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Einen schweren Job hat Reiner Hoffmann (r.), der im Mai zum DGB-Vorsitzenden gewählt wurde, vor allem auch deshalb, weil der dienstälteste Vorsitzende einer DGB-Gewerkschaft, Verdi-Chef Frank Bsirske, einen ganz eigenen Kopf hat.
© dpa

Streit um die Tarifeinheit: Zerreißprobe

Die Gewerkschaften sind sich beim geplanten Gesetz über die Tarifeinheit nicht einig. DGB-Chef Reiner Hoffmann muss den kleinsten gemeinsamen Nenner suchen. Ein schwieriges Manöver.

Mit der gewerkschaftlichen Einheit ist das so eine Sache. Vor gut vier Jahren proklamierte der DGB gemeinsam mit den Arbeitgebern ein Gesetz zur Festschreibung der Tarifeinheit („Ein Betrieb, eine Gewerkschaft, ein Tarifvertrag“), um die Klientelpolitik von Berufsgewerkschaften zu stoppen. Damals scheiterte das Vorhaben an der FDP und dem Widerstand des Beamtenbundes und der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, die die Existenz kleiner Gewerkschaften bedroht sahen. Inzwischen spaltet das Thema den DGB selbst. Von acht DGB- Gewerkschaften sind drei gegen den von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) vorgelegten Gesetzentwurf, weil sie einen Eingriff ins Streikrecht befürchten: Verdi, immerhin die zweitgrößte Arbeitnehmerorganisation hierzulande, sowie die Lehrergewerkschaft GEW und die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG).

Verdi, GEW und NGG sind dagegen

Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann erläuterte am Dienstag die Stellungnahme seines Verbandes zum Referentenentwurf. Zwar seien sich alle DGB-Gewerkschaften einig in der Einschätzung, dass es keinen direkten Eingriff ins Streikrecht gebe; das habe man den Arbeitgebern – anders als vor vier Jahren – diesmal abgerungen. Dennoch befürchteten die drei DGB-Gewerkschaften indirekte Auswirkungen. Verdi-Chef Frank Bsirske hatte bereits vor zwei Wochen, als Nahles ihren Entwurf vorgelegt hatte, „große Bedenken“ geäußert. Das Gesetz sei problematisch, da bei einer „Kollision mehrerer Tarifverträge der Tarifvertrag der Mehrheit auf die gesamte Belegschaft erstreckt wird“. Und das sei „unzweifelhaft eine indirekte Einschränkung des Streikrechts“. Die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe meinte am Dienstag, der Gesetzentwurf „widerspricht dem Grundsatz, dass jegliche Eingriffe in das Streikrecht oder die Tarifautonomie abzulehnen sind“.

Trotz dieser Ablehnung ist die Stellungnahme des DGB nach Angaben Hoffmanns eine Stellungnahme aller acht Gewerkschaften. Das ist wichtig, denn ohne Rückendeckung des DGB will die Regierung das Gesetz nicht machen. Sinn und Zweck des ganzen, verfassungsrechtlich höchst umstrittenen Vorhabens ist der Betriebsfrieden. Im Gesetzentwurf ist von Tarifkollisionen die Rede, die das bewährte System der Tarifautonomie gefährden könnten. Konkret geht es um den Fall, dass in einem Betrieb mehrere Gewerkschaften Tarifverträge für dieselbe Beschäftigtengruppe abschließen und dabei womöglich ein Überbietungswettlauf mit ständigen Arbeitskämpfen entsteht. Deshalb soll künftig nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern gelten. Oder aber die Gewerkschaften bilden eine Tarifgemeinschaft und verhandeln gemeinsam mit den Arbeitgebern. Nicht Regelungsgegenstand des Gesetzes sind im übrigen Betriebe mit mehreren Gewerkschaften, die aber für unterschiedliche Beschäftigtengruppen Tarifverträge abschließen, wie derzeit etwa bei der Lufthansa. Hoffmann appellierte in dem Zusammenhang an die Gewerkschaft der Lokführer GDL, sich mit der Eisenbahnergewerkschaft EVG, die dem DGB angehört, über die Vertretung der Beschäftigten bei der Bahn zu verständigen. Einen entsprechenden Versuch unternahmen die Vorsitzenden von EVG und GDL am Dienstag gemeinsam mit dem Personalvorstand der Bahn. Dabei sollte eine Basis geschaffen werden für gemeinsame Tarifverhandlungen, die noch in dieser Woche beginnen könnten.

Auch der DGB-Chef sieht "Nachbesserungsbedarf"

Der DGB-Chef betonte trotz grundsätzlicher Zustimmung einen „erheblichen Nachbesserungsbedarf“ im Gesetzentwurf zur Tarifeinheit. Unter anderem müsse klar geregelt sein, wie man den Betrieb definiere und die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder ermittle. Auch sei auszuschließen, dass sich Gewerkschaften mit Dumpingbeiträgen oder „Schnupper-Mitgliedschaften“ zusätzliche Mitglieder verschafften, um den Status der Mehrheitsgewerkschaft zu bekommen. Die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen dürfe, etwa in der Bauwirtschaft oder im Bäckereihandwerk, nicht gefährdet werden.

Alles in allem ist Hoffmann der Auffassung, dass der Gesetzentwurf nichts am Arbeitskampfrecht ändert, da dieses ohnehin Richterrecht sei. Entsprechend sei die Frage, wie das Gesetz auf das Streikrecht und die Verhältnismäßigkeit von Arbeitskämpfen wirkt, erst dann zu beantworten, wenn erste Fälle vor den Arbeitsgerichten landeten. Das wird noch dauern. Nahles zufolge soll das neue Gesetz „im Sommer“ 2015 in Kraft treten.

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