Gesetzentwurf zur Tarifeinheit: Die Arbeitsministerin und die Kampfzwerge
Mit ihrem Gesetz zur Tarifeinheit geht Andrea Nahles ein politisches Risiko ein. Ein Kommentar.
Der Zeitpunkt ist günstig gewählt: Vielen Pendlern und Urlaubern dürften die jüngsten Streiks bei der Lufthansa und der Bahn noch gut in Erinnerung sein. Arbeitsministerin Andrea Nahles nutzte die Gelegenheit, nun den lange angekündigten Gesetzentwurf zur Tarifeinheit vorzulegen, mit dem der Einfluss von Spartengewerkschaften beschnitten werden soll. Ein heikles Vorhaben, weil die Sozialdemokratin damit einen Teil der Gewerkschaften gegen sich aufbringt. Doch zumindest in der Öffentlichkeit kann Nahles auf Verständnis hoffen.
Das Grundgesetz ist unmissverständlich: Jeder darf eine Gewerkschaft gründen, jeder darf streiken
Die Regierungspläne ändern grundsätzlich nichts daran, dass bestimmte Berufsgruppen auch in Zukunft streiken können, um ihren tarifpolitischen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Das Grundgesetz ist an dieser Stelle unmissverständlich: Jeder Arbeitnehmer in diesem Land hat das Recht, sich zur Wahrung seiner Interessen mit anderen in einer Gewerkschaft zusammenzuschließen – und im Konfliktfall eben auch zu streiken.
Das Bundesarbeitsgericht hatte 2010 den Grundsatz der Tarifeinheit (ein Betrieb, eine Gewerkschaft, ein Tarifvertrag) zugunsten der Tarifpluralität gekippt. Seitdem dürfen mehrere Gewerkschaften innerhalb eines Betriebs verschiedene Tarifverträge durchsetzen. Wohin das führen kann, zeigt der aktuelle Tarifkonflikt bei der Bahn. Die Lokführergewerkschaft GDL versucht dort, einen eigenen Tarifvertrag für die bei ihr organisierten Zugbegleiter durchzusetzen, die bisher durch die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG vertreten wurden. Der streit- (und streik-)lustige GDL-Vorsitzende Claus Weselsky nutzt die derzeitige Rechtslage auch deshalb, weil er sich so einen Mitgliederzuwachs für seine Gewerkschaft erhofft.
Dass Andrea Nahles die Streitigkeiten der Zwerggewerkschaften eindämmen will, ist nachvollziehbar
Wenn Verteilungskämpfe innerhalb der Belegschaft verstärkt über Streiks ausgetragen werden, hilft das womöglich einzelnen Berufsgruppen, aber nicht allen Arbeitnehmern in einem Betrieb. Das gilt nicht nur für Lokführer und Zugbegleiter, sondern ebenso für Piloten und Stewardessen oder Ärzte und Krankenpfleger. Es ist daher nachvollziehbar, dass die Regierung diese Art von Machtkämpfen eindämmen will.
Die kleinen Gewerkschaften drohen mit dem Bundesverfassungsgericht
Dafür will Nahles den Druck unter konkurrierenden Gewerkschaften erhöhen, stärker zusammenzuarbeiten. Im Streitfall soll künftig das Mehrheitsprinzip gelten: Nur die Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern in einem Betrieb soll berechtigt sein, Tarifverträge abzuschließen. Die Arbeitsministerin weiß, dass sie sich damit auf dünnem Eis bewegt. Einen aktiven Eingriff in das Streikrecht sieht der Gesetzentwurf zwar nicht vor. Indirekt aber womöglich schon, nämlich dann, wenn der Streik einer Minderheitsgewerkschaft von den Arbeitsgerichten für unverhältnismäßig erklärt wird. Einige Gewerkschaften haben schon angekündigt, das Gesetz vom Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen.
An einer zunehmenden Zersplitterung der Tariflandschaft sind allerdings auch die Arbeitgeber nicht ganz unschuldig. Wenn Unternehmen ganze Bereiche ausgliedern oder ein Konzern wie die Bahn in hunderte Betriebe unterteilt wird, führt das auch auf Arbeitnehmerseite dazu, dass Einzelinteressen sich stärker organisieren. Ob diese Entwicklung gestoppt werden kann, hängt deshalb nicht nur von dem jetzt vorgelegten Gesetz ab.