Der "Champagner" der Energiewirtschaft: Wundermittel für den Wandel
Grüner Wasserstoff könnte ein Ausweg aus der Klimakrise sein. Deutschland sucht dafür Handelspartner, auch in Russland.
Wasserstoff (H2) gilt als neue Allzweckwaffe bei der Energiewende. Wo die Nutzung von Ökostrom aus Sonne und Wind an ihre Grenzen stößt, kann dieser in Wasserstoff umgewandelt werden, dessen Einsatz keine technischen Grenzen gesetzt sind. Flugzeuge zum Beispiel werden wohl nie mit schweren Elektrobatterien abheben können, wohl aber mit Wasserstoff. Der Bedarf ist riesig, vor allem in der Grundstoffindustrie, das Erzeugungspotenzial hierzulande aber begrenzt. Denn für die Produktion ist aufgrund der hohen Umwandlungsverluste ein extrem starker Zuwachs erneuerbarer Energien notwendig, für die mancherorts mittlerweile die Flächen knapp werden.
Deswegen hat sich die Bundesregierung mit ihrer nationalen Wasserstoffstrategie im Juni nur relativ bescheidene Ziele für den Aufbau einer heimischen Wasserstofferzeugung bis 2030 gesetzt. Der Großteil des alternativen Energieträgers wird laut Strategie importiert werden müssen. Zum Teil aus den Ländern, von denen wir Deutschen heute schon unser Öl und Gas beziehen.
In den vergangenen Wochen wurden Vertreter der Bundesregierung nicht müde, internationale Partnerschaften beim Thema Wasserstoff anzuleiern, insbesondere mit den Nordsee-Anrainerstaaten und Südeuropa, aber auch mit Marokko und Australien sowie der Ukraine und sogar Russland. Für diese Kooperationen stehen bis 2023 zwei Milliarden Euro aus dem Konjunkturpaket zur Überwindung der Coronakrise im Nachtragshaushalt bereit. Das Bundesumweltministerium baut derzeit ein Sekretariat unter Führung der Entwicklungshilfegesellschaft GIZ auf, das alle internationalen Aktivitäten koordinieren soll.
Bilaterale Regierungsgespräche über eine Wasserstoffallianz laufen zunächst mit unmittelbaren Nachbarn wie Frankreich. Zeitgleich mit dem Beschluss der Wasserstoffstrategie hat die Bundesregierung auch eine Absichtserklärung für eine deutsch-marokkanische Wasserstoff-Initiative und den Bau der ersten industriellen Anlage in Afrika unterzeichnet. Am 10. September vereinbarten Deutschland und Australien eine zweijährige Machbarkeitsstudie zu einer deutsch-australischen Lieferkette für Wasserstoff auf Basis erneuerbarer Energien. Der Bund lässt sich die Studie 1,5 Millionen Euro kosten.
Von besonderer Bedeutung ist für die Bundesregierung, langjährige Handelsbeziehungen mit Exporteuren fossiler Energien mithilfe des Wasserstoffs durch die Energiewende hindurch zu erhalten. In diesem Sinne traf sich Ende August die „AG Wasserstoff und neue Gase“ des Deutsch-Russischen Rohstoff-Forums zu ihrer Auftaktsitzung. Dabei waren hochrangige Vertreter beider Energieministerien. Sie wollen Konzepte und eine Strategie für die Erzeugung, den Transport und den Handel entwickeln und bilaterale Pilotprojekte initiieren. Anfang Dezember findet dazu die erste Deutsch-Russische Wasserstofftagung statt.
Russland habe, so hieß es auf dem Forum, in seiner kürzlich veröffentlichten Energiestrategie die Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft verankert und arbeite ebenfalls an einer Wasserstoffstrategie. Bis 2035 will sich der Kreml einen Weltmarktanteil von 15 Prozent sichern. Russland hat den Experten zufolge großes Potenzial, nicht nur für Wasserstoff aus erneuerbaren Energien, sondern auch für die sogenannte Methan-Pyrolyse. Dabei wird Methan, Hauptbestandteil von Erdgas, thermisch gespalten, wobei zum einen Wasserstoff und zum anderen fester Kohlenstoff entsteht, der sich zu Stahl oder Leichtbaustoffen weiterverarbeiten lässt. Ein Verfahren, das es bislang nur im Labor gibt, dessen Entwicklung aber auch das Bundesforschungsministerium mit Millionen fördert.
„Nach meiner festen Überzeugung besteht in einer gemeinsamen russisch- deutschen Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft eine große Chance für beide Länder, aber auch für Europa und weltweit“, meint Klaus Töpfer, Ex-Bundesumweltminister und Schirmherr des Deutsch-Russischen Rohstoff-Forums. Die heftig umstrittene Gaspipeline Nordstream 2 nach Deutschland, deren Fertigstellung die USA mit allen Mitteln verhindern wollen, um den Europäern ihr eigenes Flüssiggas zu verkaufen, könnte nach Angaben des russischen Staatskonzerns Gazprom ein Gasgemisch mit bis zu 70 Prozent Wasserstoffanteil transportieren.
Der nächste geopolitische Konflikt zeichnet sich hier schon ab. Denn neben Russland will auch die Ukraine, nachdem sich beide Seiten jahrelang um Transitgebühren für Erdgas stritten, Wasserstoff nach Europa liefern. Das ist Teil der Absichtserklärung zur Gründung einer Energiepartnerschaft zwischen Deutschland und der Ukraine, die Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) Ende August mit seiner Amtskollegin Olha Buslawez unterzeichnete. Bei ihrem Besuch in Berlin sei auch die Zusammenarbeit bei der Entwicklung des Zukunftsthemas Wasserstoff besprochen worden, so das Wirtschaftsministeriums. Für Joachim Pfeiffer, energiepolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, ist die Ukraine neben Nordafrika das „primäre Ziel“.
Der Blick auf Russland verdeutliche, dass die geopolitischen Konsequenzen einer globalen Wasserstoff-Ökonomie von Beginn an mitzudenken und die Energiediplomatie Deutschlands und der EU entsprechend auszurichten sind, empfahl die Stiftung Wissenschaft und Politik im Mai dieses Jahres. Aus außen- und sicherheitspolitischer Sicht sei es wichtig, die Destabilisierung der öl- und gasreichen Länder und ganzer Regionen im Zuge der Energiewende zu verhindern. Diesen Ländern eine Perspektive zu geben verspreche eine dreifache Dividende: in der Klimapolitik, beim Heben von Wasserstoffpotentialen und in der Außenpolitik.
Steven Hanke
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