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Die Impfkampagne hat deutlich an Fahrt gewonnen.
© Matthias Bein/dpa

„Großer Schritt nach vorn“: 1.352.453 Corona-Impfspritzen an einem Tag – neuer Rekord

Gesundheitsminister Spahn ist zufrieden. Nun wird es aber bis Ende Mai weniger Erstimpfungen geben. Und es gibt auch Warnungen vor einer vierten Welle.

Monatelang wurde die schleppende Impfkampagne in Deutschland heftig kritisiert – jetzt ist tatsächlich der Turbo gezündet, im europaweiten Vergleich liegt die Bundesrepublik inzwischen sogar mit vorn. Am Mittwoch wurden 1.352.453 Impfspritzen gesetzt, wie das Robert Koch-Institut (RKI) am Freitag mitteilte – ein neuer Tagesrekord. An Christi Himmelfahrt kamen weitere 408.260 dazu.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) teilte auf Twitter mit, damit seien 35,9 Prozent (29,8 Millionen) der Menschen in Deutschland mindestens einmal geimpft und 10,6 Prozent (8,8 Millionen) voll geschützt. Dies sei ein „großer Schritt nach vorn“.

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Dem RKI zufolge hatte es vor dem neuen Tagesrekord in den vergangenen Wochen bereits drei Tage gegeben, an denen über eine Million Impfspritzen gesetzt wurden. Insgesamt wurden demnach bis einschließlich Donnerstag etwa 38,6 Millionen Impfdosen verabreicht.

Die Impfquoten variieren in den Bundesländern. Die höchste Quote an mindestens Erstgeimpften hat das Saarland mit 40,4 Prozent. Sachsen liegt mit 31,1 Prozent leicht hinter den anderen Bundesländern zurück. In Berlin erhielten bisher 32,8 Prozent und in Brandenburg 31, 5 Prozent der Bürgerinnen und Bürger die erste Dosis.

Die Impfkampagne in Deutschland hatte Weihnachten 2020 begonnen. Zunächst waren Menschen über 80, Bewohner von Alten- und Pflegeheimen und medizinisches Personal an der Reihe. Unter anderem werden auch chronisch Kranke mit erhöhtem Risiko für einen schweren und tödlichen Verlauf bevorzugt geimpft.

Spahn: Schwerpunkt jetzt zunächst auf Zweitimpfungen

Angesichts der bevorstehenden Aufhebung der Priorisierung mahnte Spahn zur Geduld. Die Maßnahme bedeute nicht, dass sofort alle geimpft werden könnten, sagte Spahn beim Besuch der Bundeswehr-Apotheke im niedersächsischen Quakenbrück. „Wir werden schon noch einige Wochen brauchen.“ Die Arztpraxen „müssen das auch handeln können“, sagte der Nachrichtenagentur AFP zufolge. Spahn hatte die Aufhebung der Priorisierung für Mittwoch angekündigt, einige Bundesländer beginnen bereits derzeit damit, Menschen unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe zu impfen.

Der weitere Impffortschritt in Deutschland dürfte zudem von anderen Faktoren wie den vorhandenen Impfstoffmengen beeinflusst werden. Zudem bleibt abzuwarten, ob Effekte wie in den USA oder Israel eintreten, wo etliche Menschen auf die Zweitimpfung verzichten, weil sie sich bereits für ausreichend geschützt halten. Auch die Frage, wie bisher Impfunwillige überzeugt werden können, wird zunehmend eine Rolle spielen.

Spahn machte nun deutlich, dass bis Ende Mai wird der Schwerpunkt nicht mehr bei den Erst-, sondern den Zweitimpfungen liegen werde. Dies sei nötig, um den vollen Impfschutz bei denen zu erreichen, die bereits einmal geimpft worden sind. Die Erstimpfungen würden dann wieder im Juni in den Vordergrund rücken, sagte Spahn, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtete.

13.000 vollständig Geimpfte positiv auf Corona getestet

Wie Spahns Ministerium am Freitag mitteilte, wurden in Deutschland bisher rund 13.000 vollständig Geimpfte noch positiv auf das Coronavirus getestet. Das entspricht bei insgesamt mehr als acht Millionen Zweitimpfungen etwa 0,16 Prozent. Es sei aber nicht klar, ob die Erkrankung bei vollem Impfschutz, also mehr als 14 Tage nach der zweiten Impfung, auftrat oder in den Tagen davor. Impfungen können Corona-Infektionen zwar in den meisten Fällen verhindern, allerdings nicht zu 100 Prozent. Man geht außerdem davon aus, dass der Körper nach der zweiten Impfung rund zwei Wochen braucht, um den vollen Impfschutz aufzubauen.

Nach der ersten Impfung wurden den Daten des Gesundheitsministeriums zufolge rund 44.000 Covid-19-Fälle gemeldet. Das entspricht bei mehr als 28,5 Millionen Erstgeimpften etwa 0,15 Prozent. 662 zweifach Geimpfte und rund 2000 einfach Geimpfte starben.

In die Runde derer, die davor warnen, die Pandemie bereits für beendet zu erklären, reihte sich am Freitag auch der Bonner Virologe Hendrik Streeck. Er sprach sogar eine klare Warnung aus. „Es könnte sein, dass wir eine vierte Welle erleben im Herbst“, sagte Streeck dem „Focus“.

Streeck glaubt nicht an baldige Herdenimmunität

Er zeigte sich skeptisch, dass die vielbeschworene Herdenimmunität bald erreicht sei. „Wir hatten gerade den Fall eines geimpften Arztes, der eine hohe Viruslast im Rachen entwickelte und auch die Familie angesteckt hat.“ Vielleicht seien das „ja nur Einzelfälle. Aber wir müssen das beobachten.“

An Impfstoff mangele es jedenfalls nicht mehr. Im Gegenteil: „Wir haben solche Mengen an Impfstoff, dass die Frage bald beantwortet werden muss, ob und wie wir zumindest Teile davon spenden oder abgeben.“

Wichtig sei es nun, „Strukturen und Prozesse zu optimieren“. Der 43-Jährige hielte es für „sehr hilfreich“, wenn „für die nächste Pandemie“ auf Bundesebene eine Art Pandemierat eingerichtet würde. In einem solchen interdisziplinären Gremium sollten dann „neben Wirtschaftswissenschaftlern, Soziologen oder Demoskopen auch Intensivmediziner und andere Praktiker eine Rolle spielen.“

So ein Beraterkreis hätte schon der aktuellen Corona-Politik „wesentlich mehr Stabilität und auch Glaubwürdigkeit gegeben“. Stattdessen habe sich die Öffentlichkeit „aus einer Kakophonie von Quellen“ informieren müssen. Außerdem müsse man für künftige Pandemien „eine andere Metrik finden, also Indikatoren, nach denen wir das Infektionsgeschehen bemessen. Infektionszahlen oder Sieben-Tage-Inzidenzen genügen da nicht.“

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Bereits am Donnerstag hatte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach gemahnt, eine weitere Welle müsse dringend vermieden werden. „Die Zahlen entwickeln sich sehr positiv. Einem entspannten Sommer mit deutlichen Lockerungen steht nichts mehr entgegen, wenn wir jetzt nicht unvorsichtig werden“, sagte der Epidemiologe der „Rheinischen Post“.

Lauterbach fordert strenge Kontrollen von Reisenden

„Um jedoch eine vierte Welle im Herbst zu verhindern, müssen wir Vorkehrungen insbesondere für Reiserückkehrer treffen“, fügte der Mediziner hinzu. Mindestens 20 Prozent der Bevölkerung würden auf absehbare Zeit ohne Schutz sein, weil sie sich nicht impfen lassen können oder wollen. „Wir brauchen deswegen schon jetzt strenge Tests an den Flughäfen und eine Quarantäne der Reisenden, bis das Testergebnis vorliegt für diejenigen, die aus Mutationsgebieten kommen“, forderte der SPD-Politiker.

Am vergangenen Wochenende hatte sich auch der Chefvirologe der Berliner Charité vergleichsweise optimistisch gezeigt. „Der Sommer kann ganz gut werden in Deutschland“, sagte Christian Drosten im ZDF. „Ich denke, dass wir zum Juni hin erstmalig Effekte sehen, die der Impfung zuzuschreiben sind.“

Die aktuelle Entspannung sei indes „wahrscheinlich“ noch auf verantwortungsbewusstes Verhalten der Bevölkerung zurückzuführen. Am heutigen Freitag hatte das RKI erstmals seit dem 20. März im bundesweiten Schnitt wieder eine Sieben-Tage-Inzidenz von unter 100 gemeldet.

Gleichzeitig warnte Drosten vor zu früher Euphorie. Deutschland sei noch nicht so weit wie andere Länder. „Wir müssen länger warten, weil wir noch nicht so weit sind mit unserem Impffortschritt.“ Sobald eine Impfquote wie in Großbritannien erreicht werde, könne gerade im Außenbereich wieder vieles zugelassen werden. Für den Herbst werde die Herdenimmunität die Situation in Deutschland verbessern, so Drosten. Die Krankheit werde im Herbst nicht verschwunden sein, aber eine unkontrollierte Verbreitung werde nicht mehr zustande kommen. Erforderlich sei bei den Erwachsenen „eine sehr hohe Impfquote“ gegen das Virus. Nicht Geimpfte hätten dann weiter „volles Risiko sich zu infizieren“.

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