Fristverträge vergibt.
Auch freie Schulen wollen Flüchtlinge aufnehmen
Die jetzt stattfindenden Castings sind nicht die einzigen Hinweise auf die absehbare Aufstockung der Willkommensklassen. Auch freie Schulen werden mit ins Boot geholt: Drei Waldorfschulen und zwei Klax-Schulen wurden jetzt auf ihre Bitten hin Lerngruppen mit Flüchtlingen zugeteilt. Evangelische und katholische Schulen wie das Canisius-Kolleg warten noch darauf. Auch sie hatten schon vor längerer Zeit ihre Bereitschaft betont, Willkommensklassen einzurichten.