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Jörg Krämer ist seit 2006 Chefvolkswirt bei der Commerzbank.
© Thilo Rückeis

Wirtschaftsbeziehungen zu China: "Zum Glück haben wir Donald Trump"

Der Chefvolkswirt der Commerzbank Jörg Krämer im Gespräch über Abhängigkeiten im Welthandel, den Brexit und die Industriepolitik der Bundesregierung

Herr Krämer, die Bundesregierung hat ihre Wachstumsprognose für 2019 gekappt. Wie steht es also um die deutsche Wirtschaft?

Es ist schwierig, momentan von der deutschen Wirtschaft als Ganzes zu sprechen. Es gibt kein einheitliches Bild. Auf der einen Seite hängen der Bau und die Dienstleistungsbranche an der starken Binnennachfrage und haben nur eine Sorge: genügend Personal zu finden, um die vielen Aufträge abzuarbeiten. Auf der anderen Seite leidet die exportabhängige Industrie unter der schwachen Nachfrage aus China. Dort hat sich das Wachstum abgekühlt. Insofern steht und fällt die deutsche Konjunktur mit China.

Halten Sie es für problematisch, dass wir so stark abhängig sind von China?

Gewisse Abhängigkeiten haben Sie im Welthandel immer. Das Problem ist daher nicht, dass wir so viel nach China exportieren, sondern dass die Chinesen sich unfair verhalten. Da ist zum Beispiel der erzwungene Technologietransfer. Außerdem haben es deutsche Firmen in der Volksrepublik noch immer sehr viel schwerer als einheimische Unternehmen.

Was kann man da tun?

Zugespitzt gesagt: Zum Glück haben wir Donald Trump, der dieses Thema jetzt angeht. Trumps Brechstangen-Methode mit der Einführung von Strafzöllen ist natürlich sehr riskant und hat für viel Verunsicherung bei Exportunternehmen gesorgt. Gleichzeitig muss man aber anerkennen, dass China sich inzwischen viel mehr bewegt als früher. Ringt Trump den Chinesen am Ende Zugeständnisse ab, würden davon nicht nur amerikanische, sondern auch deutsche Unternehmen profitieren.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie rät Firmen bereits, ihr Engagement in China zu überdenken. Zurecht?

Richtig ist, dass wir es hier mit einem Systemwettbewerb zu tun haben. Dabei müssen wir uns klar machen: Es ist kein Naturgesetz, dass eine liberale Marktwirtschaft bessere Ergebnisse hervorbringt als eine autoritäre Staatswirtschaft. Umso wichtiger ist es, dass Deutschland sich besser aufstellt. Wir brauchen bessere Straßen, bessere Schienenwege, schnelles Internet. Nehmen Sie meine Heimat, das Siegerland: eine ländliche Region in Nordrhein-Westfalen, stark industriell geprägt. Dort sitzen viele Mittelständler, die Industrie 4.0 verkaufen – trotzdem haben nicht alle von ihnen ein ausreichend schnelles Internet. So etwas können wir uns nicht leisten, wenn wir gegen China weiter bestehen wollen.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) legt deshalb jetzt eine Industriestrategie vor. Was versprechen Sie sich davon?

Es ist richtig, die Rahmenbedingungen für Unternehmen zu verbessern, also etwa für bezahlbare Energie und stabile Sozialabgaben zu sorgen. Jetzt müssen hier konkrete Maßnahmen folgen. Aber die Pläne zum Kohleausstieg verteuern zunächst die Energie, und die in den letzten Jahren beschlossenen Sozialmaßnahmen lassen die Abgaben zu den Sozialversicherungen eher steigen. Ansonsten hört es sich natürlich gut an, wenn der Staat bestimmte Schlüsseltechnologien gezielt fördern möchte. Aber der Sachverständigenrat für Wirtschaft warnt zu Recht davor, dass der Staat nicht vorab wissen kann, welche Technologien sich in Zukunft durchsetzen werden. So haben sich der staatlich geförderte Schnelle Brüter oder die Magnetschwebebahn in Deutschland als Investitionsruinen herausgestellt. Zukunftstechnologien entstehen stattdessen am Markt durch Versuch und Irrtum. Der große liberale Ökonom Friedrich August von Hayek spricht zu Recht vom Wettbewerb als Entdeckungsverfahren.

Altmaier wünscht sich auch eine Weiterentwicklung des Wettbewerbsrechts. Er will die „Schaffung deutscher und europäischer Champions“ erleichtern. Ist das sinnvoll?

Groß ist nicht automatisch gut. Der Staat sollte sich darauf beschränken, für alle Unternehmen gute Rahmenbedingungen zu schaffen. Außerdem muss er eine marktbeherrschende Stellung einzelner Unternehmen im Interesse der Konsumenten verhindern. Das war ein wichtiges Anliegen der Väter der Sozialen Marktwirtschaft, der wir den wirtschaftlichen Aufstieg nach dem Zweiten Weltkrieg zu verdanken haben.

Wird angesichts dieser Herausforderungen der Brexit zur Randnotiz?

Nein, das ist ein beträchtliches Risiko. Großbritannien ist noch immer ein wichtiger Handelspartner Deutschlands. Sollte es am Ende zum harten Brexit kommen, werden wir an den Kanal-Häfen sicherlich chaotische Szenen sehen. Lieferketten könnten reißen. Im schlimmsten Fall kann das dazu führen, dass das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal schrumpft - nicht nur in Großbritannien, sondern auch im Euro-Raum. Ich wünsche mir deshalb nicht nur von den Briten, sondern auch von der EU-Kommission mehr Flexibilität. Die EU darf Großbritannien nicht abstrafen.

Was meinen Sie damit konkret?

Klar ist doch: Um den Friedensprozess zu wahren, muss die innerirische Grenze für den normalen Iren unsichtbar bleiben. Grenzkontrollen könnten zum Beispiel teilweise ins Hinterland verlegt werden. Oder man lässt die Grenze für den Privatverkehr offen, führt aber separate Kontrollpunkte für Lastwagen ein. Mit ein bisschen gutem Willen wäre es möglich, eine Lösung finden.

Abseits von Brexit und China: Gibt es weitere Risiken?
Auf jeden Fall die Autozölle, mit denen die Amerikaner drohen. Zwar ist es gut, dass EU-Kommissionspräsident Juncker im Handelsstreit mit den USA einen Waffenstillstand mit Trump ausgehandelt hat, aber es ist eben nur das: ein Waffenstillstand. Die Europäische Union muss Trump jetzt endlich den Wind aus den Segeln nehmen. Zum Beispiel könnte die EU ihre Autozölle von derzeit zehn auf die 2,5 Prozent senken, die aktuell die Amerikaner für Autos aus der EU verlangen. Trump könnte eine solche Lösung zu Hause als Erfolg verkaufen – und die US-Strafzölle auf europäische Autos wären vermutlich endgültig vom Tisch.

In Europa wird die Wirtschaft weiter durch die lockere Geldpolitik der EZB gestützt. Ist das noch angemessen?

Nein, die Geldpolitik ist sowohl für Deutschland als auch für den Euro-Raum als Ganzes nicht mehr angemessen. Die Euro-Zone wird unseren Prognosen zufolge in diesem Jahr um immerhin 1,4 Prozent wachsen; ihr geht es deutlich besser als vor ein paar Jahren. Trotzdem dürfte die EZB ihre Geldpolitik noch einmal lockern. So wird sie vermutlich schon im März beschließen, den Banken neue Langfristkredite zu gewähren. Helfen wird das vor allem den Banken im Süden Europas, die damit ihre hohen Bestände an Staatsanleihen finanzieren.

Welche Folgen hat das?

Durch die lockere Geldpolitik sinkt sowohl auf Seiten der Politik als auch der Unternehmen der Reformdruck. Nehmen Sie zum Beispiel Italien. Dort werden dank der günstigen Kredite Unternehmen am Leben erhalten, die unter normalen Umständen pleite gegangen wären. Laut OECD-Statistik stecken in Italien bereits fast zwanzig Prozent des Realkapitals in solchen Zombieunternehmen. Auch hätten es die italienischen Wähler ohne den faktischen Blankoscheck der EZB wohl kaum gewagt, ein Bündnis aus Links- und Rechtspopulisten an die Macht zu bringen, das für eine unverantwortliche Haushaltspolitik plädiert. Das funktioniert nur mit dem Wissen: Im Zweifel steht die EZB bereit.

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